Verstorbene Pornodarstellerin "Sexy Cora":Tod durch Größenwahn

Grab von 'Sexy Cora'

Mit Figuren und Blumen ist das Grab von "Sexy Cora" Carolin Wosnitza auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg geschmückt.

(Foto: dpa)

Die 23-jährige Porno-Darstellerin Carolin Wosnitza ließ sich 2011 in einer Hamburger Klinik die Brust vergrößern - von 70 F auf 70 G. Dass sie starb, dafür übernimmt vor Gericht die Anästhesistin die Verantwortung. Aber hätte man "Sexy Cora" überhaupt operieren dürfen?

Von Charlotte Frank, Hamburg

Nur zum Anfang sei der Name genannt, der all das Groteske und Falsche des Geschehenen auf den Punkt bringt: Sexy Cora. So wurde die Frau gerufen, um deren Todesumstände nun vor dem Hamburger Landgericht gestritten wird.

In Wirklichkeit geht es nicht um Sexy Cora. Es geht um Carolin Wosnitza, eine 23-jährige Frau, die eine Brustvergrößerung nicht überlebt hat. Es wäre ihre fünfte gewesen, von 70 F auf 70 G. Der pure Größenwahn. Es geht um die Frage, mit welcher Hybris Ärzte Grenzen verschieben und ihre Verantwortung missachten können. Angeklagt ist seit Montag die 56-jährige Narkoseärztin Marion F. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr fahrlässige Tötung durch schwere Behandlungsfehler vor.

"Ich trage Verantwortung und Schuld für den Tod der Patientin Carolin Wosnitza", liest die Angeklagte zu Beginn der Verhandlung vor, aber das Mikrofon ist noch aus. Also wiederholt sie, lauter und sehr bleich im Gesicht: "Ich trage Verantwortung und Schuld für den Tod der Patientin Carolin Wosnitza. Zu dieser Verantwortung und Schuld bekenne ich mich." Dann schildert sie minutenlang die Details des tragischen Tages, des 11. Januar 2011. Es war der letzte Tag, den die Porno-Darstellerin Carolin Wosnitza bewusst erlebte.

An diesem Tag geraten in der Alsterklinik im vornehmen Stadtteil Hamburg-Rotherbaum die Ereignisse außer Kontrolle: Carolin Wosnitza wird bei der Operation nicht richtig mit Sauerstoff versorgt, ihr Herz bleibt stehen. Sie wird wiederbelebt, aber offenbar nicht fachgerecht. Neun Tage später stirbt sie an einer Hirnlähmung.

Wie konnte das passieren? Warum hat während des Eingriffs keiner bemerkt, wie es der Patientin auf dem OP-Tisch zunehmend schlechter ging? Und für welchen Fehler trägt Marion F. eigentlich "Schuld und Verantwortung"? Das versucht das Gericht am Montag zu klären. Am Ende bleibt vor allem Kopfschütteln.

Carolin Wosnitzas Geschichte ist so kaputt, von Anfang an. Sie war es schon, bevor sie sich in der Alsterklinik unters Messer legte.

"Miss Arschgeweih" mit 15

Es gibt bis heute im Internet Hunderte Bilder der jungen Frau, nackt, halb nackt, tätowiert, sich räkelnd, mit künstlichen Wimpern, künstlichen Haaren, künstlichen Brüsten, das Übliche. Aber es war eben mehr als das Übliche bei ihr. Immer ein Schritt weiter als die anderen.

Sie war erst 15, als sie in einer Diskothek zur "Miss Arschgeweih" gekürt wurde und zum ersten Mal mit ihrem Körper Geld verdiente. Sie war erst 18, als sie sich in Polen zum ersten Mal die Brüste vergrößern ließ. Als sie ihr Dorf in Mecklenburg hinter sich ließ und mit ihrem Mann Tim Wosnitza nach Hamburg zog. Sie arbeitete erst als Prostituierte, dann entdeckte das Paar eine Marktlücke: Jeder, der bereit war, sich beim Sex mit Carolin Wosnitza filmen zu lassen, konnte sich per E-Mail bewerben. Die Videos wurden verkauft, das Geschäft boomte. Dann stellten auch noch die Macher von "Big Brother" die junge Frau im Container aus. Carolin Wosnitza war erst 23, da machten sie und ihr Mann Millionenumsätze - mit ihrem Körper.

Sie investierte immer weiter in diesen Körper, ein Ballerinakörper eigentlich, nur 1,57 Meter groß und 47 Kilogramm leicht. Es heißt, eine polnische Klinik habe das Risiko einer weiteren Brustvergrößerung nicht mehr tragen wollen. In Hamburg trauten sie sich den Eingriff zu. Sie trauten sich zu viel zu. Carolin Wosnitzas letzte Investition in ihren Körper war ihre teuerste.

