USA:Eine Frage der Hautfarbe

Ein 17-Jähriger musste zwei Jahre ins Gefängnis, weil er Silvester 2003 Sex mit einer 15-Jährigen hatte - und Schwarzer ist, sagen Kritiker.

Reymer Klüver

Der junge Mann in Khakihose und Ausgehhemd im Mittelgang der Kirche sagte, er sei nur glücklich, frei zu sein. In der Bibel heiße es, ein jedes habe seine Zeit. Er hoffe, dass seine Zeit nun gekommen sei. Amen, rief da die Gemeinde, und Hallelujah. Das war am Sonntag, und der Junge war gerade zwei Tage zuvor nach zwei langen Jahren in Haft entlassen worden. Sein Vergehen: Genarlow Wilson hatte als 17-Jähriger mit einer zwei Jahre jüngeren Freundin Oralsex gehabt.

Und weil das Ganze auf einer Drogen- und Alkoholparty geschah und auf einem Video dokumentiert worden war, wurde der Junge als Kinderschänder zu zehn Jahren Haft verurteilt. So sah es das Gesetz in Georgia vor. Bis am Freitag das Oberste Gericht des Bundesstaats ein Machtwort sprach, die Strafe als "vollkommen unangemessen" kassierte und die Freilassung anordnete.

So verbindlich wie Genarlow Wilson war der Pastor der Kirche nicht, der Ebenezer Baptist Church in Atlanta, wo gerade der junge Mann gesprochen hatte. Die Ebenezer Church Congregation ist nicht irgendeine Kirchengemeinde. Sie ist eine Ikone der Bürgerrechtsbewegung. Hier war Martin Luther King Pastor, hier predigte er vor einem halben Jahrhundert den friedlichen Widerstand der Schwarzen gegen Gewalt und Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft.

Verurteilung: Ausdruck von Rassenjustiz

Und Reverend Raphael Warnock, einer seiner Nachfolger, sprach am Sonntag den meisten in den Kirchenbänken aus dem Herzen, als er die Justiz in Georgia "mehr kriminell als gerecht" schimpfte. Eine wahre Gefängnisindustrie habe sich im Land etabliert, die mehr Schwarze als Weiße wegschließe. Das, so donnerte der Reverend, sei nichts als eine moderne Form der Sklaverei.

Tatsächlich sitzen in den USA, gemessen am Bevölkerungsanteil, deutlich mehr Schwarze als Weiße ein. Einer Studie des Sentencing Project zufolge - einer Organisation, die für eine Reform des Strafvollzugs kämpft - sind von den 2,2 Millionen Häftlingen in US-Gefängnissen 900.000 Schwarze, rund 45 Prozent.

Der Anteil Schwarzer an der US-Bevölkerung liegt aber nur bei knapp 13 Prozent. Wilsons Verurteilung wurde von vielen als Ausdruck von Rassenjustiz gewertet. Der Staatsanwalt, der den Jungen angeklagt hatte, war ein Weißer. Und eine Analyse seiner Strafsachen ergab, so fanden jedenfalls die Advokaten Wilsons, dass er in vergleichbaren Fällen vor Gericht schärfere Sanktionen gegen Schwarze als gegen Weiße forderte.

Genarlow Wilson selbst, bis zu seiner Anklage ein Einser-Schüler und Vorzeige-Athlet seiner High School, will nun die verlorene Zeit nachholen und einen Abschluss am College machen. Und er wird nach den Worten seiner Anwälte anderen Jugendlichen künftig ins Gewissen reden, ohne Drogen und Alkohol zu leben. Der 21-Jährige selbst formulierte es etwas direkter, kaum dass er aus dem Gefängnis entlassen worden war. "So schnell", sagte er wartenden Reportern, "werde ich keine Partys mehr feiern."

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