Iran:Vergeltung für Säureanschlag

Ein Mann hat Ameneh Bahrami Säure ins Gesicht geschüttet. Seitdem ist sie entstellt. Laut Gericht sollen auch dem Täter die Augen verätzt werden - durch das Opfer.

Tomas Avenarius

Es ist morgens gegen zehn, die ersten Flaneure und Touristen füllen die Ramblas. Gaukler und Pantomimen machen sich warm, legen ein paar Münzen in die Schalen vor ihren Füßen, zur Ermunterung.

Iran: Das Gesicht von Ameneh ist wächsern, bleich, zugleich an vielen Stellen gerötet. Rechts hat sie ein Glasauge, links ist die Augenhöhle eingefallen. Dennoch macht sich die Frau zurecht, schminkt sich.

Das Gesicht von Ameneh ist wächsern, bleich, zugleich an vielen Stellen gerötet. Rechts hat sie ein Glasauge, links ist die Augenhöhle eingefallen. Dennoch macht sich die Frau zurecht, schminkt sich.

(Foto: Foto: AFP)

Auch die lebenden Statuen auf Barcelonas Promenade nehmen ihre erstarrten Posen ein, die Theaterschminke im Gesicht ist noch feucht, die Körper wirken noch ungelenk. Ein Clochard mustert einen Papierkorb. Dazwischen diese eine Stimme. Eine Stimme ohne Gesicht.

Doch, da ist schon ein Gesicht. Aber es ist so entstellt, dass es sich nicht beschreiben lässt, ohne Grauen zu erregen. Was nicht sein soll. Denn Ameneh Bahrami ist eine fröhliche Frau. Trotz alledem.

Amenehs Geschichte geht in Kurzform so: Teheran, September 2004. Ein verschmähter Liebhaber schüttet einer jungen iranischen Frau in einem Park eine Flasche voll Säure ins Gesicht.

Mit Schwefelsäure für umgerechnet drei Euro will Madschid Mohawedi die damals 26-jährige Elektrotechnikerin Ameneh für die ihm verweigerte Liebe bestrafen. Er war mit ihr auf der Uni, kennt die Frau aber kaum. Er hat ihr dennoch einen Heiratsantrag gemacht, ist abgewiesen worden.

Bei dem Säureüberfall werden Amenehs Gesicht, die Augen, die Lippen und die Zunge verätzt. Sogar Teile der Bronchien werden zerstört, weil die Säure bis in den Mund und Rachen gelangt ist. Die Arme, die Hände, das Dekolletee sind ebenfalls verletzt.

"Wie mit kochendem Wasser übergossen"

Wenn Ameneh erzählt, von den Kliniken und karitativen Einrichtungen in Iran und Spanien, von den ständigen Behandlungen, der immer wieder enttäuschten Hoffnung, tastet sie unentwegt mit den Fingern an ihrer Handtasche im Schoß. Sie schaut einen beim Reden an, bewegt den Kopf.

Das erweckt den Eindruck, als ob sie sehe. Aber sie folgt dem Gegenüber nur mit den Ohren. Das Auge, das einen ansieht, ist ein Glasauge. Die andere Augenhöhle ist mit Haut überwachsen, fällt nach innen ein. Die Ärzte haben das Lid rekonstruiert und über den zerstörten linken Augapfel gelegt.

Amenehs Geschichte geht über fast fünf Jahre, ist bis heute nicht zu Ende. Bei dem Angriff fühlt sie Schmerzen, als sei sie "mit kochendem Wasser übergossen worden". Mit diesen fürchterlichen Schmerzen wird sie von einer Klinik zur anderen geschickt, wird falsch behandelt in Iran. Sie landet bei Spezialisten in Barcelona.

Trotz anfänglicher Erfolge der spanischen Mediziner verliert Ameneh dort auch das zweite Auge. Sie war zwischenzeitlich in Barcelona in einem Asyl für obdachlose Frauen gelandet; die mangelhaften hygienischen Zustände dort sollen eine Infektion im wieder ausheilenden rechten Auge verursacht haben.

