USA:Trumps Bildungsministerin verunsichert Opfer sexueller Gewalt

Betsy DeVos

Lud zu Gesprächen über eine Richtlinie zum Umgang mit sexueller Gewalt an Colleges und Unis eine umstrittene Männerrechtsbewegung ein: Bildungsministerin Betsy DeVos.

(Foto: AP)
  • Ein weiterer Obama-Erlass könnte auf der Kippe stehen: Offenbar erwägt Bildungsministerin Betsy DeVos, die Richtlinie der Vorgängerregierung zum Umgang mit sexueller Gewalt an amerikanischen Bildungseinrichtungen aufzuweichen.
  • Ihre Beauftragte für Bürgerrechte hatte jüngst in einem Interview erklärt: "90 Prozent der Anschuldigungen fallen in die Kategorie 'wir waren beide betrunken'."
  • DeVos selbst ist der Ansicht, dass die Geschichten von zu Unrecht beschuldigten Männern zu wenig gehört werden.

Von Johanna Bruckner, New York

In 90 Prozent der Fälle hält Candice Jackson die Geschichte für aufgebauscht, verfälscht dargestellt oder schlicht gelogen. In 90 Prozent der Fälle glaubt sie den Frauen nicht, die ausgesagt haben, sie seien an einer US-Universität sexuell missbraucht worden. In 90 Prozent der Fälle, sagt Jackson, seien die Täter zu Unrecht angeklagt worden.

Candice Jackson, das macht die Sache pikant, ist aber nicht irgendeine Antifeministin, sie leitet die Abteilung für Bürgerrechte im US-Bildungsministerium und ist damit in der Trump-Regierung eine der wichtigsten Ansprechpartnerinnen, wenn es um Fragen der Diskriminierung geht. In einem Interview mit der New York Times wurde jetzt deutlich, wie sie ihr Amt versteht.

"90 Prozent der Anschuldigungen", sagte sie also, fielen in die Kategorie: "Wir haben Schluss gemacht und sechs Monate später sehe ich mich einer Title-IX-Untersuchung gegenüber, weil sie beschlossen hat, dass beim letzten Mal, als wir miteinander geschlafen haben, etwas nicht ganz richtig lief."

"Title IX" bezieht sich auf den bekanntesten Paragrafen in einem 1972 erlassenen US-Gesetz, den sogenannten Education Amendments. Dieses Gesetz soll Menschen in staatlich bezuschussten Bildungseinrichtungen vor Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts schützen. Ex-Präsident Barack Obama hatte sich dafür eingesetzt, dass solche Schulen, Colleges und Universitäten sexuelle Übergriffe stärker verfolgen müssen. 2011 verschickte seine Regierung eine 19-seitige Direktive, bekannt heute als Dear Colleague Letter, die neben einer Richtlinie zum Umgang mit mutmaßlichen sexuellen Übergriffen auch eine explizite Warnung enthielt: Haltet euch an unsere Vorgabe oder wir entziehen euch die Förderung.

Durchschnittliche Bearbeitungszeit: 703 Tage

Der Druck von höchster Stelle veränderte die Zahlen: Während im Office of Civil Rights - eben jener Abteilung, der heute Candice Jackson vorsteht - im Mai 2014 lediglich 55 Fälle zur Überprüfung lagen, waren es im Juli dieses Jahres 344. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit liegt bei 703 Tagen. Eine lange Zeit für Betroffene und Beschuldigte. Und ob die Direktive inhaltlich das erreicht, was sie erreichen sollte, darüber streiten Politiker, Aktivisten und Verantwortliche in den Bildungseinrichtungen erbittert.

