Vergewaltigungsvorwürfe gegen Strauss-Kahn:Zeugin im Zwielicht

Vergewaltigung oder einvernehmlicher Sex? In der Frage, ob Dominique Strauss-Kahn ein Verbrechen begangen hat, steht das Wort des mutmaßlichen Opfers gegen das des Angeklagten. Deshalb ist der Leumund des Zimmermädchens für die Staatsanwaltschaft so wichtig. Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit zwingen die Anklage nun möglicherweise zum Kompromiss mit der Verteidigung.

Markus C. Schulte von Drach

Es gibt nur eine Chance für Dominique Strauss-Kahn, die Vergewaltigungsvorwürfe einer Angestellten des Sofitel-Hotels in Manhattan abzuwehren. Nur eine Möglichkeit hat er, der Verurteilung zu entgehen und sogar sein Ansehen - wenigstens teilweise - wiederherzustellen: Die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers muss untergraben werden.

Dominique Strauss-Kahn, William Taylor

Sagt Dominique Strauss-Kahn, hier mit seinem Verteidiger William Taylor, die Wahrheit oder stimmen die Aussagen der 32-jährigen Hotelangestellten, die sagt, er hätte sie vergewaltigt?

(Foto: AP)

Genau dazu ist es nun gekommen.

Und obwohl dies das erklärte Ziel von Benjamin Brafman und William Taylor, den Verteidigern von Strauss-Kahn war und ist, sind es nun ausgerechnet die Strafermittler selbst, die von ihrer wichtigsten Zeugin abrücken. Wie konnte es dazu kommen?

Fest steht bislang nur eines: Am 14. Mai kam es in der Suite 2806 des Hotels zu sexuellen Handlungen zwischen dem französischen Sozialisten und dem Zimmermädchen, einer Immigrantin aus Guinea. Etliche Medien hatten berichtet, laut Ermittlerkreisen stamme Sperma auf der Bluse des mutmaßlichen Opfers von dem Politiker. Dem hat die Verteidigung bislang nicht widersprochen. Und die New Yorker Polizei wies lediglich darauf hin, dass vor dem Beginn des Prozesses keine Untersuchungsergebnisse veröffentlicht würden.

Sex ja - aber einvernehmlich?

Doch bei dem, was sich zwischen dem 62-Jährigen und der 30 Jahre jüngeren Frau tatsächlich abgespielt hat, steht Wort gegen Wort. Und die Darstellungen könnten unterschiedlicher kaum sein. Um einvernehmlichen Sex habe es sich gehandelt, erklärt die Verteidigung. Laut Staatsanwaltschaft dagegen hat die Zeugin eine versuchte Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Freiheitsberaubung und erzwungenen Oral- und Analverkehr geschildert.

Mehrfach habe die 32-Jährige versucht, vor dem angeblich splitternackten Politiker aus dem Hotelzimmer, das sie zur Reinigung betreten hatte, zu flüchten. Wie die Anklageschrift festhält, fasste Strauss-Kahn "dem Opfer ohne Einwilligung an die Brust, versuchte, die Strumpfhose herunterzuziehen und griff ihm in den Schritt. Sein Penis hatte gewaltsam zweimal Kontakt mit dem Mund des Opfers."

Hotelmitarbeiter berichteten, die Frau hätte den Vorfall "zerzaust und aufgelöst" an der Hotelrezeption gemeldet. Bevor die alarmierte Polizei das Hotel erreichte, war der Politiker verschwunden - fluchtartig, wie die Ermittler beschrieben, während die Verteidung erklärte, er sei lediglich zu einer Verabredung geeilt. Später hatte er in dem Hotel angerufen, weil er glaubte, dort ein Mobiltelefon vergessen zu haben. Bei der Gelegenheit erfuhr die Polizei, dass er auf dem Weg zum Flughafen war. Zwei Minuten vor dem Start holten ihn Sicherheitsleute aus dem Flugzeug.

Weitere Zeugen für die Vorgänge in Suite 2806 gibt es nicht. Zwar identifizierte das Zimmermädchen Strauss-Kahn am nächsten Tag unter fünf Personen als Angreifer. Doch weder am Körper des Politikers noch des mutmaßlichen Opfers konnten die Ermittler Hinweise auf eine Vergewaltigung wie Verletzungen oder blaue Flecken finden.

Deshalb konzentrierten sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung schnell auf die Glaubwürdigkeit der beiden Beteiligten. Immer wieder wurde in den Tagen nach der Verhaftung darauf hingewiesen, dass es bereits in der Vergangenheit zu Fehlverhalten des Politikers gegenüber Frauen gekommen sei. Die Staatsanwaltschaft erklärte sogar, es gebe Hinweise darauf, "dass er tatsächlich schon einmal ähnlich gehandelt hat wie in dem Fall, der ihm jetzt zur Last gelegt wird".

