USA: Kampagne gegen Abtreibung:Versuchter Selbstmord = Mord

Stehen die Rechte eines Fötus über denen der Mutter? Eine Frau, die sich mit Rattengift umbringen wollte, ist den USA wegen Mordes angeklagt - weil sie überlebte und ihr Kind kurz nach der Geburt starb. Der Fall zeigt, wie Abtreibungsgegner die Justiz beeinflussen.

Christian Wernicke, Washington

Der Staatsanwalt will sie lebenslänglich hinter Gitter bringen. Doch Bei Bei Shuai wirkt vor Gericht so, als ginge sie dieses Drama nichts mehr an. Sie hat Schlimmeres erlebt: Hochschwanger nahm sie, nachdem ihr Freund sie verlassen hatte, einen Tag vor Weihnachten Rattengift. Der Suizidversuch scheiterte, eine Woche später gebar sie eine Tochter, die sie Angel nannte. Doch das Gift hatte das Hirn ihres Babys geschädigt, drei Tage später starb das Kind. Die Behörden des US-Bundesstaates Indiana ermittelten, seit März sitzt die gebürtige Chinesin in Untersuchungshaft - wegen mutmaßlichen Mordes durch versuchten Selbstmord.

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Abtreibungsgegner demonstrieren vor dem US-Kapitol: Das Verfahren gegen Bei Bei Shuai gilt für viele als alarmierender Musterprozess.

(Foto: AFP)

Amerikanische Frauenorganisationen und Bürgerrechtler deuten das Verfahren gegen Bei Bei Shuai als alarmierenden Musterprozess. "Strafverfolgungen wie dieses nehmen ständig zu in den USA", sagt die Anwältin Katherine Jack, die im Namen der National Advocates for Pregnant Women (NAPW) der Angeklagten beisteht: "Dies ist eine Folge der Anti-Abtreibungs-Kampagnen, die die Rechte eines Fötus höher stellen als die Rechte einer Frau."

Jack verweist auf ähnliche Fälle in meist konservativen Bundesstaaten wie Utah und Alabama, Mississippi und South Carolina. Mehr als die Hälfte aller US-Bundesstaaten, so zählt die NAPW, hätten Gesetze gegen Fötusmord. Ursprünglich sollten die Paragraphen die werdende Mutter und das ungeborene Kind vor Attacken von Dritten schützen. Inzwischen jedoch würden die Gesetze von übereifrigen Staatsanwälten gegen Schwangere verdreht.

"Dieser Fall hat eine gewaltige Tragweite für Frauen überall im Land", warnt auch Alexa Kolbi-Molinas von der Bürgerrechtsorganisation ACLU. Falls fortan Schwangere für jede Tat oder jedwede Unterlassung belangt werden könnten, die ihre Leibesfrucht einem Risiko aussetze, gebe es kein Halten mehr: "Dann kann niemand mehr die Polizei davon abhalten, eine Frau in den Knast zu stecken, die ein Glas Wein trinkt oder eine Zigarette raucht. Wo zieht man die Grenze?"

Frühestens im Mai will die Richterin über die Freilassung von Bei Bei Shuai auf Kaution befinden. Aber das ist für sie fast eine Lappalie - im Vergleich zu dem, was zuvor geschah. Am Abend des 23. Dezember 2010 traf sich Bei Bei Shuai mit ihrem Freund auf einem Parkplatz. Er hatte versprochen, sie zu heiraten. Shuai, vor zehn Jahren in die USA eingewandert und mittlerweile Besitzerin eines Restaurants, träumte von Familienglück. Sie war schwanger, in der 33. Woche.

Doch nun eröffnete ihr der Mann, er sei schon verheiratet und habe zwei Kinder. Shuai brach im Auto zusammen. Der Vater ihres Kindes fuhr davon, und als sie wieder aufblickte, sah sie die Lichtreklame eines Baumarkts: Sie ging hinein, kaufte Rattengift, schluckte daheim die ganze Packung. Doch sie starb nicht. Ratlos traf sie Freunde, die sie ins Krankenhaus brachten. Dort gebar sie eine Woche später ihre Tochter.

Artifizielle Trennung zwischen schwangerer Frau und Fötus

Wenige Stunden später diagnostizierten die Ärzte eine Hirnblutung, zwei Tage später unterschrieb Shuai die Einwilligung, alle lebenserhaltenden Maßnahmen für Angel einzustellen.

Im März wurde Shuai von der Polizei daheim abgeholt. "Mord und versuchte Fötustötung" wirft ihr Staatsanwalt David Rimstidt vor. Kritiker wenden ein, kein Gesetz im Staate Indiana sehe bisher eine Strafe für versuchten Selbstmord vor. Aber Rimstidt argumentiert, die Angeklagte habe Hand angelegt gegen einen "lebensfähigen Fötus und gegen ein Kind, das geboren wurde".

Diese artifizielle Trennung zwischen schwangerer Frau und werdendem Kind ist aus Sicht der Bürgerrechtler der Kern des juristischen Problems. "Dies ist die Folge einer politischen Bewegung, die befruchtete Eizellen, Embryos und Föten völlig separat von den Frauen betrachtet, die sie austragen", sagt Lynn Paltrow, die Vorsitzende der NAPW.

Die Expertin verweist auf ein geplantes Gesetz, mit dem der Bundesstaat Alabama künftig Schwangere verfolgen will, die illegale Drogen konsumieren. In Texas habe ein ähnliches Gesetz dazu geführt, dass 40 Frauen nach Hinweisen von Ärzten und Krankenschwestern sich der Anklage ausgesetzt sahen, sie hätten "Drogen an Minderjährige" verabreicht. Damit werde letztlich das Vertrauen zwischen Arzt und Patienten ruiniert - zum Schaden des ungeborenen Lebens.

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