Ameneh ist inzwischen 31, hofft nach 17 Operationen an Augen, Gesicht und Körper noch immer auf ihr rechtes Auge. Aber die Chancen auf Wiederherstellung der Sehkraft seien "minimal und vom medizinischen Standpunkt praktisch zu vernachlässigen", sagt Dr. Ramon Medel, ihr spanischer Arzt.

Das Teheraner Strafgericht 71 verurteilt unterdessen den Täter. In Iran gilt neben weltlichem auch islamisches Recht: Auf ausdrücklichen Wunsch des Opfers kann die Tat mit Gleichem vergolten werden. "Qisas" nennt das die Scharia, die islamische Rechtsordnung. Es ist das Rechtsprinzip, das im Alten Testament "Auge um Auge, Zahn um Zahn" heißt. Augen um Augen also: Ameneh hat beide Augen verloren. Sie besteht darauf, dass auch dem fünf Jahre jüngeren Täter beide Augen mit Säure verätzt werden. Was das iranische Gericht nach langem Hin und Her in seinem Urteil auch zulässt. Mit fünf Säuretropfen je Auge soll der Täter blind gemacht werden. Unter Betäubung und Aufsicht eines Arztes.

Schaden für das Ansehen des Landes

Der Fall des Säureopfers geht durch die Medien. Er scheint fürs Erste alle gängigen westlichen Meinungen über den Islam und über Iran zu bestätigen - das mit der Scharia, dem Steinigen, den Körperstrafen. Jetzt also auch noch die Augen ausbrennen. Das moderne europäische Rechtsdenken verwirft die persönliche Vergeltung. Strafe dient vor allem dem Schutz der Gesellschaft vor neuen Verbrechen, nicht aber der Rache des Opfers: Vorbeugung steht im Mittelpunkt.

Der Staat bestimmt das Strafmaß, er vollstreckt die Strafe. Das Opfer oder seine Angehörigen haben keinen Anteil daran.

Aber dieser Fall ist ein besonderer. Ja, es geht um Vergeltung, um Recht in seiner archaischen, seiner islamischen Form. Aber die Teheraner Richter haben versucht, Ameneh zur Annahme einer finanziellen Entschädigung von Seiten der Familie des Täters zu bewegen, haben das Urteil lange hinausgezögert. Erfolglos.

Ayatollah Machmud Haschemi Schahrudi, der oberste Justizchef der Islamischen Republik, hat persönlich mit dem Opfer gesprochen. Der Geistliche hat der Frau nahegelegt, die umgerechnet 20.000 Euro Sühnegeld anzunehmen. Vergeblich: "Schahrudi war sehr nachdrücklich. Er sagte, ich würde dem internationalen Ansehen meines Landes schaden", sagt Ameneh.

Brutaler Vollzug des islamischen Rechts

Sie blieb hart. "Es geht mir nicht um Rache. Es geht um Abschreckung. Was ich erlitten habe, soll keiner anderen Frau in Iran zustoßen", sagt sie. Es ist also eine Frau, die auf dem brutalen Vollzug des islamischen Rechts besteht. In einer Gesellschaft, der man vorwirft, die Frauen grundsätzlich als Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Die gängigen Linien verwischen damit. Ameneh betont, sie denke an den Schutz der Frauen vor den Männern: Säureanschläge seien schließlich sehr häufig in muslimischen Ländern.

Lektionen für Irans Männer

Das Urteil ist längst rechtsgültig. Es geht nur noch darum, wann es vollstreckt wird. Ameneh sagt: "Im Juni werde ich in Barcelona noch einmal operiert. Die Ärzte wollen die obere Hälfte meines Gesichts wiederherstellen, soweit es irgend geht. Dann fliege ich zurück nach Teheran, dann wir es geschehen."

Iran: Ihre Lebensfreude hat sie sich erhalten, trotz und mit diesem zerstörten Gesicht - obwohl ihre Lebensträume zerstört sind, sie in einem ihr fremden Land lebt und sie abhängig bleibt von Mitleid und Almosen.

Ihre Lebensfreude hat sie sich erhalten, trotz und mit diesem zerstörten Gesicht - obwohl ihre Lebensträume zerstört sind, sie in einem ihr fremden Land lebt und sie abhängig bleibt von Mitleid und Almosen.

