Vergewaltigung in Beziehungen:"Ein Sperma-Nachweis sagt gar nichts aus"

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Der Kriminologe Christian Pfeiffer über sexuelle Gewalt in Beziehungen - und Voraussetzungen einer Untersuchungshaft wie im Fall Kachelmann.

Katarina Lukac

Der bekannte TV-Wetterexperte Jörg Kachelmann wird verdächtigt, seine langjährige Freundin vergewaltigt zu haben. Aus der Untersuchungshaft heraus lässt er die Vorwürfe als "falsch und frei erfunden" zurückweisen, der Anwalt der Frau will indessen rechtsmedizinische Beweise vorbringen. Unabhängig davon, wer in diesem Fall das Opfer ist: Die Causa Kachelmann hat sexuelle Gewalt in Beziehungen ins öffentliche Interesse gerückt. Prof. Dr. Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und ehemaliger niedersächsischer Justizminister, sprach mit sueddeutsche.de über diese Problematik .

sueddeutsche.de: Wie häufig kommen Vergewaltigungen in Beziehungen vor?

Christian Pfeiffer: Leider liegt die letzte detaillierte Befragung zu diesem Thema 18 Jahre zurück. Demnach haben 5,7 Prozent aller Frauen sexuelle Gewalt durch den Partner erfahren, von Gewalttätern außerhalb der Familie sind es 4,3 Prozent. Erschwerend hinzu kommt, dass außerfamiliäre Vergewaltigungen - vom Betrunkenen in der Kneipe oder Angreifer im Park - meist einmalig passieren. Innerhalb der Familie kennt die Gewalt aber oft kein Ende. Bei unserer Befragung stießen wir auf Frauen, die wöchentlich von ihrem Partner vergewaltigt wurden. Deutlich nachweisen konnten wir, dass Gewalt in der Familie steigt, wenn der Mann in einer objektiven Krise ist - zum Beispiel nachdem er seinen Job verloren hat. In so einer Situation versucht der Täter, sein angeschlagenes Ego durch sexuelle Gewalt zu stabilisieren.

sueddeutsche.de: Wie viele Frauen entscheiden sich zu einer Anzeige?

Pfeiffer: Wenn der Täter ein Unbekannter ist - also der berüchtigte Auflauerer hinterm Busch - liegt die Anzeigenquote bei fast 60 Prozent. Gehört der Täter zum Kollegen- oder Bekanntenkreis, wird jede vierte Vergewaltigung angezeigt. Innerhalb des Familienkreises sind es 17 Prozent. Und im engsten Familienkreis - wenn der Täter also der eigene Partner ist - entscheiden sich so wenige Frauen zu einer Anzeige, dass wir gar keine zuverlässigen Zahlen haben. Wir reden von einer Anzeigenquote von null bis fünf Prozent. Generell kann man sagen: Je enger das Verhältnis des Opfers zum Täter, desto unwahrscheinlicher ist eine Anzeige.

sueddeutsche.de: Geraten auch unschuldige Männer ins Visier der Ermittler?

Pfeiffer: Natürlich besteht diese Gefahr. Gerade in Beziehungen sind gewaltige Emotionen im Spiel, die auch Racheakte auslösen können. Umgekehrt gilt für die Opfer: Frauen, denen eine Vergewaltigung widerfahren ist, tun gut daran, sofort einen Arzt aufzusuchen und sich etwaige Verletzungen bestätigen zu lassen. Opfer sollten sich sofort an einen Menschen ihres Vetrtauens wenden und haarklein erzählen, was vorgefallen ist. Der Beschuldigte wird natürlich zugeben, mit seiner Frau Geschlechtsverkehr gehabt zu haben - ein Sperma-Nachweis sagt da gar nichts aus. Der Täter mag auch sagen, dass ein Missverständnis vorliege und dass das Paar im Umgang miteinander etwas rau sei - das ist die übliche Verteidigungsstrategie.

sueddeutsche.de: Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit ein mutmaßlicher Täter in Untersuchungshaft kommt?

Pfeiffer: Entscheidend ist, dass außer der Aussage der Frau Indizien vorliegen, die auf eine Vergewaltigung schließen lassen. Die schlichte Aussage "Er hat mich vergewaltigt" würde normalerweise nicht ausreichen, um so einen gravierenden Einschnitt wie eine Untersuchungshaft anzuordnen - zumal bei einer öffentliche Person, bei der man damit ja eine soziale Hinrichtung vollzieht. Das ist jedem Haftrichter klar, der dieses scharfe Schwert wählt. Er tut es nur, wenn es unumgänglich ist. Auch wenn Indizien wie körperliche Merkmale, Zeugenaussagen und ärztliche Gutachten vorliegen, ist die Tat damit natürlich noch nicht bewiesen - wohl aber, dass ein Anlass besteht, dem Verdacht nachzugehen.

sueddeutsche.de: Wie geht die Polizei mit Frauen um, die Anzeige gegen ihre Partner erstatten?

Pfeiffer: In der Regel sehr korrekt und beschützend. Früher waren das auf der Polizeiwache lüsterne Großereignisse, die Frauen wurden zum zweiten Mal Opfer. Heute führen Polizeibeamtinnen die Vernehmung durch, es werden sofort medizinische und psychologisch geschulte Sachverständige hinzugezogen. Gesellschaftlich werden Vergewaltigungsopfer dagegen oft immer noch wie Aussätzige behandelt. Auf einer Vortragseise in den USA kam einmal eine Studentin auf mich zu und erzählte, sie sei von ihrem Freund vergewaltigt worden. Auf meine Frage hin, warum sie das mir und nicht der Polizei erzähle, antwortete sie, sie wolle nicht behandelt werden wie ein second hand car, also wie ein gebrauchtes Auto. In dieser kleinen, überschaubaren College-Welt hätte diese Frau nach Bekanntwerden der Vergewaltigung keine Chance mehr gehabt, einen neuen Partner zu finden.

sueddeutsche.de: Dann ist es nachvollziehbar, wenn Frauen auf eine Anzeige verzichten.

Pfeiffer: Ich rate trotzdem jedem Opfer unbedingt dazu. Eine Nichtanzeige belastet sie ein Leben lang. Die psychischen Verletzungen nach einer Vergewaltigung durch den Partner sind viel schlimmer als nach einem Missbrauch durch einen Fremden. Wenn man vom eigenen Partner missbraucht wird, entsteht sofort der Reflex, sich zu fragen: "Was habe ich falsch gemacht, dass er so ausgerastet ist?" Die Enttäuschung sitzt so tief, dass ausgerechnet der Mensch, dem man sich anvertaut hat, dem man das Intimste preisgegeben hat, so etwas Grauenhaftes tut. Das lässt einen zweifeln an der eigenen Fähigkeit, den richtigen Partner zu wählen. Die Opfer verlieren jedes Gefühl des In-sich-Geborgenseins. Anzeige zu erstatten kann bei der Bewältigung eines solchen Traumas ungemein helfen. Das Opfer kann mit erhobenem Haupt sein Leben weiterführen.

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