"Das Ende kam mit einem Gefühl beinahe der Erleichterung. 21. November 1915 - An jenem Abend, als wir in unseren Zelten lagen, hörten wir den Kapitän rufen. ,Sie sinkt, Jungs!' Wir waren alle in einer Sekunde draußen (...) und, tatsächlich, da war es, unser armes Schiff, eineinhalb Meilen entfernt, ringend in seinem Todeskampf. Es ging unter, Bug voran, das Heck hoch in der Luft."
Worte können Geschichte einigermaßen nahbar machen, vor allem natürlich, wenn Augenzeugen derart lebendig berichten wie der britische Polarforscher Ernest Shackleton. Vom Untergang der Endurance erzählt er in seinem Buch "South", von jenem Expeditionsschiff, mit dem er seinem großen Ziel entgegengesegelt war: Shackleton wollte den Südpol erreichen und die Antarktis durchqueren, aber das Schiff blieb stecken, sank, vom Eis zermalmt. Zurück blieb die Crew, auf einer Eisscholle Wind und Wasser überlassen.
Noch nahbarer wird Geschichte vermutlich nur, wenn man ihr plötzlich gegenübersteht, oder, wenn das nicht möglich ist, mittels eines Roboters immerhin ganz nahekommt. Und so ist die Euphorie durchaus nachzuvollziehen, mit der Wissenschaftler am Mittwoch bekannt gaben, das hölzerne Wrack der Endurance mehr als 100 Jahre nach dem Schiffbruch tatsächlich entdeckt zu haben. "Polargeschichte" habe man geschrieben, schrieb John Shears, der Leiter der vom britischen Falklands Maritime Heritage Trust angeführten Expedition.
Die Forscher fanden den 44 Meter langen Dreimaster im antarktischen Weddellmeer in 3008 Meter Tiefe, etwa vier Meilen südlich der letzten Position, die Kapitän Frank Worsley damals im Logbuch notiert hatte. Ein Tauchroboter schickte gestochen scharfe Bilder nach oben, das Wrack hat sich in der Kälte des Ozeans wie in einem Kühlschrank erhalten. Auch der Schriftzug Endurance (deutsch: Ausdauer) wirkt nahezu unbeschädigt. Das Wrack stehe "aufrecht, sehr stolz auf dem Meeresboden und ist intakt und in brillantem Zustand", sagt der Forschungsdirektor der Expedition, Mensun Bound.
Sein Team war in Südafrika aufgebrochen und hatte mehr als zwei Wochen lang ein vorher eingegrenztes, fast 400 Quadratkilometer großes Gebiet abgesucht - kein leichtes Unterfangen. Das Eis im Weddellmeer gilt als tückisch, weil es außerordentlich dick ist. "Normalerweise findet man hier eine geschlossene Meereisdecke vor", erzählte ein deutsches Expeditionsmitglied dem Spiegel. Dieses Jahr aber habe man im Südsommer ein "Meereisminimum" gehabt, das dem Eisbrecher Agulhas II die Navigation erleichtert habe.
Dass Menschen sich heute überhaupt noch mit der Endurance beschäftigen, dass ihr Schicksal also noch immer Menschen bewegt, hat weniger mit dem Schiff zu tun als vielmehr mit der Geschichte der Besatzung. Es ist die Geschichte eines einzigartigen Überlebenskampfs. Monatelang kampierten die Männer auf riesigen Eisschollen, nachdem sie ihr Schiff verloren hatten. Als das Treibeis brach, ruderten sie mit ihren kleinen mitgeführten Rettungsbooten trotz qualvoller Strapazen zur nächstgelegenen Insel, Elephant Island, einem unbewohnten und unbewohnbaren Stück Land weit entfernt von allen Schiffsrouten. Zusammen mit fünf Mann versuchte Shackleton dann das Unmögliche: Er wollte mit seinem mickrigen Boot die 1300 Kilometer entfernte Insel Südgeorgien erreichen und Hilfe holen - es gelang ihm tatsächlich. Trotz großer Not und abgefrorener Gliedmaßen verlor kein Mitglied der 28-köpfigen Crew sein Leben.
Hoffnung machen wird der Fund auch all jenen Abenteurern, die es nicht lassen können, weiter nach berühmten, vom Meer verschluckten Schiffen zu suchen; Reste etwa der 1492 zerlegten Santa Maria, auf der Christoph Kolumbus nach Amerika gesegelt war. Im Lake Superior wurde erst im vergangenen Sommer mit Unterwasserschallgeräten das 130 Jahre alte Wrack der Atlanta gefunden, ein mit Kohle beladenes Transportschiff, 1891 im Sturm gesunken.
Geborgen werden soll die Endurance übrigens nicht, im Antarktis-Vertrag ist sie ohnehin als historische Stätte geschützt. Die Forscher wollen mit ihren Foto- und Videoaufnahmen und Shackletons bewegender Geschichte vor allem junge Leute erreichen, eine Generation also, so Forschungsdirektor Bound, "der wir den notwendigen Schutz unserer Polarregionen und unseres Planeten anvertrauen". Ein bisschen Ausdauer ist da ja nicht das Schlechteste, was man mit auf den Weg geben kann.