Tourismus in Venedig:Raus aus der Lagune

Eigentlich hätten die großen Kreuzer in Venedig schon lange verboten sein sollen. Gründe dafür gibt es viele, dagegen spricht nur eines: das Geld.

Von Oliver Meiler, Rom

Nun ist auch der Mythos der Beschöniger und Beschwichtiger weg. "Das ganze Geplauder von der Unfallsicherheit", schreibt der Corriere della Sera, "ist wie weggefegt." Venedig, die zarte und zerbrechliche Schönheit, ist tatsächlich gerammt worden von einem dieser Monster der Meere. Nicht nur metaphorisch.

Am Sonntagmorgen, um 8.34 Uhr, hat sich im Canale della Giudecca das Kreuzfahrtschiff MSC Opera, 275 Meter lang, 32 Meter breit, 54 Meter hoch, einfach selbständig gemacht. Warum genau, ist noch nicht klar. Die Rede ist von einem "technischen Problem" und einem "Blackout". Die beiden Schleppkähne, die es zum Fährterminal Marittima bringen sollten, versuchten mit aller Macht, es zu bremsen. Aber die MSC Opera beschleunigte und prallte ungebremst in die River Countess, ein Flussboot, auf dem die Passagiere, mehr als hundert, gerade frühstückten. Laute Sirenen warnten sie. Manche sprangen ins Wasser, andere konnten sich an Land retten. Fünf Personen wurden leicht verletzt. Auf den Handy-Videos im Netz hört man Menschen in Panik, während sich hinter ihnen das Ungetüm der Mole nähert und einfach nicht wendet. Das Monster mit dem schönen Namen, wie aus dem Maßstab gefallen, verlor die Kontrolle. Ein Wunder, dass der Unfall nicht schlimmer endete, dass es keine Toten gab.

Die italienischen Medien sind dennoch voll, vor allem mit Polemik. Es kommt in dieser Geschichte nämlich so viel zusammen, was nicht gut läuft, im Großen und im Kleinen, dass es wieder einmal Zeit ist für eine grundsätzliche Debatte. Vielleicht reicht es diesmal sogar für die Verbannung der Kreuzer aus der Lagune - oder wenigstens aus dem Becken von San Marco und dem Kanal der Giudecca.

Verhandelt wird der Umgang Italiens mit den Touristenströmen in seinen Kunststädten Venedig, Florenz und Rom. Die schöpft man natürlich gerne ab, sie sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Doch man wird ihrer nicht Herr. Die schönen Städte verkommen zu Disneylands, ganz ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Besucher, während sich die Einheimischen darin nicht mehr zu Hause fühlen.

Man kann keinem Menschen verdenken, wenn er dieses Juwel einmal im Leben sehen will

Venedig ist das Paradebeispiel dafür, eine Karikatur. Mehr als 25 Millionen Touristen kommen jedes Jahr in die kleine Stadt, etwa 70 000 am Tag. Dazu gehörten im vergangenen Jahr auch 1,56 Millionen Passagiere von insgesamt 2000 Kreuzfahrtschiffen. Sie steigen kurz aus, flanieren ein bisschen, kaufen eine Kleinigkeit, essen was und hinterlassen dann, wenn sie wieder an Bord gehen, einen Haufen Abfall in den Gassen Venedigs. Man kann ja keinem Menschen verdenken, wenn er dieses einmalige Juwel in seinem delikaten Ökosystem einmal im Leben sehen will. Aber so?

Die "Hochhäuser auf Wasser", wie die Italiener die großen Kreuzer nennen, sind nur ein besonders groteskes Symbol für die Perversion des Massentourismus. Die Unesco droht seit zwei Jahren damit, Venedig auf die Schwarze Liste zu setzen, auf der sie alle gefährdeten Stätte des Weltkulturerbes sammelt.

Schiffsmanöver in "sensiblen Zonen"

Eigentlich sollten die Kreuzer schon lange nicht mehr so nahe am Palazzo Ducale vorbeifahren dürfen. 2012 hat die Regierung in Rom ein Dekret dazu erlassen, in aller Eile, um aufgebrachte Gemüter zu beruhigen: Es hatte damals einige Hundert Kilometer entfernt einen ähnlichen Vorfall gegeben, der aber tragisch endete, mit 32 Todesopfern. Vor Giglio hatte Kommandant Francesco Schettino beim Versuch, mit der Costa Concordia den beliebten und gefährlichen "inchino" zu machen, die "Verbeugung" vor der toskanischen Insel, das Schiff auf einen Felsen gesetzt.

Das Dekret der Regierung hatte zum Ziel, solche Schiffsmanöver in "sensiblen Zonen" zu regeln. Artikel 2 behandelt die Lagune von Venedig, die sensibelste von allen. Da heißt es, im Kanal von San Marco und dem Kanal der Giudecca dürften keine Schiffe mehr verkehren, deren Rauminhalt mehr als 40 000 Tonnen betrage. Bei der MSC Opera sind es 65 000.

Vorschläge gibt es einige, umgesetzt wurde keiner

Sieben Jahre sind vergangen, mit vier unterschiedlichen Regierungschefs, doch die Monster queren die Lagune noch immer. Trotz tausend Versprechen konnten sich lokale und nationale Politiker bis heute nicht darauf einigen, welche alternative Route für die großen Schiffe zulässig wäre. Und da das Dekret erst dann in Kraft tritt, wenn diese Alternative gefunden ist, hatten die mächtige Lobby der Schifffahrtsgesellschaften und die Geschäftemacher aller Art bisher wenig zu fürchten. La Repubblica schreibt, das sei mal wieder eine typisch italienische Lösung.

Diskutiert werden vor allem drei Vorschläge. Einer stammt von der Linken, die will die Schiffe zum Industriehafen von Marghera umleiten, zum Festland also. Dann gibt es das Projekt der rechten Lega und des Bürgermeisters der Stadt, Luigi Brugnaro, die sie weiterhin zum Fährterminal Marittima bringen möchten. Jedoch sollen die Schiffe dafür den Frachtkanal Vittorio Emanuele benützen, unter weiträumiger Umfahrung der zentralen Sehenswürdigkeiten. Der Kanal müsste allerdings noch ausgebaut werden.

Der dritte Vorschlag ist der radikalste und zugleich wohl der vernünftigste. Demnach sollen die übergroßen Schiffe schon am Lido gestoppt werden, vor den Mündern der Lagune. Bei San Nicolò, Malamocco oder Chioggia. Das ist die Forderung der Umweltschützer und der Bürgervereinigung "No Grandi Navi", die sich seit vielen Jahren gegen die Verunstaltung Venedigs engagieren und nun endlich eine Chance wittern.

Für den kommenden Samstag rufen sie zu einer großen Kundgebung auf. Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als würden auch die Cinque Stelle sich für diese Lösung starkmachen. Und da sie den zuständigen Transportminister stellen, schien die Hoffnung gar nicht so verwegen zu sein. Nach einem Jahr des taktischen Zögerns und Vertröstens ist aber wieder alles offen. Und Venedig, die Schützenswerte, ist noch immer ohne Schutz.

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