USA:Auf der Flucht erschossen

Still image from video allegedly shows police officer shooting man in the back in North Charleston

Diese Szene aus dem Handyvideo zeigt offenbar, wie der Polizist Michael Slager den flüchtigen Walter Scott erschießt.

(Foto: Reuters)

Ein weißer Polizist feuert acht Mal von hinten auf einen Schwarzen. Später spricht er von Notwehr. Doch ein Passant filmte das Geschehen. Nun diskutiert Amerika erneut über Rassismus und Polizeigewalt.

Von Jürgen Schmieder

Es ist nur eine wacklige Aufnahme, gefilmt mit einem Handy - und doch werten viele Amerikaner dieses Video als eines der wichtigsten Dokumente für Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten. Zu sehen ist der weiße Polizist Michael Slager, wie er aus kurzer Distanz acht Mal auf den flüchtenden Afroamerikaner Walter Lahmer Scott schießt. Von hinten. Er trifft ihn vier Mal im Rücken und ein Mal am Ohr. Scott fällt zu Boden und bleibt dort regungslos liegen, er ringt offensichtlich mit dem Tod. Slager legt ihm dennoch erst einmal Handschellen an, weder er noch sein mittlerweile herbei geeilter Kollegen kümmern sich um Scott. Erst nach drei Minuten bückt sich Slager hinunter, um den Puls des am Boden liegenden Mannes zu fühlen. Es ist zu spät. Scott ist tot.

Der Fall und das Video, das anonym über die Familie des Opfers unter anderem der New York Times zugespielt worden ist, sorgen nun weltweit für Aufsehen - zum einen, weil polizeiliche Gewalt in den USA durch mehrere jüngere Vorfälle derzeit im kollektiven Gedächtnis fest verankert ist: In Ferguson erschoss ein weißer Polizist einen unbewaffneten Afroamerikaner, in New York starb ein Afroamerikaner an den Folgen eines Würgegriffs, obwohl er immer wieder rief: "Ich bekomme keine Luft!", und in Los Angeles erschossen Polizisten einen schwarzen Obdachlosen. Darüber hinaus aber scheint das Video den Beweis dafür zu liefern, wie in diesem Land mit Polizeigewalt umgegangen wird.

Slager nämlich hatte nach den Schüssen am Samstag zu Protokoll gegeben, in Notwehr gehandelt zu haben. Er habe um sein Leben gefürchtet, weil ihm Scott bei einer Verkehrskontrolle wegen eines kaputten Bremslichtes seinen Elektroschocker entrissen habe. Er behauptete gar, dass beide um den Schocker gerungen hätten. Scott war mit den Unterhaltszahlungen für seine vier Kinder im Rückstand gewesen und wohl deshalb geflüchtet. Direkt nach den Schüssen meldete Slager seinen Kollegen in North Charleston im Bundesstaat South Carolina per Funk: "Es wurden Schüsse abgefeuert und der Verdächtige ist am Boden. Er hat meinen Taser genommen."

Im Video sieht es nun jedoch so aus, als habe der Polizist den Schocker erst nach den Schüssen neben sein Opfer gelegt: Es ist zu sehen, wie Slager etwas fallen lässt. Er sitzt nun in Untersuchungshaft, gegen ihn wird wegen Mordes ermittelt - sein Anwalt David Aylor hat nun verkündet, Slager nicht mehr verteidigen zu wollen. " Die Art, wie er (der Polizist) die Waffe abgefeuert hat, sah aus, als ob er ein Reh jagen würde, das durch den Wald läuft", sagt Scotts Vater Walter senior: "Ich danke Gott, dass sie das Video haben. Ohne die Aufnahmen wäre die Schießerei nie ans Tageslicht gekommen. Sie hätten es sonst unter den Teppich gekehrt, wie sie es schon oft getan haben."

Der Polizist war bereits bei einer früheren Verhaftung durch exzessive Gewalt aufgefallen

Genau das ist die Hoffnung jener 50 Menschen, die am Mittwoch in North Charleston auf die Straße gegangen sind, um gegen die Schüsse und für Transparenz in diesem Fall zu protestieren. Sie halten ähnliche Schilder hoch wie die Menschen in Ferguson, New York und Los Angeles, auf ihnen steht: "Black lives matter." Oder: "Stop racist police terror". "Die Polizei hätte doch wieder nur ihrem Kollegen geglaubt, wenn das Video nicht an die Öffentlichkeit gelangt wäre. Es wäre wieder nichts passiert, wie immer", sagte eine der Protestierenden im Fernsehen.

Das Misstrauen Polizisten gegenüber ist derzeit groß in den USA, eine von der Regierung einberufene Task Force hat zahlreiche Änderungen vorgeschlagen wie etwa, dass Polizisten Kameras an ihren Uniformen tragen sollen. Präsident Barack Obama hat Generalstaatsanwalt Eric Holder auf eine Reise durch das Land geschickt, um das Verhältnis zwischen Polizisten und Bürgern in jenen Gegenden zu verbessern, in denen vor allem Afroamerikaner leben. In North Charleston leben etwa 100 000 Menschen, 47 Prozent von ihnen Afroamerikaner. Der Anteil weißer Polizisten in der Stadt liegt jedoch laut der aktuellsten verfügbaren Statistik (2007) bei 80 Prozent.

"Wenn jemand falsch handelt, dann handelt er falsch", sagte Bürgermeister Keith Summey: "Es ist mir egal, ob jemand ein Bürger auf der Straße ist oder sich hinter einer Marke befindet." Slager war bereits im September 2013 vorgeworfen worden, bei der Verhaftung eines Einbrechers exzessive Gewalt angewendet zu haben, er habe damals unnötigerweise seinen Elektroschocker benutzt, war aber sogleich exkulpiert worden. Nun sitzt er in Untersuchungshaft, der Richter hat nach einer ersten Anhörung eine Freilassung gegen Kaution abgelehnt. Ihm drohen 30 Jahre Haft.

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