Insbesondere in Frankreich wurde anlässlich der Vorwürfe das frauenfeindliche Verhalten französischer männlicher Führungspersönlichkeiten diskutiert. Und während vor Gericht ein Angeklagter als unschuldig zu gelten hat, bis seine Schuld erwiesen ist, kostete schon allein der Verdacht der Vergewaltigung Dominique Strauss-Kahn den Posten als Chef des Internationalen Währungsfonds IWF. Seine Kandidatur um die französische Präsidentschaft galt als gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Doch nun zeichnet sich eine Wende ab, die genauso spektakulär sein könnte, wie die Anklage selbst. Denn es scheint Zweifel an der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers zu geben. Und diese jetzt bekannt gewordenen Zweifel hegen nicht etwa die Verteidiger. Es sind die Strafermittler selbst, wie die New York Times berichtet. Gleich zwei - anonyme - Ermittler führt die Zeitung als Quellen an, denen zufolge sogar "der ganze Fall am Rande des Zusammenbruchs stehen" soll. Angeblich wollen Staatsanwälte aus dem Büro des Anklägers Cyrus Vance noch heute vor dem State Supreme Court in Manhattan erklären, sie hätten "Probleme mit dem Fall". Vertreter der Anklage hätten sich sogar schon mit Strauss-Kahns Anwälten getroffen und "diskutiert, die Anklage wegen schwerer Straftaten fallenzulassen".

Irritierende Vorwürfe

Tatsächlich sind die Vorwürfe gegen die alleinstehende Mutter einer jungen Tochter, deren Leumund die Staatsanwaltschaft bislang als ausgezeichnet dargestellt hatte, irritierend. So soll sie seit der ersten Beschuldigung von Strauss-Kahn mehrfach gelogen haben. Dabei ging es allerdings nicht um die Vorwürfe gegen den Politiker. Vielmehr soll sie behauptet haben, ihr Asylantrag würde eine Vergewaltigung erwähnen sowie eine Beschneidung ihrer Genitalien. Offenbar ist das nicht der Fall. Das heißt nicht, dass sie nicht vergewaltigt oder beschnitten wurde. Aber ihre Aussage über das Dokument ist unwahr.

Nichts Neues über die Vorfälle in Suite 2806

Schwerer wiegt noch ein Telefongespräch mit einem Mann, der wegen des Besitzes größerer Mengen Marihuanas im Gefängnis sitzt. Nicht lange nach dem Vorfall im Sofitel-Hotel hatte die Frau mit ihrem Bekannten darüber geredet, welche Vorteile sie aus einer Anklage gegen Strauss-Kahn ziehen könnte. Das Gespräch wurde aufgezeichnet.

Was darüber bislang bekanntgeworden ist, führt zwar nicht zwingend zu der Schlussfolgerung, dass der Franzose Opfer eines Komplotts wurde. Denkbar ist etwa, dass das mutmaßliche Opfer im Nachhinein auf eine möglichst große Entschädigung für erlittenes Leid und Demütigungen hofft.

Denoch untergräbt dieses Verhalten den guten Ruf der Frau. Das gilt auch für die Erkenntnisse der Ermittler, die besagen, dass ihr krimineller Bekannter und andere Personen über die vergangenen zwei Jahre insgesamt 100.000 Dollar auf ihrem Konto deponiert haben und sie selbst jeden Monat Hunderte von Dollars an fünf unterschiedliche Telekommunikationsunternehmen zahlt.

Sie besitze nur ein einziges Telefon, habe sich die Frau verteidigt, und von dem Geld habe sie nicht mehr gewusst, als dass ihr "Verlobter und seine Freunde" es eingezahlt hätten, berichtet die New York Times.

Eines ist klar: Nichts von dem, was über die Frau berichtet wird, sagt etwas darüber aus, was sich tatsächlich am 14. Mai in der Suite 2806 ereignet hat. Doch die Staatsanwaltschaft hatte gerade die Verlässlichkeit und den guten Ruf der Zeugin angeführt, um die Bedeutung der Anklage zu betonen. Unter anderem deshalb musste Strauss-Kahn eine Kaution von sechs Millionen Dollar hinterlegen, er steht unter Hausarrest, muss eine elektronische Fußfessel tragen und seinen Aufenthalt in New York selbst bezahlen.

Nun aber steht die Aussage einer Einwanderin mit Kontakten zum kriminellen Millieu, die sich von der Anklage eine Menge Geld erhofft, den Beteuerungen eines renommierten, weltbekannten Politikers gegenüber.

Wenn die Staatsanwälte tatsächlich daran zweifeln, ob sie sich mit ihrer weitgehenden Anklage durchsetzen können, hoffen sie nun möglicherweise auf einen Kompromiss mit der Verteidigung, mutmaßt Thomas Weigend, Professor für Internationales Strafrecht an der Universität Köln. So könnte man sich eine Hauptverhandlung ersparen und dennoch zeigen, dass der Vorfall in dem Hotel nicht in Ordnung war, erklärte er der dpa. "Die Verteidigung kann sich auf eine Geldstrafe einlassen oder auf einen Freispruch spekulieren."

Sowohl dem Angeklagten als auch der Zeugin bliebe es dann vielleicht erspart, dass vor Gericht eine Menge schmutzige Wäsche gewaschen würde. Auch könnte Strauss-Kahn hoffen, dass bis auf weiteres strenge Auflagen wie Hausarrest oder Fußfesseln aufgehoben würden.

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