Kritiker sagen, die Richtlinie schieße in dem berechtigten Bemühen, Opfer sexueller Gewalt zu stärken, übers Ziel hinaus. Während vormals die Betroffenen kaum darauf hoffen durften, dass ihre Peiniger belangt werden, würden Studenten nun zu leichtfertig bestraft - bis hin zum Ausschluss aus der Universität. Mitglieder der renommierten Harvard Law School beklagten 2014 in einem offenen Brief, der Umgang der Hochschule mit Fällen von mutmaßlicher sexueller Gewalt widerspreche fundamental rechtsstaatlichen Prinzipien. Wie andere Institutionen hatte die Ivy-League-Uni auf Grundlage des Obama-Briefes eine eigene Richtlinie erlassen. Manche Rechtsexperten sehen darin das eigentliche Problem, weil die Universitäten in ihren Richtlinien mitunter über die Maßgabe des Präsidenten hinausgehen.

Bildungsministerin Betsy DeVos - die Chefin von Candice Jackson - will diese Entwicklung augenscheinlich zurückdrehen. Anfang Februar bei ihrer Anhörung im Senat, wo sie nur mit äußerst knapper Mehrheit als Ministerin bestätigt wurde, ließ sie die Frage, ob sie die Richtlinie der Obama-Regierung aufrechterhalten werde, bewusst offen. Kürzlich haben 52 Kongressmitglieder in einem Brief an DeVos appelliert, die Direktive beizubehalten - auch Republikaner waren unter den Unterzeichnern.

Doch Präsident Trump und seine Minister ziehen es vor, Projekte der Vorgängerregierung lieber komplett abzuwickeln, als sie in ihrem Sinne zu reformieren. Das hat sich schon bei der Gesundheitsreform gezeigt, auch wenn Trump damit vorläufig gescheitert ist.

Bildungsministerin DeVos dürfte im Zweifelsfall versuchen, ihre Agenda durchzudrücken. Das befürchten Organisationen, die sich für die Rechte von Opfern sexueller Gewalt einsetzen. So könnten zum Beispiel die sogenannten Nondisclosure Agreements wiedereingeführt werden. Vor 2011 war es durchaus üblich, dass die Betroffenen sexueller Gewalt mit den Bildungseinrichtungen einen Vertrag abschlossen. Darin war festgelegt, dass die Opfer nicht über das Geschehene sprechen dürften.

"Ich würde nie die Erfahrungen, die jemand gemacht hat, kleinreden"

In dem Streit um die Richtlinie geht es aber vor allem darum, wie in angezeigten Fällen Beweise zu bewerten sind. Die Obama-Regierung hatte Bildungseinrichtungen nahegelegt, gemäß der "überlegenen Beweise" zu entscheiden (preponderance of the evidence standard) - eine Abkehr von der bis dato geltenden juristischen Maxime, die für eine Verurteilung "klare und überzeugende Beweise" verlangte (clear and convincing evidence standard).

Befürworter der seit 2011 geltenden Praxis argumentieren, dass es in Fällen von Vergewaltigungen eben häufig keine eindeutigen Beweise gibt - beispielsweise, weil die Opfer nicht direkt nach dem Übergriff einen Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchen. Noch schwieriger ist die Beweisführung, wenn es um minder schwere Formen von sexueller Gewalt geht: von verbalen Übergriffen bis zum Griff zwischen die Beine. Oft steht Aussage gegen Aussage.

Gegner der Obama-Richtline halten dagegen, dass mit dem veränderten Bewertungsmaßstab kein faires Verfahren mehr gegeben sei. Dieser Ansicht ist offenbar auch die neue Bildungsministerin. "Kein Student sollte das Gefühl haben, dass es für ihn keinen Weg gibt, Gerechtigkeit zu erfahren, und kein Student sollte das Gefühl haben, dass ihm oder ihr mit Voreingenommenheit begegnet wird", sagte DeVos in der vergangenen Woche. Vorangegangen waren "emotional auslaugende" Gespräche mit College-Verantwortlichen, Opfern sexueller Übergriffe und Studenten, die für sich beanspruchen, zu Unrecht beschuldigt oder bestraft worden zu sein.

