Süddeutsche Zeitung

Vater des US-Soldaten Bowe Bergdahl:Mit der Sprache des Gegners

Während die Taliban den US-Soldaten Bowe Bergdahl fünf Jahre gefangen hielten, kämpfte sein Vater für dessen Freilassung. Er lernte Paschtu und tat alles, damit sein Sohn nicht vergessen wurde. Die Familie sehnt das Wiedersehen mit dem Rückkehrer herbei - doch Ex-Soldaten halten ihn für einen Verräter.

Von Felicitas Kock

Der Auftritt, den Barack Obama im Rosengarten des Weißen Hauses inszeniert, ist perfekt. Der Präsident verkündet, dass er Amerika einen verlorenen Sohn zurückgebracht hat: Nach langwierigen Verhandlungen habe US-Soldat Bowe Bergdahl, der 2009 in Afghanistan in Gefangenschaft geraten war, befreit werden können.

Jegliche Kritik an dem Deal - im Austausch für Bergdahl haben die USA fünf in Guantánamo einsitzende Talibanführer entlassen - rückt in diesem Moment in weite Ferne. Obama zeigt sich mit den Menschen, die für die Befreiung mit am dankbarsten sind: Bowe Bergdahls Eltern. Nachdem der Präsident und Bowes Mutter Jani gesprochen haben, übernimmt Vater Robert "Bob" Bergdahl das Wort.

Er trägt ein Hemd, eine blaue Krawatte und streng zurückgekämmtes Haar, was seinen langen ausgefransten Bart noch auffälliger macht. Es ist dieser Bart, der die Menschen an den Fernsehschirmen genauer hinschauen lässt. Der manche vielleicht an al-Qaida denken lässt, an Osama bin Laden und andere radikale Islamisten, die in den vergangenen Jahren in den Medien aufgetaucht sind.

Die Sache mit dem Bart hat oft einen religiösen Hintergrund, viele streng gläubige Muslime sehen es als Pflicht, ihn wachsen zu lassen. Bei Bob Bergdahl ist das anders. Er hat aus Solidarität mit seinem Kind aufgehört, sich zu rasieren. Doch das ist nicht alles. "Ich wache jeden Morgen auf und mein erster Gedanke ist, dass mein Sohn noch immer in Afghanistan gefangen gehalten wird. Und dass ich etwas dagegen tun muss", sagt der Mittfünfziger in einem Videobeitrag, den der britische Guardian über ihn gedreht hat.

Vater lernte Paschtu

Bergdahl hat nach dem Abbruch seines Studiums 28 Jahre lang für UPS Pakete ausgefahren. Jetzt ist er im Ruhestand - und hat sich seit dem Verschwinden seines Sohnes immer tiefer in die afghanische Kultur hineingearbeitet. Weil er Kontakt zu den Menschen aufnehmen wollte, die sein Kind festhielten, hat er Paschtu gelernt, eine der Amtssprachen Afghanistans. "Ich versuche, die Sprache zu schreiben und zu lesen. Außerdem lese ich etwa vier Stunden am Tag über die Region und ihre Geschichte", sagte Bergdahl dem Guardian.

Auch als er vor dem Weißen Haus ans Mikrofon tritt, greift er auf seine neuen Sprachkenntnisse zurück. "Bismillah al-Rahman al-Rahim", sagt er auf Arabisch - "im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes". Es folgen einige paschtunische Worte, dann einige englische: "Ich bin dein Vater, Bowe." Er wolle sich direkt an seinen Sohn wenden, erklärt Bergdahl, und der spreche mittlerweile eben nicht mehr so gut Englisch.

Es ist nicht das erste Mal, dass Bob Bergdahl öffentlich in Erscheinung tritt. Bereits 2011 nahm er in eine Videobotschaft auf, damals reichte sein Bart schon bis zum obersten Knopf seines Hemdes. Im Hintergrund war die Wildnis Idahos zu sehen, karge Steppe, ein paar Skipisten. "Ich bin der Vater des gefangengenommenen US-Soldaten Bowe Bergdahl. Dies sind meine Gedanken. Ich kann nicht länger schweigen", sagte er da. Er trete an die Öffentlichkeit, weil er fürchte, dass die diplomatischen Bemühungen um die Befreiung seines Sohnes einschlafen könnten.

