Chile: Verschüttet unter Tage:Putzmunter und stimmgewaltig

Als die 33 eingeschlossenen Bergleute erfahren, dass auch alle anderen Kumpel überlebt haben, erklingen in der Tiefe Jubelgesänge. Dass sie womöglich bald ihre Jobs los sind, ahnen die Verschütteten noch nicht.

Die seit 18 Tagen unter Tage eingeschlossenen 33 Bergleute in Chile haben zum ersten Mal frisches Wasser sowie Nahrung und Medikamente erhalten - und vertreiben sich die Zeit in 700 Metern Tiefe unter anderem mit Jubelgesängen. Über einen Schlauch wurden die Vorräte in den Raum geschickt, in dem die Bergleute bei relativ guter gesundheitlicher Verfassung auf ihre Rettung warten. Bis auf einen Mann, der unter Bauchschmerzen leidet, fühlten sich alle hungrig, waren ansonsten aber wohlauf.

Verschüttete chilenische Bergleute leben

Angehörige feiern das erste Lebenszeichen der Verschütteten. Nun brauchen sie viel Geduld: Bis zu vier Monate könnten die Bergungsarbeiten dauern.

(Foto: dpa)

Als Nahrung wurde ihnen eine Glukoselösung geschickt. Die Medikamente sollen Magengeschwüre verhindern. Über Funktelefon konnten die Kumpel den Helfern und Regierungsvetretern von ihren Überlebensstrategien der vergangenen Tage berichten.

"Sie haben alle 48 Stunden zwei Löffel Thunfisch gegessen und ein halbes Glas Milch getrunken", sagte Isabel Allende, die Senatorin für die Nord-Region, in der die Mine liegt.

Allende zufolge gab jeder Bergarbeiter in einer individuellen, über die Sonde nach oben geleiteten Botschaft Auskunft über seinen Gesundheitszustand. "Es war bewegend, diese von jedem einzelnen geschickten Röllchen zu sehen", sagte die Tochter des 1973 ermordeten chilenischen Präsidenten Salvador Allende.

Bergbauminister Laurence Golborne sagte, die Männer hätten in den vergangenen Tagen das Wasser getrunken, das von den Höhlenwänden lief. "Sie haben nach Nahrung und Zahnbürsten verlangt und nach etwas für ihre Augen", die unter dem Staub leiden.

Die Bergarbeiter harren seit dem 5. August in knapp 700 Metern Tiefe unter Tage aus. Damals stürzte die kleine Gold- und Kupfermine San José am Rand von Copiapo in der Atacama-Wüste, etwa 850 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago, ein. Am Sonntag schickten die Verschütteten über eine Sonde zwei kleine Briefe als erstes Lebenszeichen an die Außenwelt und lösten damit einen landesweiten Freudentaumel aus.

Euphorie nach guter Nachricht

Das chilenische Fernsehen zeigte am Montagabend Bilder von Golborne und den Rettungskräften, die um einen Telefonhörer herumstehen und mit den Verschütteten sprechen. "Herr Minister, es geht uns allen gut", sagte einer der Bergleute, der sich als "Luis Urzua, Schichtleiter" vorstellte. Der Arbeiter fragte den Minister nach dem Schicksal der Kollegen, die zum Zeitpunkt des Einsturzes der Mine auf dem Weg nach draußen waren. "Alle sind unversehrt herausgekommen", sagte Golborne. "Es gab keine Opfer."

Die Verschütteten reagierten auf die Nachricht mit lautstarkem Jubel und riefen den bei Sportveranstaltungen üblichen Schlachtruf "Chi-chi-chi Le-le-le". Dann sangen sie die Nationalhymne.

Lohnauszahlung ungewiss

Kollegen gehen davon aus, dass die Verschütteten sich in einem 1,5 bis 1,8 Kilometer langen Abschnitt aufhalten. "Sie haben genügend Platz da unten", sagte der Bergarbeiter Gine Enzano. "Da passen locker mehr als 50 Menschen mitsamt Maschinen rein." Eine in die Mine heruntergelassene Mini-Kamera zeigte die schwitzenden Bergleute mit nackten Oberkörpern in dem in 700 Metern Tiefe gelegenen Schutzraum. Dort ist es bei Temperaturen von bis zu 36 Grad Celsius feuchtheiß.

Chile: Verschüttet unter Tage: Brief an den Vater in 700 Metern Tiefe: Romina Gómez wird ihre Nachricht durch eine Sonde schicken.

Brief an den Vater in 700 Metern Tiefe: Romina Gómez wird ihre Nachricht durch eine Sonde schicken.

(Foto: AFP)

Laut dem mit der Leitung der Bergungsarbeiten betrauten Chefingenieur Andres Sougarret braucht es mindestens vier Monate und stärkere Bohrmaschinen, um einen Schacht in den instabilen Grund zu bohren, der für die Bergung der Männer breit genug wäre. Eine dazu verwendbare Bohrmaschine traf am Montag am Ort der Unglücksmine ein. Vor der Bohrung muss laut Sougarret eine Studie über die Bodenbeschaffenheit angefertigt werden. Es müsse geklärt werden, an welcher Stelle durch die Bohrung keine weiteren Einstürze verursacht werden.

Der Minenbetreiber, die chilenische Gruppe San Esteban, teilte derweil mit, sie werde die Löhne der Verschütteten vermutlich nicht weiterzahlen können. "Das ist schwierig", sagte einer der Firmenchefs, Alejandro Bohn, dem Radiosender Cooperativa auf eine entsprechende Frage. "Es hängt von unseren Gesprächen mit den Behörden ab." Die Firma sei nicht groß, und die nun stillgelegte Mine San José sei die einzige, die das Unternehmen betreibe.

Bankrott möglich

Nach Angaben des Anwalts der Firma, Hernan Tuane, könnte San Esteban angesichts der Zahlungsschwierigkeiten den Bankrott erklären. Die Unglücksmine bei Copiapo wurde erstmals im Jahr 1889 in Betrieb genommen und 2007 nach einem tödlichen Unfall zunächst geschlossen. Erst im vergangenen Jahr wurde die Mine wieder eröffnet.

Allein in diesem Jahr kamen in Chile bislang 31 Bergarbeiter ums Leben. Präsident Pinera kündigte eine Verschärfung der Sicherheitsvorschriften in den Minen des Landes an.

Kritiker bezichtiegn ihn nun der Scheinheiligkeit. Die italienische Tageszeitung La Repubblica etwa nannte den Bergbau "eine staatlich gebilligte Falle". Der Andenstaat, dessen Minen seit den Zeiten der Inkas berühmt sind, sei nicht nur führend in der Gewinnung von Kupfer und Gold. Chile halte auch den skandalösen Rekord für nicht beachtete Sicherheitsmaßnahmen. Der Präsident habe in Eile eine Revision der Minen angeordnet und den bisherigen Verantwortlichen geschasst. Dabei sei "er es doch gewesen, der die staatlich gebilligte Falle aus Kupfer und Gold wieder hatte öffnen lassen."

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