Versuchter Mord:Vergiftete Pausenbrote

Prozess um versuchten Mord mit vergifteten Pausenbroten

Nun ist klar, dass Klaus O. lebenslang ins Gefängnis muss, weil er die Pausenbrote seiner Kollegen vergiftet hat (Archivfoto).

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Ein Mann aus Ostwestfalen wird verurteilt, weil er seine Kollegen töten wollte. Das Strafmaß ist ungewöhnlich hoch.

Von Jana Stegemann, Bielefeld

"Nick N. existiert nur noch als die leibliche Hülle seiner selbst. Alle Funktionen, die das Leben lebenswert machen, sind ausgeschaltet", sagt Georg Zimmermann. "Aber er wird noch geliebt." Der Vorsitzende Richter am Landgericht Bielefeld ruft diese beiden Sätze bei seiner Urteilsbegründung sehr laut, er blickt dabei in Richtung der Eltern des jungen Mannes. N.s Mutter sitzt auf der Nebenklagebank, sie weint, hält die Hand ihres Mannes ganz fest. Ihr Sohn Nick N. liegt im Wachkoma, er wird nie wieder aufwachen; seine Eltern werden ihn den Rest seines Lebens pflegen müssen. "Seine Vergiftungserscheinungen sind in den vergangenen 100 Jahren in der wissenschaftlichen Literatur nur dreimal aufgetaucht - weltweit", fährt Richter Zimmermann fort. Der Mann, der dem jungen Werkstudenten die Quecksilber-Methyl-Vergiftung beigebracht hat, sitzt derweil unbeteiligt und mit ausdruckslosem Gesicht auf der Anklagebank. "Wir wissen nichts über Klaus O.s Beweggründe. Der Angeklagte hat sich weder verbal noch mit Gesten oder Mimik an der Hauptverhandlung beteiligt", betont der Richter und verliest die höchste in Deutschland mögliche Strafe: Für versuchten Mord mit vergifteten Pausenbroten muss der 57-Jährige lebenslang ins Gefängnis. Das Gericht ordnet darüber hinaus Sicherungsverwahrung für den Mann an, da die Richter von einem Hang zu weiteren schweren Straftaten ausgehen. "O. ist eine Gefahr für die Allgemeinheit."

Klaus O., zweifacher Familienvater, habe immer giftigere Stoffe in einem "primitiven Kellerlabor" in seinem Haus in Bielefeld zusammengemischt, sagt der Richter. Mit einem Ziel: seine Arbeitskollegen in einer Werkzeugbau-Firma im ostwestfälischen Schloss Holte-Stukenbrock zu vergiften. "Die Verbindungen, die O. zuletzt verwendet hat, sind giftiger als die Kampfstoffe des Ersten Weltkriegs."

Bleibende Schäden

Zwei frühere Arbeitskollegen des Mannes, der 57-jährige Udo B. und der 28-jährige Simon R., haben bleibende und sehr schwere Nierenschäden davongetragen. B. ist nicht mehr arbeitsfähig, der Frührentner ist für den Rest seines Lebens auf die Dialyse angewiesen, Simon R. wird für immer mit deutlichen gesundheitlichen Einschränkungen zu rechnen haben. Er deckte das perfide Treiben O.s auf. R. bemerkte Teilchen in seiner Wasserflasche und Krümel auf seinen Pausenbroten. Doch lange konnte er sich die Verunreinigung nicht erklären, irgendwann wandte er sich schließlich an den Betriebsrat der Firma und an die Geschäftsleitung; sie ließ eine Überwachungskamera im Pausenraum installieren. So wurde O. letztlich im Jahr 2018 überführt; Nick N. fiel allerdings schon 2016 ins Wachkoma.

An 15 Prozesstagen spricht Klaus O. nur einen einzigen vollständigen Satz. Vor einer Woche, am vierzehnten Prozesstag sagt der kleine, deutlich jünger wirkende Mann: "Ich schließe mich den Ausführungen meiner Verteidigung vollumfänglich an." Neun Worte, 62 Buchstaben, nüchtern und völlig unbeteiligt vorgetragen. Mehr bekommen die Opfer, deren Leben Klaus O. zerstört hat, von ihm nicht zu hören. Keine Erklärung, keine Entschuldigung, kein Mitleid.

Hartes Urteil

Auch deshalb sprechen die Richter ein ungewöhnlich hartes Urteil für einen versuchten Mord. Der Verurteilte kann nicht damit rechnen, dass seine Strafe nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Verteidiger von Klaus O. sehen hingegen nur Beweise für Körperverletzungsdelikte. Sie haben auf eine Freiheitsstrafe von höchstens neun Jahren plädiert und wollen nun in Revision gehen. Das Gespräch mit dem Gutachter im Prozess hatte Klaus O. verweigert. Nur mit einem Psychologen seiner Haftanstalt sprach er. Nach dessen Eindruck habe der 57-Jährige an seinen Kollegen beobachten wollen, wie das Gift auf ihren Pausenbroten wirke. "Seine Äußerungen zum Motiv kamen mir vor wie bei einem Wissenschaftler, der ausprobiert, wie Stoffe wirken bei einem Kaninchen", sagte der Mitarbeiter des Psychologischen Dienstes in der JVA Bielefeld. Die Mutter von Nick N. bezeichnete Klaus O. bei ihrer Aussage als "Irren" und schilderte, wie ihr früher lebensfroher Sohn, angefangen mit Taubheitsgefühlen und Schwächephasen, auf rätselhafte Weise immer kränker wurde. Simon R. flehte Klaus O. vor Gericht an, endlich etwas zu seinem Motiv zu sagen. Doch Klaus O. schwieg.

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