Das Treffen fand nur einen Tag nach den Äußerungen ihrer Civil-Rights-Chefin statt. Candice Jackson hatte nach massivem Protest von Interessengruppen, Frauenrechtlerinnen und Politikern ihre Aussage revidiert. "Ich würde nie die Erfahrungen, die jemand gemacht hat, kleinreden", betonte sie. Auch wenn keine Gewalt im Spiel gewesen sei, müsse "jede sexuelle Belästigung und jeder sexuelle Übergriff ernst genommen werden". Im Übrigen habe sie selbst einmal eine Vergewaltigung erlebt.

Candice Jackson

Höchst umstrittene Chefin der Abteilung für Bürgerrechte im US-BIldungsministerium: Candice Jackson.

(Foto: AP)

Candice Jackson ist eine der wenigen Berufenen im Trump-Team mit Erfahrung

Persönliche Betroffenheit dürfte jedoch kaum als Entschuldigung dafür gelten, anderen Opfern indirekt zu unterstellen, ihre Geschichte aufgebauscht oder erfunden zu haben. Dabei ist Candice Jackson tatsächlich eine der wenigen Berufenen im Trump-Team, die fundierte Erfahrung auf ihrem Gebiet mitbringt: Vor ihrem Posten im Bildungsministerium vertrat sie als Anwältin Opfer sexueller Übergriffe. Unpolitisch war ihre Arbeit allerdings schon da nicht. Als im vergangenen Jahr - mitten im Wahlkampf von Hillary Clinton - mehrere Frauen ihrem Mann, Ex-Präsident Bill Clinton, sexuelle Belästigung unterstellten, trat Jackson als Vorkämpferin der mutmaßlichen Opfer auf. Gleichzeitig versuchte sie, jene Frauen zu denunzieren, die Trump übergriffiges Verhalten vorwarfen. Jackson selbst gab einmal an, diskriminiert zu werden, weil sie weiß sei. Am Ende dürfte sie sich auch durch diese Unerschrockenheit, Tabus zu brechen, für ihren jetzigen Job empfohlen haben.

Ihre Gegner halten sie dagegen für eine gefährliche Fehlbesetzung. Die demokratische Senatorin Patty Murray aus Washington schrieb in einem Brief an Bildungsministerin DeVos: "Ich bin zutiefst verstört über die Botschaft jener Person, die Sie zur Verantwortlichen für Bürgerrechte gemacht haben. (...) Es drängt sich der Schluss auf, dass das Office for Civil Rights nicht bereit ist, die Aussagen von Opfern sexueller Gewalt ernst zu nehmen." Der demokratische Senator Bob Casey aus Pennsylvania attackierte DeVos direkt: Dass die Ministerin höchst umstrittene Männerrechtsgruppen zu den Gesprächen über die Obama-Richtlinie eingeladen habe, sei "ein Schlag ins Gesicht jener, die auf dem Campus einen sexuellen Übergriff erlebt haben".

Auf der Gästeliste des Bildungsministeriums stand unter anderem eine regionale Gruppe der "National Coalition for Men", die sich auf ihrer Homepage so erklärt: "Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, auf den sehr realen und sehr schädigenden Krieg gegen Männer aufmerksam zu machen." Dem Magazin Slate zufolge hat die Organisation in der Vergangenheit immer wieder Frauen drangsaliert und eingeschüchtert: Zu der Vereinigung gehörende Gruppen veröffentlichten Fotos, Namen und Details aus der Lebensgeschichte von Frauen, die Männer wegen sexueller Übergriffe angezeigt hatten - zu Unrecht, wie die Männeraktivisten behaupten.

Selbst wenn es sinnvoll ist, zu Unrecht beschuldigte Studenten zu hören, wenn es um die Zukunft der Obama-Richtlinie geht: Solche Fälle machen Expertenschätzungen zufolge acht Prozent aus. Bei Bildungsministerin DeVos finden diese Männer Gehör: "Ihre Geschichten werden nicht oft erzählt."

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