Süddeutsche Zeitung

Veröffentlichung der Archive von Papst Pius XII.:"Die Kirche hat keine Angst vor der Wahrheit"

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Von Oliver Meiler, Rom

Normalerweise wartet der Vatikan nach dem Tod eines Papstes mindestens siebzig Jahre, bis er das Geheimarchiv zu dessen Amtszeit öffnet. Im Fall von Eugenio Pacelli wäre das 2028: Pius XII. war Papst von 1939 bis 1958. Doch dieser Fall ist ein besonders spezieller und historisch kontroverser. Bis heute ist die Frage umstritten, ob das damalige Oberhaupt der katholischen Kirche allzu stark geschwiegen hat zu den Gräueln der Nazis im Zweiten Weltkrieg oder ob er mit seiner zurückhaltenden Art im Gegenteil zur Rettung vieler Juden beigetragen hat. Das Urteil des Vatikan ist längst gefallen: Seit Jahren läuft das Verfahren zu seiner Seligsprechung, die Vorstufe zur Heiligsprechung. Eingeleitet hatte es schon Papst Benedikt XVI. Er löste damit Proteste aus, auch in Israel.

Nun soll die Welt der Wissenschaften zu einer ähnlich positiven Wertung des Pontifikats gelangen wie die Kirche. Das wenigstens scheint das Ziel des jetzigen Papstes zu sein. Franziskus hat am Montag in einer Audienz vor den vatikanischen Geheimarchivaren bekannt gegeben, dass die Akten zu Pius XII. am 2. März 2020 zugänglich gemacht würden. Acht Jahre vor Termin also. "Die Kirche hat keine Angst vor der Wahrheit", sagte er. Pius habe "das Schiff Petri in einem der traurigsten und dunkelsten Momente des 20. Jahrhunderts" gelenkt und sei dafür "sogar kritisiert" worden: "Man könnte sagen: mit etlichen Vorurteilen oder Übertreibungen." Es sei nun Zeit für das "richtige Licht".

Eigentlich wollte Franziskus den Forschern die Archive schon früher öffnen. Angepeilt war einmal 2015. Doch dann hieß es, es fehlten noch die Dokumente aus "zwanzig bis dreißig" vatikanischen Botschaften in aller Welt. Die Masse der Dokumente ist enorm. Zwanzig Mitarbeiter der vatikanischen Archive, sagte deren Präfekt, Monsignor Sergio Pagano, würden seit dreizehn Jahren vollzeitlich daran arbeiten, alles zu sammeln, zu sichten und zu katalogisieren. Das Pontifikat Pacellis, der vor seiner Wahl Nuntius in München und später vatikanischer Staatssekretär war, fiel ja nicht nur in eine schwierige Zeit, es dauerte auch recht lange. Seine Wahl hingegen gehörte zu den schnellsten in der ganzen Kirchengeschichte: Ein Tag Konklave reichte aus.

Pacelli war ein zögerlicher Mann. Aus der Sicht des Vatikans wollte er die Kirche mit seiner nach außen überparteilichen Haltung vor allem deshalb aus dem Konflikt heraushalten, damit die Nazis keinen Verdacht schöpften über die Rettung Tausender Juden. Dass er den Rassenwahn der Nazis verurteilte - daran zweifelt niemand. Er war da auf einer Linie mit seinem Vorgänger, Papst Pius XI., und wahrscheinlich war auch seine Namenswahl ein Hinweis auf diese Kontinuität. Ein Berater beider Päpste sagte einmal, Pius XI. habe man zügeln müssen, weil er am liebsten noch lauter protestiert hätte, während man den Diplomaten Pacelli zuweilen zu mehr Entschiedenheit im Auftritt habe drängen müssen.

Das Interesse an den geheimen Akten ist beträchtlich. Die Frage ist nun, wie groß der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn daraus tatsächlich sein wird. Experten zweifeln nämlich daran, dass Sensationelles an den Tag kommen könnte. Der Zutritt zu den Archiven wird gratis sein und soll all jenen "qualifizierten Forschern" gewährt werden, die, wie es auf der Webseite des Vatikans heißt, mit ihrer Arbeit einen "wissenschaftlichen Zweck" verfolgen. Ein ordentlicher Universitätsabschluss ist erforderlich, der muss nach mindestens fünfjährigen Studien erfolgt sein.

Die katholische Kirche will mit der Öffnung endgültig den Vorwurf loswerden, sie verheimliche etwas in dieser dramatischen Geschichte. Spät zwar, aber doch zu einer Zeit, da es noch Überlebende des Holocausts gibt - und viele Angehörige von Opfern.

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Quelle:
SZ vom 05.03.2019
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