In amerikanischen Großstädten wie New York gehört der Anblick von Ratten zum Alltag. Sie huschen über Bürgersteige, sie laben sich an Müllsäcken, die sich abends vor den Restaurants und Supermärkten stapeln, sie flitzt über U-Bahn-Gleise und springen in der Upper West Side sogar in Kinderwagen, um sich die Babykekse zu schnappen. Und das ist offenbar erst der Anfang.
Amerikas führender Rattenexperte Bobby Corrigan sagt: "Sie werden immer mehr, und das liegt am weltweiten Klimawandel." Der Forscher, der in "Urban Rodentology", in urbanen Nagerwissenschaften promovierte und Städte bei der Nagerbekämpfung berät, hält kalte Winter für den natürlichen Feind der Ratte: Müll und andere Nahrung sind dann unter Schneebergen festgefroren, ihr Fell sei außerdem dünn, und nur die stärksten Tiere können sich die wärmsten Nester erkämpfen. "Wenn sie alle Energie aufs Überleben lenken, können sie sich keine neuen Großfamilien leisten", sagt er. "Wenn die Winter weniger anstrengend sind, pflanzen sich Ratten schneller fort." Der vergangene Winter war der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnung in den Vereinigten Staaten.
New York hat von allen amerikanischen Städten das größte Rattenproblem, das liegt vor allem an den alten Abwasseranlagen und der dichten Besiedelung. In manchen Gegenden kommen fünf Ratten auf jeden Einwohner, sagt Corrigan. Vor Kurzem habe er nachts in der Lower East Side in Manhattan binnen einer Stunde mehr als 75 Ratten gezählt. "Und das sind nur die, die ich sehen konnte." Wie viele Ratten in New York leben, weiß niemand, es sind wohl mehrere Millionen. Aber auch Washington, Houston oder Boston erleben immer neue Ratten-Rekorde.
"Hilferufe aus allen Teilen des Landes"
In Chicago ist in den ersten Sommermonaten die Zahl der offiziellen Ratten-Meldungen um neun Prozent gestiegen im Vergleich zum vergangenen Sommer. "Mich erreichen immer mehr Hilferufe aus allen Teilen des Landes", sagt Corrigan. Und nicht nur die USA sind betroffen. Die Zahl der Städte auf der Welt ohne Rattenproblem sinkt, sagt der Forscher. "Ich höre von überall, dass die Stadtverwaltungen mehr sichten als je zuvor in der Geschichte."
Ratten übertragen Kolibakterien und Salmonellen. In New York ist kürzlich sogar ein Mensch an der von einer Ratte übertragenen Bakterienkrankheit Leptospirose gestorben. Knabberschäden an Häusern und Infrastruktur kosten zudem jedes Jahr Milliarden. Die Städte kämpfen darum mit verschiedenen Mitteln gegen die Plage. Chicago verteilt eine Art Antibabypille namens Contrapest an die Tiere, das soll effizienter sein als Rattengift. New York hat vor wenigen Wochen ein 32 Millionen Dollar schweres Rattenprojekt begonnen: mehr Gift, mehr Kammerjäger, sicherere Mülltonnen in den drei am schlimmsten befallenen Stadtteilen.
"Ich bin nicht sehr optimistisch, dass all das viel hilft", sagt Corrigan. Solange die Menschen nicht anfangen, ihren Müll besser zu entsorgen, werde sich nichts ändern. "Und wir Menschen sind eine Spezies, die erst auf die Katastrophe wartet, bevor sie etwas tut. Wir warten anscheinend auf die Seuche."