(Foto: Foto: Getty)

Zwischen Teheran und Barcelona liegen Welten. Amenehs Mutter sitzt mit ihrem Mann und einer ihrer drei Töchter im Wohnzimmer. Die Bahramis sind kleine Leute, der Vater ist frühpensioniert, der Fernseher der einzig sichtbare Luxus. Shahin Bahrami, die Mutter, sagt: "Der Täter hat sich nie entschuldigt für seine Tat. Auch seine Familie hat dies nicht getan. Warum? Jetzt wollen sie bezahlen, um seine Augen zu retten. Diese Leute haben kein Geld. Woher sollen sie es nehmen? Wie können wir diesen Leuten vertrauen?"

Die Bahramis kramen Fotos heraus, bringen Belege für das ihnen Geschehene herbei, versuchen Verständnis zu erwecken. Amenehs Mutter geht die Bilder durch. Sie zeigen eine fröhliche Frau unter einem Sonnenschirm in einem Fotostudio, Kunsttapete mit Strand als Hintergrund: das Gesicht einer jungen Frau, große Augen, lachend, ein bisschen drall, das Leben genießend. Die Mutter hat Zeitungsausschnitte gesammelt, die die Tat schildern. Sie blättert sie mehrfach durch. Amenehs Mutter sagt: "Eine Freundin meiner Tochter hat vor zwei Tagen gerade geheiratet. Das schmerzt."

"Kein Urteil ist angemessen genug"

Ein Bekannter von Ameneh ist auch gekommen. Er sagt: "Kein Urteil ist angemessen genug nach dieser Tat. Denn Ameneh muss mit den Folgen zurechtkommen, ihr ganzes Leben lang. Aber sie sollte dem Mann die Augen nehmen. Oder sie sollen ihn einfach hinrichten. Damit die Männer in Iran Angst bekommen vor der Säure. Damit sie ihre Lektion lernen."

Was ist das? Recht, Rache, Abschreckung? 1981 hat eine Deutsche, Marianne Bachmeier, den Mörder ihrer Tochter in einem Lübecker Gerichtssaal erschossen. Der Mann hatte das siebenjährige Mädchen erdrosselt, vorher hatte er es angeblich missbraucht. Auch auf der Anklagebank hatte der Mörder keine Reue gezeigt. Marianne Bachmeier wurde für ihre Rachetat zu sechs Jahren verurteilt, nur drei davon verbrachte sie im Gefängnis. Verurteilt worden war sie nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags, mit mildernden Umständen.

Viele Deutsche hatten Marianne Bachmeier damals verstanden, haben ihre Tat gebilligt. Einige schickten ihr Geld für den Rechtsanwalt. Die Menschen hatten Mitgefühl mit der trauernden Mutter, die Rache übte. Das ist menschlich, aber es hat seinen Grund, dass der Staat die Entscheidung über Recht und Unrecht und das Strafen nicht dem Opfer überlässt. Diesen Schritt geht das islamische Recht nicht. Es reglementiert, aber es lässt der Vergeltung bewusst ihren Raum.

Eine 31-Jährige sieht anders aus

Ameneh jedenfalls will das Urteil selbst vollstrecken. "Obwohl ich blind bin, habe ich inzwischen gelernt, mir Augentropfen in meine eigenen Augenhöhlen zu träufeln. Also kann ich auch ohne Hilfe Säure in seine Augen spritzen." Um sich besser zu erklären, fügt sie hinzu: "Viele, sogar meine eigene Mutter, wollen das für mich tun. Aber wer mir solche Hilfe aus ehrlichem Mitgefühl anbietet, kann im Herzen kein schlechter Mensch sein. Also muss ich es selbst tun." Sie meint, "ein mitleidiger und guter Mensch ist am Ende nie stark genug, das Urteil zu vollziehen".