Im OP blieben die Apparate stumm

"Die Patientin und ihr Ehemann kamen gegen 14 Uhr in die Klinik. Gegen 15.10 Uhr leitete ich die Narkose ein", sagt Marion F. am Montag vor Gericht, eine große, ganz in Schwarz gekleidete Frau mit weißblondem Haar, die Stimme nur mühsam kontrolliert. Oft an diesem Tag wird ihr Verteidiger ihr noch die Hand auf die Schulter legen, zur Beruhigung, so auch jetzt. "Für die Beatmung verwendete ich eine Maske der Größe vier. Das Gerät hat pro Minute zwölf Mal beatmet, die Maske saß gut, ich befestigte sie mit Pflastern. Gegen 15.20 Uhr begann der Chirurg mit der Operation", liest Marion F. Sie hat eine mehrseitige Erklärung vorbereitet, eine detaillierte Zusammenfassung der Tragödie in 14 Punkten.

Punkt 14 lautet: "Ich habe mich nie an Herrn Wosnitza gewandt. Ich habe mich nicht entschuldigt, weil man sich für so einen Fehler nicht entschuldigen kann. Ich denke aber oft an das Leid, das ich auch ihm angetan habe. Ich würde alles dafür tun, den Fehler wieder gut zu machen." Dann herrscht Schweigen im Saal.

Der Fehler - man kann nur versuchen, ihn zu begreifen. Aber es ist zum Beispiel kaum zu verstehen, dass keinem Arzt oder Pfleger im OP auffiel, dass das akustische Signal nicht funktionierte, das während der Operation mit jedem Herzschlag einen Ton abgibt. Ist kein Herzschlag mehr da, kommt ein Warnton. Müsste ein Warnton kommen. In der Alsterklinik blieben die Apparate stumm. Marion F. bemerkte den Herzstillstand erst, als die "stark gebräunte Patientin auffällig blass" wurde.

"Das fällt doch auf, wenn der Ton ausfällt"

Der Richter versucht, das nachzuvollziehen: "Das kennt man doch auch aus dem Fernsehen: Das fällt doch auf, wenn der Ton ausfällt", sagt er. "Na ja, das ist so ein Dauerton", antwortet die Angeklagte. Den höre sie schon seit 20 Jahren, er sei ihr "nicht mehr bewusst". Der Richter schüttelt den Kopf: "Ist das nicht jeder Herzton, der piept?", fragt er. "Doch. Aber das war mir nicht bewusst, dass da nichts piepte. Das ist es ja, wozu ich mich bekenne", gibt sie zurück.

Mehrere Stunden später, auf dem Flur des Gerichts, wird Tim Wosnitza sagen: "Ich weiß nicht, ob ich ihr die Reue abnehmen soll. Ich muss das erst mal alles verdauen. Da ist viel rausgekommen, was ich selbst noch nicht wusste."

Die Angeklagte, so sagt im Prozess ein Sachverständiger aus, muss ihre Sorgfaltspflichten grob verletzt haben. Während die Ärztin selbst ausschließt, Carolin Wosnitza unzureichend beatmet zu haben, ist sich der Professor sicher: "Die allerwahrscheinlichste Ursache ist: Die Beatmung hat nicht korrekt funktioniert, und das wurde nicht bemerkt, weil Werte nicht überwacht wurden wie erforderlich." Das Anästhesie-Protokoll sei nachlässig ausgefüllt worden, zudem fehlte bei der Operation eine Assistenz für die Narkoseärztin.

800 Gramm Silikon pro Brust

"Bei Carolin Wosnitza könnte sich der Sauerstoffmangel über 20 Minuten aufgebaut haben", sagt der Sachverständige. Es sei aber Hauptaufgabe des Narkosearztes, kontinuierlich Beatmung, Blutdruck und Sauerstoff zu prüfen. Auch deshalb muss sich Marion F. nun allein verantworten - die Ermittlungen gegen den Chirurgen wurden eingestellt.

Sie sitzt zusammengefallen da während der Aussage des Gutachters, die Züge angespannt, eine gezeichnete Frau. Nach Carolin Wosnitzas Tod ist sie schwer depressiv geworden, wurde mit Alkohol am Steuer erwischt, musste ins Gefängnis. Sie ist hochverschuldet, hat ihren Beruf aufgegeben. Es gibt viele Kollegen, die schon die Operation an sich kritisch sehen. "Es gibt ganz klar Fälle, da muss ein Arzt zum Wohle des Patienten Eingriffe ablehnen", sagt etwa Sven von Saldern, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie. "800 Gramm Silikon pro Brust für eine so zarte Person: Zu so einem Eingriff hätte es ein verantwortungsvoller Arzt nicht kommen lassen dürfen".

"Haben Sie auch Ihre Approbation zurückgegeben?", lautet die letzte Frage des Staatsanwalts an Marion F. "Die möchte ich eigentlich nicht abgeben", sagt sie. Das Urteil wird in einer Woche erwartet.

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