Süddeutsche Zeitung

Verbesserte Flugsicherheit:Black Box in Echtzeit

Lesezeit: 3 min

Stürzt ein Flugzeug ins Meer, kann es oft monatelang dauern, bis der Flugschreiber gefunden wird. Die Lösung könnte eine Black Box sein, die ständig Daten an eine Bodenstation überträgt. Doch das würde gigantische Kosten verursachen.

Von Oliver Klasen

Vier Tage ist es jetzt her, dass Flug MH370 plötzlich vom Radar verschwunden ist. Psychologen bereiten die Angehörigen der 227 Passagiere und zwölf Besatzungsmitglieder schon auf das Schlimmste vor, doch niemand weiß bisher genau, was mit der Boeing 777-200 der Malaysia Airlines passiert ist, die sich auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking befand. War es ein technischer Defekt, der die Maschine ins Meer stürzen ließ? Hat ein Pilotenfehler die Katastrophe verursacht? Der Verdacht, es habe sich um einen Terroranschlag gehandelt, wurde mittlerweile nahezu ausgeräumt.

Für den Kommentator des britischen Guardian ist die Sache klar: Wenn die Technik zur Flugdatenaufzeichnung nicht so veraltet wäre, dann müsste man jetzt nicht wild herumspekulieren. Schon ein normales Smartphone sei wesentlich leistungsfähiger als die Computersysteme, die im Cockpit relevante Angaben sammeln. "Sogar Autos haben heute Breitbandverbindungen, aber moderne Passagierjets - eigentlich die am höchsten entwickelte Form des Transports - steckt immer noch im Funkzeitalter fest", heißt es in dem Artikel.

Jede Black Box, zu deutsch Flugschreiber, besteht aus zwei Teilen: dem Flugdatenrekorder und dem Stimmenrekorder, der die Kommunikation unter den Piloten aufzeichnet. Meistens sind beide Aufnahmegeräte in einem orangefarben lackierten, schuhkartongroßen Behälter untergebraucht, der auch hohen Aufprallgeschwindigkeiten, hohen Temperaturen und hohem Wasserdruck standhält. Damit die Black Box auch gefunden werden kann, wenn sie auf dem Meeresgrund liegt, ist sie mit einem Ortungsgerät (Unterwater Locator Beacon, kurz: ULB) ausgestattet, das Ultraschallwellen aussendet.

Im Falle der Air-France-Maschine, die vor fast fünf Jahren auf dem Flug von Brasilien nach Paris in den Atlantik stürzte, dauerte es allerdings 23 Monate, bis der Flugschreiber auf dem Grund des Ozeans aus mehr als 4000 Meter Tiefe geborgen wurde.

"Blinder Aktionismus"

Bereits kurz nach dem Air-France-Absturz kam deshalb die Forderung auf, Flugdaten aus dem Cockpit per Satellit automatisch an eine Bodenstation zu übertragen. So wären Aufzeichungen über die Leistung der Triebwerke, die elektronischen Systeme an Bord, die Flugmanöver des Piloten und das korrekte Arbeiten des Autopilots zeitnah verfügbar. Diese Daten würden es im Falle einer Katastrophe erlauben, bereits vor Auffinden der Black Box mit der umfassenden Analyse zu beginnen. Das ist besonders dann interessant, wenn - wie im aktuellen Fall - ein Absturz über dem offenen Meer vermutet werden muss und die Black Box verschollen ist.

"Angesichts der technischen Entwicklung heute ist eine solche Lösung lange überfällig. Das würde helfen, den Untersuchungsteams zeitnah Daten zur Verfügung zu stellen. Wir können es nicht immer dem Schicksal überlassen, ob wir die Black Box finden oder nicht", sagt Alan Diehl, ein Experte für Flugunfalluntersuchung, den das Wall Street Journal zitiert.

Jörg Handwerg, der Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, hält solche Forderungen allerdings für "blinden Aktionismus". Abgesehen von den rechtlichen Problemen und den immensen Kosten, die eine permanente Datenübertragung bei täglich mehr als 20.000 Flügen verursachen würde, glaubt der Chef der Pilotengewerkschaft auch nicht, dass sich daraus ein Sicherheitsgewinn ergäbe, im Gegenteil: "Es entstünde eine völlig verkrampfte Atmosphäre im Cockpit, weil die Piloten durch die Totalüberwachung ständig Angst hätten, einen Fehler zu begehen. Das wäre wie bei einem Autofahrer, dem ständig die Polizei über die Schulter schaut", sagt Handwerg.

Eine Möglichkeit wäre es, nicht permanent Daten zu übertragen, sondern nur dann, wenn es an Bord zu einer Notsituation kommt. "Aber dann müsste man erst Parameter definieren, die anzeigen, dass ein Absturz droht", sagt Jens Friedemann von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung in Braunschweig. Außerdem sei es naiv zu glauben, dass man die entsprechende Technik sofort umstellen könne.

Friedemann verweist auf die Empfehlungen, die die französische Luftfahrtbehörde BEA nach dem Air-France-Absturz herausgegeben hat. Darin sind nicht nur Empfehlungen für die bessere Schulung von Piloten enthalten, sondern auch die Forderung, bestimmte Flugparameter wie Position, Höhe, Geschwindigkeit und Kurs in regelmäßigen Abständen zu übertragen. Außerdem wird neben der Stimmen- und Datenaufzeichung auch eine Bildaufzeichnung der Instrumente im Cockpit vorgeschlagen, um nach einem Unglück feststellen zu können, ob alle Anzeigen korrekt funktioniert haben.

Schon seit den siebziger Jahren existiert das digitale Datenfunksystem ACARS (aircraft communications addressing and reporting system). Dieses System hat im Falle der Air-France-Maschine kurz vor dem Absturz 24 automatische Fehlermeldungen an die Fluggesellschaft gesendet, die dann bei der ersten Einordnung der Geschehnisse halfen. Ob es von dem jetzt vermissten Malaysia-Airlines-Jet auch solche Meldungen gegeben hat, hat die Fluggesellschaft bisher nicht bekanntgegeben. Doch in jedem Falle ist die ACARS-Technologie lange nicht so leistungsfähig wie ein Flugdaten-Rekorder.

In den vergangenen Jahren wurden die Systeme zur Datenübertragung deshalb weiterentwickelt. So hat nach Informationen des Guardian Boeing kürzlich ein Patent für einen Prozessor angemeldet, der an die Black Box angeschlossen ist und die wichtigsten Daten für eine Echtzeit-Übertragung an einen Bodenstation herausfiltern soll. Und die CSeries des kanadischen Herstellers Bombardier, die derzeit letzte Tests absolviert und in den kommenden Jahren auf den Markt kommen soll, wird das erste serienmäßig betriebene Flugzeug sein, das über eine Art "live black box" verfügt.

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