SZ-Serie "Ein Anruf bei ...":"Fleischer befinden sich eh auf dem absteigenden Ast"

Die vegane Fleischerei in Dresden

Geflieste Wände, Fleischerhaken: "Die vegane Fleischerei" in Dresden sieht absichtlich ein wenig so aus wie eine echte Metzgerei. Als Provokation.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

In Dresden hat eine "vegane Fleischerei" eröffnet. Die Seitan-Schnitzel sollen schon ständig ausverkauft sein. Aber anderen stößt die Idee ganz schön übel auf.

Interview von Veronika Wulf

Schon vor ihrer Eröffnung vor gut einer Woche war "Die vegane Fleischerei" in Dresden eine kleine Berühmtheit. In den sozialen Medien echauffieren sich seither Nutzer über den Namen des Fleischersatzladens, über Veganismus und vermeintliche Essensvorschriften. Man erwischt einen der Gründer, Nils Steiger, 27 und natürlich Veganer, am Handy, als er gerade Brötchen nachkaufen geht.

SZ: Ihr Laden ist seit einer Woche ganz schön bekannt im Internet. Wie haben Sie davon erfahren?

Nils Steiger: Ich habe noch keinen einzigen Artikel oder Kommentar gelesen, ich habe einfach keine Zeit.

Und plötzlich stand bei der Eröffnung eine 50 Meter lange Schlange vor der Tür?

Die steht eigentlich fast die ganze Zeit da, seit einer Woche.

Womit hatten Sie denn gerechnet?

Wir hatten 50 Brötchen gekauft für die Eröffnung, das war unsere Erwartungshaltung für den Tag. Die hatten wir in elf Minuten verkauft.

Seither rennen Sie ständig zum Bäcker?

Wir haben jeden Tag mehr bestellt, aber heute sind schon wieder alle weg.

Vegane Fleischerei - Nils Steiger

Nils Steiger, 27, betreibt ein Fitnessstudio und eine Physiotherapie und ernährt sich ohne tierische Produkte. Zusammen mit drei anderen hat er die vegane Fleischerei in Dresden gegründet.

(Foto: Createsome Community UG )

Was wird denn am meisten gekauft?

Sauerbraten, Rollbraten und Salami aus Seitan, französischer Käse aus Cashew und natürlich die Schnitzel- und Fleischkäsebrötchen. Aber eigentlich wird alles angenommen, wir sind jeden Abend ausverkauft. Unsere zwei Köche machen nichts anderes als produzieren, aber es reicht vorne und hinten nicht. Moment kurz ... (zur Bäckereiverkäuferin:) Ja, da bin ich wieder, ich hole die Brötchen ab. Danke. Haben Sie vielleicht noch mehr rumliegen? Schade.

Haben Sie jetzt die Bäckerei leer gekauft?

Zumindest haben sie jetzt keine Brötchen mehr.

Wollen Sie eigentlich aus Fleischessern Veganer machen oder Veganer wieder ans Fleisch ranführen?

Veganer sind gar nicht unsere Zielgruppe, die haben wir ja schon auf unserer Seite. Die Idee ist, dass wir Omnivoren, also Leuten, die alles essen, den Einstieg zu veganer Ernährung so leicht wie möglich machen. In unserer Gesellschaft muss ja niemand Fleisch essen, die Nährwerte kriegen wir auch woanders her. Der einzige Grund ist Geschmack und Textur - und das machen wir einfach nach.

Schmeckt das auch wirklich wie das Fleischpendant?

Sie können ja vorbeikommen. Das Feedback der Leute ist: ja.

Wer kommt in Ihren Laden?

Glücklicherweise tatsächlich relativ viele Omnivore, die neugierig sind. Das ist das Geilste, noch geiler als Social Media und der ganze Pressekram, wenn die kommen und so was sagen wie: "Ist ja doch gar nicht so schlecht." Und das von einem Sachsen! Das ist das Höchste, was du kriegst.

Haben sich schon Leute aus Versehen in Ihren Laden verirrt, die einen ordentlichen Schweinsbraten wollten?

Ja, heute zwei Holländer. Aber sonst eigentlich nicht.

Auf Social Media haben manche ganz schön Schnappatmung bekommen wegen des Oxymorons "vegane Metzgerei". Warum haben Sie kein V-Wortspiel genommen wie die "Vetzgerei" in Berlin?

Herbert Grönemeyer hat das ganz schön gesagt über die Leute, die sich auf Straßen festkleben: Um Sachen zum Thema zu machen, muss es ein bisschen wehtun, ein bisschen provozieren. Die Kombination "vegan" und "Fleischerei" nervt die Leute, und dadurch kommt das Thema auf die Esstische. Kinder diskutieren mit ihren Eltern, Männer diskutieren auf der Arbeit: "Was soll denn das?!" Schon entsteht ein Diskurs.

Warum fühlen sich manche Fleischesser so angegriffen?

Das ist ein Weltbild, an dem gerüttelt wird. Man wird so erzogen und denkt, all sein Handeln ist richtig. Und jetzt kommt plötzlich jemand und sagt: Ist doch nicht so richtig, wegen Umwelt, wegen Ethik, wegen Gesundheit. Selbst die WHO hat ja mittlerweile gesagt, dass eine vegetarische Diät nur vorteilhaft ist. Die wenigsten hinterfragen sich gern.

Es kam auch ganz schön viel Hass ...

Wir haben auch Morddrohungen bekommen. Einem von uns haben sie gesagt, er soll aufgeknüpft werden. Aber das ist ja normal.

Normal?

Ja, die Leute fühlen sich angegriffen, aber ich sehe das eher als positives Feedback. Ich will ja nicht nur, dass die Produkte verkauft werden, sondern vor allem, dass über das Thema diskutiert wird.

Haben Sie für Ihren Laden einen herkömmlichen Metzger verdrängt?

Wir haben maximal ein herkömmliches Nagelstudio verdrängt, aber das war vorher schon geschlossen. Statistisch gesehen geht der Fleischkonsum in Deutschland ja zurück. Fleischer befinden sich eh auf dem absteigenden Ast.

Weitere Folgen der SZ-Serie "Ein Anruf bei ..." finden Sie hier.

Zur SZ-Startseite
Wintersportbegeisterte bei Frühlingstemperaturen. Skifahren auf dem letzten Schneestreifen aus Kunstschnee im oberbayeri

SZ PlusPro und Contra
:Sollen Kinder heute noch Ski fahren lernen?

Die Gletscher schmelzen, der Schnee kommt aus gekühlten Lagerhallen: Ist es noch zeitgemäß, dem Nachwuchs die Liebe zum Wintersport zu vermitteln? Ein Pro und Contra.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: