Vatikan:"Tiefe Freundschaft" von Johannes Paul II. mit einer Frau - na und?

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Papst Johannes Paul II.: "Ich denke an Dich, und in Gedanken komme ich jeden Tag nach Pomfret." (Foto: AFP)

Der frühere Papst soll 30 Jahre lang eine enge Beziehung zu Anna-Teresa Tymieniecka gehabt haben - aber hat der Vatikan das wirklich totgeschwiegen, wie die BBC meint?

Von Matthias Drobinski, München

Der Papst - verliebt? So richtig verknallt, und sie auch in ihn, am Ende sogar mit Knutschen und so? Ausgerechnet Karol Wojtyła, Papst Johannes Paul II., der jedwede Sexualität außerhalb der Ehe als Sünde geißelte und größten Wert darauf legte, dass der Zölibat für katholische Priester nicht wackelt, soll mehr als 30 Jahre lang eine tiefe Freundschaft zu einer verheirateten Frau unterhalten haben, die mehr war als eine bloße Briefpartnerschaft.

Die Story zum Thema hat die britische BBC in eine Dokumentation gefasst, die diesen Dienstag im deutsch-französischen Kultursender Arte (20.15 Uhr) gezeigt wird. Das klingt nach großem Kino. Und nach einem Skandal: Wurde die Geschichte bewusst verschwiegen, um die schnelle Heiligsprechung des Papstes im Jahr 2014 nicht zu gefährden?

Der Austausch zwischen den beiden wurde schnell persönlich

Die Geschichte von Anna-Teresa und Karol haben die BBC-Autoren vor allem aus den vielen Briefen und Fotos rekonstruiert, die Anna-Teresa Tymieniecka 2008 der polnischen Nationalbibliothek verkaufte; Tymieniecka starb 2014. Demnach trafen sich die beiden 1973 zum ersten Mal. Karol Wojtyła war damals 53 Jahre alt, Kardinal und Erzbischof von Krakau. Anna-Teresa Tymieniecka, damals 50, fragte den Kardinal, ob sie sein Buch "Person und Tat" vom Polnischen ins Englische übersetzen dürfe; sie war nach dem Krieg in die USA ausgewandert, hatte dort geheiratet, drei Kinder bekommen - und war eine renommierte Philosophin geworden. Die Konversation der beiden geht zunächst um Fachfragen, wird aber bald persönlich und freundschaftlich.

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Im Jahr 1974, als Karol Wojtyła in Rom war und damit außerhalb der Zensur im kommunistischen Polen, nennt er ihre Briefe "so bedeutsam und zutiefst persönlich" und endet: "Es gibt Dinge, die sind zu schwierig für mich, als dass ich darüber reden könnte." Der Kardinal schenkt seiner Übersetzerin ein Skapulier, ein frommes Schmuckgewand, das er einst von seinem Vater bekommen hat. 1976 besucht er die Familie in Pomfret in Vermont. Es ist ein Urlaub mit Zelt und Kanu, ganz nach dem Geschmack des Sportlers und Draußenmenschen Wojtyła. Der nennt diese Freundschaft ein Gottesgeschenk: "Hätte ich diese Überzeugung nicht, ich würde nicht wagen, so zu handeln."

Auch nach seiner Wahl zum Papst hält Karol Wojtyła die Beziehung aufrecht. Sie muss bald eine echte Krise überstehen: Der Vatikan hintertreibt das gemeinsame Buchprojekt, Tymieniecka fühlt sich vom päpstlichen Freund hintergangen. Spätestens nach dem Attentat auf Johannes Paul II. ist die Freundschaft wieder eng. Tymieniecka besucht den Verletzten im Krankenhaus und trifft ihn nun regelmäßig in Rom, sie schickt ihm gepresste Blumen und Fotos von daheim; er antwortet: "Ich denke an Dich, und in Gedanken komme ich jeden Tag nach Pomfret." Das letzte Mal sieht sie ihn am 1. April 2005, am Tag, bevor Papst Johannes Paul II. stirbt.

So weit, so anrührend - nur: Waren die beiden nun verliebt oder nicht? Die Filmautoren legen nahe, dass in einer frühen Phase der "zutiefst persönlichen" Freundschaft die Philosophin dem Kardinal ihre Liebe gestanden hat. Belege dafür haben sie allerdings nicht, auch, weil sie ja nur eine Seite des Briefwechsel einsehen konnten, die des Kirchenmannes. So bleibt dem Zuschauer nur ein von Herzen kommendes: kann sein - oder auch nicht. Es gibt, das betont auch der Film, keinen einzigen Hinweis darauf, dass Karol Wojtyła sein Versprechen gebrochen hätte, sexuell enthaltsam zu leben.

Anna-Teresa Tymieniecka (1923-2014) entstammte einer französisch-polnischen Familie. Die Philosophin war mit Hendrik S. Houthakker verheiratet, der in Harvard Wirtschaft lehrte. (Foto: Eltaj Yuzbashev/Getty Images)

Ohnehin enthüllt die Dokumentation kein weltstürzendes Geheimnis, das nun den polnischen Papst in einem völlig anderen Licht erscheinen ließe; neu ist allerdings, wie nah der Papst und die Philosophin sich standen. Doch schon 1990 hat der Watergate-Veteran Carl Bernstein Anna-Teresa Tymieniecka zu ihrer Beziehung zu Johannes Paul II. interviewt. Und als die Philosophin 2014 stirbt, sprechen die Nachrufe auf sie ganz offen von der langen Freundschaft, die sie - und ihren Mann, den Ökonomen Hendrik S. Houthakker - mit dem Papst verband.

Sie war zudem nicht die einzige Frau, zu der Johannes Paul II. eine lange und tiefe Freundschaft unterhielt. 2009 veröffentlichte die 94-jährige Psychiaterin Wanda Póławska ihren Briefwechsel mit dem Priester Karol Wojtyła, der ihr half zu verarbeiten, was sie im Konzentrationslager erlebt hatte.

Tiefe Freundschaften zu Frauen sind auch katholischen Priestern erlaubt

Das alles lässt die These der Filmemacher wackeln, hier hätte etwas verborgen werden müssen, um die Heiligsprechung des toten Papstes nicht zu gefährden. Katholischen Priestern ist es beileibe nicht verboten, tiefe Freundschaften zu Frauen (und Männern) zu unterhalten - was dann auch immer ihre Umgebung in die Beziehung hineingeheimnissen mag. Es entsteht vielmehr ein genaueres und differenzierteres Bild des polnischen Papstes, dem Freundschaften außerhalb der Klerikerwelt wichtig waren, wie klerikal er auch theologisch denken mochte, der sensibel mit seinen Freunden redete, wie streng seine Kirchenpolitik auch war.

Karol Józef Wojtyła 1960 bei der Morgentoilette im polnischen Tatra-Gebirge. Die Turnschuhe und das Kurzarmhemd wirken locker, aber der damals 39-Jährige war als Weihbischof von Krakau bereits ein einflussreicher Mann. (Foto: Getty Images)

Und der ein viriler Mann war, der auf Frauen attraktiv wirkte und der auch den Kotakt zu Frauen suchte - und vielleicht gerade deshalb so streng bei sich und dem Rest des Weltkatholizismus auf die Sexualmoral achtete.

Priester brauchen solche tiefen, zärtlich-poetischen Freundschaften, sonst vereinsamen sie, sagt Wunibald Müller, der seit 25 Jahren Priester als Therapeut begleitet. Jetzt kann er sich dabei auf den heiligen Johannes Paul II. berufen.

© SZ vom 16.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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