"Es mag manchen komisch erscheinen, aber wir bedanken uns auch bei denen, die sich seit beinahe zwei Jahre um unseren Sohn kümmern", sagte Bob Bergdahl weiter. Sein Dank gelte auch Mullah Sangin, dem Anführer des terroristischen Haqqani-Netzwerks, das für die Entführung verantwortlich gemacht wird. Am Ende winkte Bergdahl in die Kamera und grüßte sein Kind, in der Hoffnung, dass Bowe das Video zu sehen bekäme.

Vor der Veröffentlichung des Videos im Jahr 2011 hatte Bob Bergdahl nur im Hintergrund agiert. Immer wieder reiste er aus Idaho nach Washington, um mit Politikern zu sprechen. Er nahm Kontakt zu verschiedenen Regierungen auf, unter anderem zur pakistanischen, und bat sie, sich für seinen Sohn einzusetzen. In mehreren US-Medien heißt es außerdem, er habe einen Mann kontaktiert, der angab, mit den Entführern seines Sohnes in Verbindung zu stehen.

Am Ende war es nun das Emirat Katar, das mit seiner Vermittlung den Durchbruch erreichte. Am Morgen des 31. Mai wurde Bowe Bergdahl von Taliban-Kämpfern zu einem verabredeten Ort an der afghanisch-pakistanischen Grenze gebracht. Amerikanische Spezialeinheiten holten ihn mit Hubschraubern ab. Zuerst wurde er in ein Militärkrankenhaus in Deutschland gebracht. Dem Nachrichtensender CNN zufolge soll er als nächstes in ein Krankenhaus in Texas verlegt werden, wo er auch seine Eltern und seine ältere Schwester Sky wieder treffen soll.

Doch so sehr sich Familie Bergdahl auf das Wiedersehen freut, so sehr wächst in den USA auch die Kritik an den Umständen der Befreiung. Da ist die Freilassung der fünf Taliban, die gegen das Prinzip verstößt, nicht mit Terroristen zu verhandeln. Mehrere Republikaner fürchten, die Entscheidung könnte zum Anreiz für Terroristen werden, US-Soldaten zu entführen. Auch dass Präsident Obama den Senat nicht wie vom Gesetz vorgesehen 30 Tage vor der Freilassung der Guantánamo-Häftlinge informiert hat, wird kritisiert.

Und dann ist da noch die Kritik an Bowe Bergdahl selbst. Die Umstände seines Verschwindens sind noch immer ungeklärt. Manche sagen, er sei desertiert. Er sei mit dem Verhalten der anderen Soldaten gegenüber der afghanischen Bevölkerung nicht einverstanden gewesen und habe den Einsatz der Amerikaner in dem Land zunehmend kritischer gesehen, heißt es. In E-Mails an seine Eltern habe er beschrieben, wie sehr er sich die fehlende Moral für seine Kameraden schäme. Deshalb, sagen Kritiker, habe er Ende Juni 2009 ein paar Sachen zusammengepackt und den Außenposten der US-Armee im Südosten Afghanistans zu Fuß verlassen.

"Bowe Bergdahl ist im Krieg desertiert und seine amerikanischen Kameraden haben ihr Leben gelassen, als sie ihn suchten", zitiert CNN einen Mann namens Matt Vierkant, der gemeinsam mit Bergdahl gedient hat. Tatsächlich sind mindestens sechs Soldaten auf der Suche nach dem Vermissten getötet worden.

Auf Facebook gibt es jetzt eine Seite mit dem Titel "Bowe Bergdahl ist KEIN Held", auf der Internetnutzer ihren Aggressionen gegen den 28-Jährigen freien Lauf lassen. Viele fordern, dass Bergdahl vor ein Militärgericht gestellt werden soll. Ob es dazu kommt, ist fraglich. Das Pentagon zumindest hat bislang keine Andeutungen in diese Richtung gemacht. Mit auftauchenden Fragen werde man sich später befassen, sagte Verteidigungsminister Chuck Hagel. So oder so muss Bergdahl erst einmal nach Hause zurückkehren - und dann dürfte das Verschwinden und die Befreiung des einzigen US-Soldaten, der in afghanische Gefangenschaft geriet, die USA noch eine Weile beschäftigen.

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