Vereitelter Amoklauf in Köln - Kritik an Polizei:"Naivität" und "Verschleierung von Tatsachen"

Nachdem ein Jugendlicher nach einer Vernehmung Selbstmord begangen hat, steht die Kölner Polizei nun massiv in der Kritik. Ihr wird sogar Mitschuld am Selbstmord eines Jugendlichen gegeben.

Nach dem Amok-Alarm an einem Kölner Gymnasium und dem Selbstmord eines verdächtigen Schülers ist die Polizei massiv unter Druck geraten. Psychologen und Presse warfen den Beamten vor, sie hätten den Selbstmord des 17-Jährigen möglicherweise mitverschuldet. Nach Berichten zweier Zeitungen war der 17-Jährige aus einem Gespräch mit Beamten entwischt.

Vereitelter Amoklauf von Köln; dpa

Gymnasium in Köln-Weiden: Polizei weist Kritik an der Ermittlungsarbeit im Fall der beiden Tatverdächtigen Jugendlichen zurück.

(Foto: Foto: dpa)

Zudem habe sich die Polizei bei einer Pressekonferenz am Sonntagabend vorschnell gefeiert, hieß es von Kritikern. Die Kölner Staatsanwaltschaft nahm die Polizei in Schutz. Ein zweiter verdächtiger, 18 Jahre alter Schüler, war vorübergehend festgenommen worden, ist inzwischen aber wieder auf freiem Fuß.

Am Montagabend war bekanntgeworden, dass die 17 und 18 Jahre alten Schüler ihren Attentatsplan bereits vor Wochen aufgegeben hatten. Der jüngere Schüler hatte am Freitag nach einer Vernehmung Selbstmord begangen.

Das nahmen Kölner Medien zum Anlass, der Polizei "Verschleierung von Tatsachen" vorzuwerfen. "Was hat denn die Kölner Polizei eigentlich verhindert?", fragte der Express am Dienstag in seinem Kommentar.

"Und warum haben sich die Beamten in einer Pressekonferenz selbst gefeiert, obwohl sie längst wussten, dass die beiden Jugendlichen ihre Pläne verworfen haben? Warum ließen sie die Schulministerin nach Köln vor Ort reisen, um dort ein Loblied auf die meisterliche Polizeiarbeit anzustimmen? Die Presseerklärung von Staatsanwalt Willwacher entlarvt die Angaben der Polizei als eine denkwürdige Verschleierung von Tatsachen."

Der Kölner Stadt-Anzeiger warf der Polizei "Naivität" vor: "Die neuen Erkenntnisse lassen das Geschehen in einem anderen Licht erscheinen und provozieren geradewegs die Frage: Hätten die Beamten den Selbstmord verhindern können?"

"Wollten rasch einen publikumswirksamen Erfolg"

Kritik kam auch von Kollegen. Der Münchner Polizeipsychologe Georg Sieber bewertete das Vorgehen der Kölner Polizei negativ.

"Die Fahnder wollten rasch einen publikumswirksamen Erfolg präsentieren", sagte Sieber der Berliner Zeitung. "Wenn es ihnen um den Jugendlichen gegangen wäre, hätten sie anders reagiert." Sieber sieht als eine der Ursachen den hohen Erwartungsdruck. "Wenn es Präventivkampagnen gibt, wie zuletzt nach dem Schulmassaker in Finnland, kommt es auch vermehrt zu handwerklichen Fehlern", sagte der Psychologe.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Klaus Jansen regte an, Gymnasien auf eine erhöhte Gefahr von Amokläufen zu untersuchen. "Bei den Fällen von Schulgewalt in Deutschland stehen meistens Gymnasien in den Schlagzeilen", sagte der BDK-Vorsitzende. "Es muss untersucht werden, ob hier der Leistungsdruck und die Angst, abgehängt zu werden, besonders stark sind oder es mehr als an anderen Schulformen zu Mobbing kommt."

