Ohne die Hunde wäre Heinz W. vielleicht nie ins Gefängnis gekommen. Zwei Mal täglich müssen die beiden Bernhardiner raus. Es sind die frühen Sechzigerjahre. Heinz W., damals 18, mag die Hunde, aber noch mehr mag er die Männer, die am Gartentor auf ihn warten. Sie laufen nebeneinander, Heinz und der Mann, die Tiere in Sichtweite, hinein in den Wald, immer tiefer. An die Stellen, die das Sonnenlicht nur mit Mühe erreicht. Dorthin, wo keine Spaziergänger stören.
Sie hat es mitbekommen. So wie sie vieles mitbekommen hat. Die Hundespaziergänge. Den Besuch des Innendekorateurs, der schon Mitte 20 ist, den Heinz W. auch so gerne mag und mit dem er zu Hause im Wohnzimmer den Biedermeierstuhl bezogen hat. Irgendwann im Winter 1961 setzt sie einen Brief an das Jugendamt auf. Sie käme nicht mehr zurecht mit ihrem Sohn, schreibt Franziska W. Seine Lehrstelle sei in Gefahr.
Im Spätherbst 2014 sitzt Heinz W. in seiner Wohnung im Außenbezirk einer süddeutschen Stadt. Antike Tische stehen im Zimmer, an der Wand hängt Barockkunst. Der 71-Jährige ist noch immer ein attraktiver Mann. Und er ist, auch wenn es wegen der Verjährung nicht mehr im Führungszeugnis steht: ein verurteilter Straftäter. Wegen Vergehens gegen den früheren Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches.
Als Heinz W. jung ist, sprechen die Menschen nicht gerne über Homosexualität. Man sagt "175er-Schweine", "Hinterlader" oder "Arschficker". Dabei, sagt Heinz W., wusste er damals gar nicht, was das ist, ein Arschficker. Masturbiert habe er mit anderen Männern, das ja, aber mehr nicht. Denn da war immer die Angst. "Ein richtiges Denunziantentum gab es", sagt Heinz W. "Wir waren alle geduckt, aus Angst, es wird darüber gesprochen."
Besuch von der Kripo
Ein paar Tage, nachdem seine Mutter den Brief abgeschickt hat, steht die Kriminalpolizei in der Tür. Ein Beamter nimmt Heinz W. mit auf die Wache. Fingerabdrücke werden genommen, Fotos gemacht, dann darf er heim. Aber es geht weiter. Immer neue Briefe, Vorladungen. Mit wem hast du dich getroffen? Was habt ihr gemacht? Schließlich gibt Heinz W. zu, dass er mit einem Mann im Kino war und dass sie sich gestreichelt haben.
Der Fall geht vor Gericht. In der Anklage steht, "ein neben ihm sitzender Mann habe ihn in wollüstiger Absicht über den Oberschenkel gestrichen". Und weiter: Er habe "in 5 rechtlich selbstständigen Handlungen mit anderen Männern Unzucht getrieben". Unzucht getrieben. Schon die Worte machen W. heute wütend.
Unzucht - wie das schon klingt: die Klageschrift.
(Foto: Dorfer, Tobias)Im niedersächsischen Wolfenbüttel sitzt Helmut Kramer und ärgert sich genauso. Kramer, 84 Jahre alt, hatte in den sechziger Jahren als beisitzender Richter in Braunschweig einen Berufungsfall auf dem Tisch. Ein "sehr korrekter" Soldat war vom Amtsgericht wegen Unzucht nach Paragraf 175 zu einem Jahr Haft verurteilt worden. "Im Urteil wimmelte es von Beschimpfungen", erzählt Kramer.
Damals erreichte er, dass die Strafe auf ein halbes Jahr reduziert wurde. Freisprechen konnten sie den Mann nicht. Er hätte in der nächsten Instanz eine höhere Strafe befürchten müssen. Der Mann tut ihm heute noch leid, sagt Kramer. Für die Rechtsprechung in der jungen Bundesrepublik hat Kramer nur ein Wort: "Menschenfeindlich".