Süddeutsche Zeitung

Versteckspiel-WM:Ich komme!

Lesezeit: 2 min

Nicht nur Kinder sind leidenschaftliche Versteckspieler. Auch Erwachsene, wie die Weltmeisterschaft in Italien beweist. Warum eigentlich?

Von Martin Zips

Eigentlich ist das ganze Leben nichts anderes als ein großes Versteckspiel. Ständig versteckt der Mensch seine Fehler, seine Liebe, seinen Bauch, sein wahres Ich. Kein Wunder, denn: "Kein Ding sieht so aus, wie es ist. Am wenigsten der Mensch, dieser lederne Sack voller Kniffe und Pfiffe" (Wilhelm Busch). Also muss permanent verheimlicht und verborgen werden. Schon Kinder üben das ein.

Gerade fand in der norditalienischen "Geisterstadt" Consonno wieder die Weltmeisterschaft im Versteckspiel statt. Kinder (außer Konkurrenz) und Erwachsene (im Wettbewerb) traten gegeneinander an. Seit acht Jahrzehnten gibt es diese WM, bereits zum zweiten Mal wurde sie auf einer Wiese nahe dem verlassenen Ort in der Lombardei ausgetragen. Was früher mal eine rein italienische Veranstaltung war, stößt mittlerweile auf weltweites Interesse: Unter den 80 Teams sollen sich auch welche aus den USA, Japan und Australien befunden haben. Lediglich der viel zu starke Regen verdarb den Anwesenden ein bisschen die Laune: Nur die Hälfte der Angereisten blieb bis zum Ende des Wettbewerbs. Die ersten drei Plätze holten Mannschaften aus Italien.

"Pronti o no, vengo a cercarvi!", rufen italienische Kinder, wenn die Suche losgehen soll: "Ob ihr bereit seid oder nicht, ich suche euch jetzt." In Deutschland freilich belässt man es nicht beim Ungefähren, hier werden deutlich klarere Regeln vorgegeben: "Eins, zwei, drei, vier, Eckstein / alles muss versteckt sein / hinter mir und vorder mir / da gilt es nicht / und an beiden Seiten nicht! / Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn - ich komme!" Da bleibt keine Frage offen (höchstens die Frage, was ein Eckstein ist, aber so was kann man sich heute ja selbst als Achtjähriger schnell mal googeln.)

Versteckspiele unter Erwachsenen können problematisch sein

Das Versteckspiel jedenfalls gehört zum Menschen wie Essen, Trinken und vieles mehr. Meist versammeln sich die Teilnehmer an einem zentral gelegenen Baum. Einer zählt, die anderen verkrümeln sich. Dann wird gesucht und angeschlagen, was das Reglement hergibt. In Consonno verwendeten sie zum Anschlagen übrigens aufblasbare Riesenfurzkissen statt Bäumen, damit sich die Teilnehmer (zwischen 18 und 56 Jahren alt) nur keine Frakturen holten.

Denn das stimmt ja auch: Was bei Kindern einfach nur ein großer Spaß ist, wird im Laufe des Lebens immer delikater. Ob in Verdis "Rigoletto" oder in Billy Wilders "Manche mögen's heiß", ob in Steven Soderberghs "Sex, Lügen und Video" oder in Vladimir Nabokovs "Lolita" - Beispiele für die durch Versteckspiele im Erwachsenenalter ausgelösten Schlamassel gibt es doch genügend.

Kinder, die etwas ausgefressen haben, neigen übrigens dazu, sich ihre Hände vor die Augen zu halten. Da sie nun nichts mehr sehen, glauben sie, auch vor dem anderen versteckt zu sein. Ein interessanter Trick, der in einem Leben voller Kniffe und Pfiffe vielleicht doch noch das ein oder andere Schlupfloch frei hält.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3661493
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.09.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.