Internetplattform für anonyme Hinweise

Jansen sieht jedoch auch positive Entwicklungen. "Die Sensibilität scheint zu wachsen. Die Schüler haben verstanden, wie wichtig es ist, Sicherheitsbehörden einzuschalten." Der Verbandschef fordert die Einrichtung einer Internetplattform, auf der Bürger Hinweise auf mögliche Gewalttaten abgeben könnten. "Die Polizei kümmert sich dann darum, dass die zuständige Dienststelle die Hinweise erhält."

Er frage sich, warum Kinder und Jugendliche Zugang zu einer Softairpistole oder einer Armbrust haben müssten. Auch seien keine gewaltverherrlichenden Videos oder Computer-Spiele erforderlich, um aus Jugendlichen Erwachsene zu machen.

Sinkende Zahl von Schulpsychologen und Sozialarbeitern

Der Vorsitzende der Gewerkschaft für Bildung und Erziehung (GEW), Ulrich Thöne, sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, Lehrer müssten stärker als bislang darauf vorbereitet werden, mit der Hilf- und Sprachlosigkeit von Schülern umzugehen. Er beklagte, dass die Zahl der Schulpsychologen und Sozialarbeiter "immer weiter abgebaut" werde. "Wir haben ein Bildungswesen, das überhaupt erst Gewinner und Verlierer produziert", kritisierte Thöne. Die Schule müsse "weg vom reinen Paukwissen".

Die Ermittlungen nach dem Selbstmord hatten die Polizei zu einem 18-jährigen Mitschüler geführt. Bei Durchsuchungen der Wohnungen beider Schüler fanden die Ermittler zwei Armbrüste, mehrere Softairwaffen und eine Liste mit den Namen von 17 Lehrern und Schülern, die womöglich dem zunächst geplanten Amoklauf zum Opfer fallen sollten. Die beiden Gymnasiasten sollen sich zudem Informationen über die Herstellung von Rohrbomben beschafft haben.

Gewerkschaft über Vorwürfe empört

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat das Vorgehen der Kölner Polizei im Fall des geplanten Amoklaufs an einem Gymnasium verteidigt. "Das Verhalten der Polizei war korrekt", sagte der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, der Berliner Zeitung. Der "tragische Selbstmord" eines 17-jährigen Verdächtigen sei nicht eine Folge der polizeilichen Ermittlungen, sondern ein alarmierendes Zeichen für die Situation an den Schulen. "Es ist empörend, der Polizei dafür die Schuld in die Schuhe schieben zu wollen", sagte Freiberg.

Der Landesvorsitzende der GdP in Nordrhein-Westfalen, Frank Richter, sagte, nach den Erfahrungen in Erfurt und Emsdetten dürfe die Polizei bei Anzeichen für einen Amoklauf nicht zögern. Zum Handeln der Kölner Polizei habe es keine Alternative gegeben. Mit den Vorwürfen gegen die Polizei dürfe die Bildungspolitik nicht von eigenen Fehlern ablenken.

BDK-Chef Jansen forderte in der Passauer Neuen Presse politische Maßnahmen gegen gewaltverherrlichende Videos und Computerspiele. Die GEW regte eine Konzentration auf die Vermittlung sozialer Kompetenzen im Schulunterricht an.

"Es hat am Freitag keine Hinweise auf eine Suizidgefahr des Schülers gegeben, auch nicht nach einem Gespräch der Schulleitung mit seiner Mutter", verteidigte GdP-Chef Freiberg das Vorgehen der Polizei.

Auch Rolf Kaßauer, Berliner Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, konnte keine Fehler erkennen. "Natürlich stehen Ermittlungsbehörden unter starkem Druck, wenn ein Anschlag im Internet angekündigt wird. Man kann anfangs nicht wissen, ob jemand seine Pläne vielleicht schon aufgegeben hat", sagte Kaßauer.

Anfang November hatte ein 18-jähriger Abiturient im finnischen Tuusula in seiner Schule acht Menschen getötet und später sich selbst erschossen.

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