Süddeutsche Zeitung

Verlust der Muttersprache:Chinesin spricht nach Schlaganfall nur noch Englisch

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Sprachverlust nach Schlaganfall

Eine 94-jährige Chinesin spricht nach einem Schlaganfall fließend Englisch. "Aber in ihrer Muttersprache bringt sie nur noch wenige Worte zustande", sagt ihr Arzt Li Yanfang der Deutschen Presse-Agentur in Peking.

Vor einem Jahr sei Liu Jaiyu nach einem Schlaganfall in sein Krankenhaus eingeliefert worden. Nach monatelangem Training habe sie wieder einfache Wörter gelernt. Seit einigen Wochen spreche sie nun ganze Sätze. Die Pfleger hätten sie erst nicht richtig verstanden. Dann sei ihnen aufgefallen, dass die Frau nicht Chinesisch, sondern Englisch sprach. "Wenn sie Besucher bekommt, antwortet sie auf Englisch, selbst wenn sie auf Chinesisch angesprochen wird", sagte Li Yanfang, der die Innere Medizin am Krankenhaus in der ostchinesischen Millionenstadt Changsha leitet.

Frau war Englischlehrerin

Die Fremdsprache kommt nicht aus dem nichts: Die Rentnerin hat in ihrem Berufsleben viele Jahre als Englischlehrerin gearbeitet. "Wir gehen davon aus, dass ihr Sprachzentrum beschädigt wurde", sagte der Mediziner. Vermutlich sei die Region für Englisch in ihrem Gehirn aber nicht oder nur gering in Mitleidenschaft gezogen worden. Das könne erklären, warum sie zwar kaum noch ihre Muttersprache spricht und auf das gelernte Wissen über Englisch ausweicht.

"Der Fall der Rentnerin aus China ist sehr ungewöhnlich"

Nach einem Schlaganfall treten häufig Sprachstörungen auf. Nach Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe (Gütersloh) hat bundesweit etwa ein Drittel der Betroffenen mit Sprachverlust oder -störungen zu kämpfen. Allerdings behielten Patienten meist ihre Muttersprache, es werde eher das Sprechen in Fremdsprachen beeinträchtigt. "Der Fall der Rentnerin aus China ist sehr ungewöhnlich", sagte Mario Leisle von der Stiftung.

"Glück im Unglück"

Li Yanfang hat viele Patienten nach einem Schlaganfall behandelt. Für ihn hat Rentnerin Liu Jaiyu noch Glück im Unglück gehabt. "Vielen Patienten geht es schlechter", sagte er. Dank Englisch könne die Frau immerhin wieder kommunizieren. Noch sei offen, wie die weitere Therapie anschlage. Möglicherweise könne sie irgendwann auch wieder fließend in ihrer Muttersprache Chinesisch sprechen.

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