Ameneh geht oft durch Barcelona, am Arm ihrer jüngeren Schwester. Die Schwester sieht so aus, wie Ameneh früher ausgesehen hat. Hübsch, fröhlich. Mit großen Augen, vollen Lippen, schwarzen, dichten Haaren. Amenehs Haare sind dünn, matt, ausgefranst. Sie trägt sie sehr kurz, der Haaransatz ist schütter. Auch das kommt von der Säure. Die Zähne stehen schief, denn die ätzende Flüssigkeit hat Zahnfleisch und Kiefer angegriffen. Ameneh sieht nicht aus wie eine 31-Jährige. Sie sieht aus wie eine sehr alte, kranke Frau.

Ihre Lebensfreude hat sie sich erhalten, trotz und mit diesem zerstörten Gesicht. Obwohl ihre Lebensträume zerstört sind, sie in einem ihr fremden Land lebt, die Sprache kaum spricht, abhängig bleibt von Mitleid und Almosen. Sie sagt: "Warum sollte ich denn nicht heiraten können? Ich hatte schon zwei Bewerber, seitdem ich in Barcelona bin. Aber es waren beides alte Männer. Das will ich nicht."

Lebensfreude und Rache

Iran: Bilder von früher: Im September 2004 schüttete ihr ein verschmähter Liebhaber in einem Park in Teheran eine Flasche voll Säure ins Gesicht.

Bilder von früher: Im September 2004 schüttete ihr ein verschmähter Liebhaber in einem Park in Teheran eine Flasche voll Säure ins Gesicht.

(Foto: Foto: AFP)

Wenn sie nicht bei ihren Ärzten ist, geht Ameneh am liebsten in die Kaufhäuser. Sie läuft dann mit ihrer Schwester oder ihren neuen spanischen Freundinnen durch die Textilabteilungen, fühlt in den Auslagen und Regalen: "Ich fasse alle Sachen an. Die Kleider, die Schuhe, alles. Dann stelle ich mir vor, was die Menschen hier so anziehen." Danach setzt sie sich in die Cafés und Bars in ihrem Viertel oder an den Ramblas: "Ich bin gerne mitten drinnen. Ich höre die Menschen, das Leben, den Betrieb um mich herum." Dr. Medel, der spanische Arzt, sagt: "Diese Frau erstaunt mich immer wieder. Sie gewinnt dem Leben etwas ab. Sie will immer weitermachen mit den Operationen. Es kann ihr gar nicht schnell genug gehen. Sie ist eine sehr starke Frau." Und wenn man den Arzt fragt, wie er damit zurechtkomme, als Mediziner einer Frau zu helfen, die einem anderen Menschen das Augenlicht bewusst nehmen will, dann schüttelt Medel den Kopf, zuckt mit den Schultern: "Ich weiß selbst nicht, was ich denken soll. Was wäre, wenn das meiner Tochter widerfahren wäre? Es ist richtig, dass das Gesetz bei uns diese Einschränkungen macht."

"Jetzt, nicht im Paradies"

Ameneh könnte dem Täter noch immer verzeihen, bis zum letzten Moment. Sie kann das Schmerzensgeld in der Sekunde vor dem Urteilsvollzug annehmen, bevor dem Täter die Augen ausgebrannt werden sollen. Aber sie wiederholt, was sie vorher schon so oft gesagt hat: "Mir geht es nicht um Rache. Ich mache das zur Abschreckung. "Wenig später allerdings sagt sie: "Ja, es geht auch um Rache. Im Islam heißt es, dass dem Menschen die Vergebung von Gott im Paradies mit Gutem vergolten wird. Ich lebe jetzt. Wenn Gott mir etwas Gutes tun will, soll er mir meine Augen wiedergeben. Jetzt, nicht im Paradies."

Und Amenehs Gesicht? Es stimmt, es lässt einen erschaudern. Es ist wächsern, bleich, zugleich an vielen Stellen gerötet. Unter der Brille rechts das Glasauge, links die eingefallene Augenhöhle. In deren Mitte ist ein winziges Loch, aus dem permanent Tränenflüssigkeit austritt. Aber man gewöhnt sich schnell an dieses Gesicht. Man nimmt es anders wahr: Es lacht fast ständig. Und da ist noch etwas: Ameneh hat sich geschminkt. Sie hat Lippenstift aufgetragen für die Ramblas. In kräftigem Rosa.

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