Vermisste Studenten in Mexiko:Menschenrechtler: Mexikanische Behörden ließen Verdächtige foltern

Second report of the Interdisciplinary Group of Independent Exper

"Uns fehlen 43!": Kritik an den Behörden am Rande der Vorstellung des Expertenberichts in Mexiko-Stadt.

(Foto: dpa)
  • Die von der Regierung beschuldigten Verdächtigen im Fall der verschwundenen Studenten in Mexiko sind einem Bericht nach systematisch gefoltert worden.
  • Unabhängige Experten werfen der Regierung die Behinderung ihrer Ermittlungen vor.
  • Die Regierung macht korrupte Mitglieder der lokalen Polizei verantwortlich; Kritiker gehen davon aus, dass auch Bundespolizei und Armee verwickelt sind.

Im September 2014 verschwanden in der mexikanischen Stadt Iguala im Bundesstaat Guerrero 43 Studenten - seitdem fehlt von ihnen jede Spur. Die Regierung zeigte sich trotzdem zuversichtlich, den Fall aufklären zu können: Mehr als 120 Verdächtige wurden festgenommen, unter ihnen Mitglieder der Drogenmafia und mutmaßlich korrupte Lokalpolizisten. Nach Angaben der mexikanischen Regierung sollen sie die Studenten festgenommen und dann an Drogenkriminelle übergeben haben. Diese sollen sie umgebracht und verbrannt haben.

Viele Angehörige der Studenten, die am politisch links geltenden Lehrerseminar in Ayotzinapa studierten, glauben dieser Version jedoch nicht. Der Bericht einer unabhängigen Expertengruppe scheint ihnen nun recht zu geben: In ihrem 605-seitigen Abschlussbericht zeigt die Expertengruppe GIEI Ayotzinapa, die von der Inter-Amerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) beauftragt wurde, dass mehrere Festgenommene von den Behörden gefoltert wurden. Auch habe die Regierung unabhängige Ermittlungen behindert.

Fast mit Plastiktüte erstickt

Dem Bericht nach weisen 17 der mehr als 120 festgenommenen Verdächtigen Spuren von Schlägen auf, darunter Blutergüsse, Schnitte und Kratzer.

Ein Verdächtiger gab an, er sei mit einer Plastiktüte fast erstickt worden; ein anderer erhielt einer medizinischen Untersuchung zufolge so harte Schläge auf die Ohren, dass die Trommelfelle platzten und er aus den Ohren blutete.

"Das ging stundenlang"

Ein verhaftetes Kartellmitglied bezichtigte die Regierung der Lüge über den Ablauf seiner Festnahme. "Sie drangen ins Haus ein, verprügelten und traten mich. Dann zerrten sie mich in ein Fahrzeug, verbanden mit die Augen, fesselten meine Füße und Hände", sagte er dem Bericht zufolge aus.

"Sie schlugen mich erneut und gaben mir Elektroschocks, sie legten einen Lappen auf meine Nase und gossen Wasser darauf. Sie legten eine Tasche über mein Gesicht, damit ich nicht atmen konnte. Das ging stundenlang weiter", so der Mann dem Bericht nach.

Die Vorwürfe könnten dazu führen, dass es zu keinen Schuldsprüchen im Fall der verschollenen jungen Leute kommt. Unter Zwang gemachte Geständnisse müssen Richter laut Gesetz abweisen. An der Pressekonferenz, auf der der Untersuchungsbericht vorgestellt wurde, nahm kein ranghoher Regierungsvertreter teil.

SMS eines Studenten widerspricht offizieller Version

Präsident Enrique Peña Nieto kündigte in einer Reaktion eine gründliche Prüfung des Berichts an. Erste Ermittlungen zu den Foltervorwürfen laufen bereits.

In ihrem Bericht prangerten die Experten der Inter-Amerikanischen Kommission nicht nur mutmaßliche Folter an. Die Regierung habe auch angeforderte Beweise nur zögerlich bereitgestellt.

Bundespolizei und Armee verwickelt

Neben Ermittlungsfehlern der Staatsanwälte monierten die Fachleute zudem, dass die Behörden offenbar bewusst bei ihrer Darstellung zum Schicksal der Studenten geblieben seien, ohne einer möglichen Verwicklung von Bundespolizisten und der Armee nachzugehen.

In dem Expertenbericht wurde auch erwähnt, dass einer der 43 Studenten seinen Eltern eine SMS-Nachricht schickte - und zwar offenbar Stunden, nachdem er offiziellen Angaben zufolge getötet worden sein soll.

In Mexiko sind seit 2006 mehr als 70 000 Menschen im Krieg gegen die Drogenkartelle ums Leben gekommen, Tausende Menschen werden vermisst.

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