Süddeutsche Zeitung

Re-Branding von Victoria's Secret:Heiligenschein statt Engelsflügel

Lesezeit: 3 min

Die US-Modemarke Victoria's Secret will ihr Image radikal verändern. Frauen wie Fußballerin Megan Rapinoe oder Aktivistin Paloma Elsesser sind die neuen Botschafterinnen des Unternehmens. Was steckt wirklich dahinter?

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Megan Rapinoe und Victoria's Secret. Die homosexuelle US-Fußballerin und der auch wegen seines Frauenbilds ins Trudeln geratene Unterwäschekonzern haben eine Zusammenarbeit angekündigt, zwei Pole, die in etwa so unterschiedlich erscheinen wie Greenpeace und Volkswagen. Rapinoe kämpft seit Jahren für die Gleichstellung der Geschlechter, während der WM 2019 machte sie Schlagzeilen, als sie sich mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump anlegte. Trump hatte auf die Ankündigung von Rapinoe, bei einem Titelgewinn nicht ins Weiße Haus gehen zu wollen, gegen Rapinoe gestichelt: "Megan soll erst mal gewinnen, bevor sie redet!" Rapinoe gewann und feierte ihre Tore mit einer herrlich provozierenden Pose. Eben diese Megan Rapinoe sagt über das Unterwäschelabel Victoria's Secret: "Es war sexistisch, patriarchisch; nicht darauf bedacht, was es bedeutet, sexy zu sein - sondern lediglich darauf, was diese Kleidung dem männlichen Blick vermittelt." Und jetzt fungiert sie als Botschafterin für die Marke.

Also: Was soll diese Zusammenarbeit?

Offenbar hat sich auch Rapinoe selbst diese Frage gestellt. "Ich dachte mir: Wie bitte? Was wollen die denn von mir?", so beschreibt sie den ersten Kontakt in der New York Times. Der Konzern hatte seine Produkte schließlich jahrelang mit Frauen beworben, die ganz bewusst nicht wie wirkliche Menschen aussahen, sondern wie engelsgleiche Geschöpfe; er vermarktete seine Models wie Tyra Banks oder Heidi Klum als "Angels", Engel also, und die "Victoria's Secret Fashion Show", von 2001 bis 2018 kurz vor dem Valentinstag zur Primetime im US-TV zu sehen, war weniger Modenschau als vielmehr das, was Amerikaner von einem Striplokal erwarten. Mehr noch: Eigentümer Leslie Wexner pflegte Verbindungen zum verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein, Recherchen der New York Times zeigten, dass er und Marketingchef Ed Razek eine misogyne Firmenkultur zugelassen hatten.

Es soll jetzt auch Größe XXXXXL geben

"Wir haben viel zu spät auf die Veränderungen in der Welt reagiert", sagt Martin Waters, seit Februar Geschäftsführer des Unternehmens, das von den Mutterkonzernen L Brands und Bath & Body Works getrennt und als eigene Firma an die Börse gehen soll. Wexner und Razek werden nichts mehr mit Victoria's Secret zu tun haben, die neue Marketingchefin heißt Martha Pease und sie hat sieben Frauen ausgesucht, die für etwas stehen, wofür das Unternehmen bislang eben nicht gestanden hatte. Neben Rapinoe sind das: das Transgender-Model Valentina Sampaio aus Brasilien; Adut Akech, die aus dem Südsudan geflohen ist und nun als Model arbeitet; die 17-jährige chinesisch-amerikanische Freestyle-Skifahrerin Eileen Gu; Aktivistin und Plus-Size-Model Paloma Elsesser; die Schauspielerin und Tech-Investorin Priyanka Chopra Jonas und Fotografin Amanda de Cadenet, die auf der von ihr gegründeten Plattform #Girlgaze Fotografinnen fördert. Sie sollen das Unternehmen beraten, auf sozialen Medien dafür werben und in Podcasts auftreten. "Wir wollen weg von dem, was Männer wollen", sagt Geschäftsführer Martin Waters, "hin zu dem, was Frauen wollen."

Bei den sieben Botschafterinnen handelt es sich allesamt um Frauen, die weniger für außerweltliches Aussehen bekannt sind als vielmehr für außerweltliche Leistungen, sie sollen dem Unternehmen eine völlig neue Ausrichtung geben, also: Unterwäsche für Athleten, Klamotten für Schwangere und Mütter, vor allem aber: Sachen, die wirklich jeder passen. Bislang gibt es bei Victoria's Secret immerhin Schlafanzüge bis Größe XXL und BHs bis Größe 42G. "Wir können für tatsächliche Veränderungen sorgen", sagt Plus-Size-Model Elsesser, die sich dafür einsetzen will, dass es auch Größe XXXXXL geben wird.

"Als homosexuelle Frau denke ich oft darüber nach, was wir für sexy halten", sagt Rapinoe: "Funktionalität ist wahrscheinlich das Sexyste, was wir im Leben erreichen können. Manchmal ist es sexy, einfach nur cool zu sein. Auf jeden Fall hat Victoria keine Secrets mehr" - also keine Geheimnisse.

Sinkende Umsätze

Hört sich alles schon ganz gut an, und doch bleibt da diese Frage: Tauscht Victoria's Secret die Engel jetzt einfach gegen einen selbst aufgesetzten Heiligenschein ein, und das auch nur deshalb, weil es nun mal die einzig mögliche Reaktion gegen sinkende Umsätze und popkulturelle Irrelevanz ist?

Die Erlöse sind im vergangenen Jahr, auch Pandemie-bedingt, um knapp 30 Prozent auf fünf Milliarden Dollar gesunken; der Marktanteil in den USA von 32 Prozent im Jahr 2015 auf 21 Prozent. Das Wall Street Journal hat kürzlich einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel "Die Anti-Victoria's-Secret-Unterwäsche-Revolution ist da". Influencerin Simone Mariposa, die sich selbst "superfett" nennt, sagt darin: "Es geht nicht darum, was produziert wird, sondern was gezeigt wird. Wenn ich einen Körper wie meinen sehe, dann fühle ich: Okay, die haben kapiert, worum es geht." Konkurrenten wie Parade, Cuup und Negative verkörpern längst all das, was Victoria's Secret nun einführen will. Der Konzern ist also ziemlich spät dran.

Natürlich werde es nun Leute geben, sagte Rapinoe auch, die fragen würden, ob das alles Sinn ergebe, und genau diese Leute haben sich in den sozialen Medien schon zu Wort gemeldet. Rapinoe jedoch ist bekannt dafür, furchtlos ihre Meinung zu sagen - ob darunter nun der US-Präsident leidet oder irgendein Konzern. Sollte Victoria's Secret den angekündigten Maßnahmen also keine Taten folgen lassen, dürfte Rapinoe die Erste sein, die dem Unternehmen den Heiligenschein abnimmt.

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