Verden:Mit Maden durchsetzt

Haft für Ehemann und Tochter einer 49-jährigen Frau, die nach einem Beinbruch auf dem Sofa verhungerte.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Nun gibt es also ein Urteil in diesem unfassbaren Familiendrama im deutschen Norden. Das Landgericht Verden gab am Montagmorgen bekannt, dass ein Mann und seine Tochter wegen Totschlags durch Unterlassen ins Gefängnis müssen, weil sie ihre Frau beziehungsweise Mutter im gemeinsamen Wohnzimmer verhungern und verdursten ließen. Der 50-Jährige muss für sieben Jahre in Haft. Die 18-Jährige bekommt eine dreijährige Jugendstrafe, sie war während der Tragödie noch nicht volljährig. Damit endete fürs Erste ein Prozess, dessen Ursache selbst erprobte Juristen schockierte.

Entsetzt waren zunächst die Polizisten und Sanitäter, die am 19. März 2015 in jene Wohnung in der niedersächsischen Kleinstadt Thedinghausen gerufen worden waren. Auf dem Sofa fanden sie die abgemagerte Leiche einer 49 Jahre alten Frau. Sie wog 26 Kilo, hatte offene, mit Maden durchsetzte Wunden und lag in ihren Exkrementen. Es stank so bestialisch, dass eine Polizistin in der Verhandlung erzählte, sie habe zunächst den Raum verlassen müssen, weil es ihr übel geworden sei. "Nur noch Haut und Knochen" seien übrig gewesen, berichtete sie. "So was hatten wir alle noch nicht gesehen."

Wochen zuvor war die alkoholkranke Frau gestürzt und hatte sich den linken Oberschenkel gebrochen. Danach vegetierte sie bis zu ihrem Tode hilflos vor sich hin, obwohl ihr Mann und ihre Tochter im selben Haus lebten und offenbar sogar neben ihr fernsahen. Die beiden versorgten sie unzureichend mit Essen und Trinken und verständigten die Rettungskräfte erst, als die Frau tot war. Nur die beiden hätten sie retten können, sagte Richter Joachim Grebe. "Ein einziger Anruf hätte gereicht."

Wie es in Niedersachsens Provinz, also mitten im wohlhabenden Deutschland, so weit kommen konnte, darüber sprachen seit September Justiz, Zeugen, Sachverständige und die Angeklagten. Vor allem der jetzt Verurteilte zeigte wenig Emotionen, er wirkte am Anfang teilnahmslos. Seine Tochter weinte, als von ihrer katastrophalen Jugend, dem verwahrlosten Zuhause und der Alkoholsucht der Mutter die Rede war. Die soll jede Therapie abgelehnt haben, auch scheint die zerrüttete Familie in ihrem Wohnort isoliert gewesen sein. Selbst die Großmutter, die offenbar im Parterre des Hauses wohnte, scheint nichts mitbekommen oder zumindest nicht eingegriffen zu haben.

Mann und Tochter hätten spätestens zwei Wochen vor dem Tod der Frau erkannt, dass ihr Zustand lebensbedrohlich sei, befand das Gericht. Sie seien zur Hilfe verpflichtet gewesen. Die Staatsanwaltschaft hatte sogar Haftstrafen von zehn und fünf Jahren gefordert. Die Verteidigung dagegen ist der Meinung, dass allenfalls unterlassene Hilfeleistung vorliege. Sie will vor dem Bundesgerichtshof Revision einlegen.

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