Süddeutsche Zeitung

US-Rapper:Kanye West irritiert Amerika

  • Der Rapper Kanye West sorgt mit seinen Äußerungen über Sklaverei, Rassismus und Donald Trump für Aufregung.
  • Seine Bekannten machen sich Sorgen um die Gesundheit des Musikers, andererseits ist der Familienclan, in den West eingeheiratet hat, für mediales Drama bekannt.
  • West hat sich auf eine Hütte in den Bergen zurückgezogen. Dort will er fünf neue Alben aufnehmen.

Von Jürgen Schmieder

Hier sind ein paar Sachen, die US-Rapper Kanye West in der vergangenen Woche gesagt hat, über sich selbst zum Beispiel: "Wenn mein gesellschaftlicher Einfluss in Geld bewertet würde, dann wäre ich mehrfacher Milliardär." Oder über Sklaverei: "400 Jahre? Das klingt für mich nach eigener Wahl." Oder über Freundschaft: "Rassismus ist kein Ausschlusskriterium für mich." Oder (wieder) über sich selbst: "Ich bin der (Henry) Ford, (Howard) Hughes, (Steve) Jobs, (Walt) Disney dieser Generation." Und klar: "Ich könnte eines Tages Präsident sein."

Kanye Omari West, 40, wurde als Sohn afroamerikanischer Eltern in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia geboren. Er wuchs bei der alleinerziehenden Mutter in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Und er fällt gerne auf: mal durch selbstverliebte, mal durch selbstgerechte Aktionen. Die Gretchenfrage der Popkultur ("Wird einer wahnsinnig, weil er reich und berühmt ist; oder wird einer reich und berühmt, weil er wahnsinnig ist?") lässt in seinem Fall einzig die zweite Variante zu.

Bekannte machen sich Sorgen um Wests Gesundheit

Wer sich nun allerdings ein bisschen umhört in Los Angeles, der bemerkt: Die Leute machen sich langsam ernsthaft Sorgen um ihn. Sie fürchten, dass all die Aussagen nicht mehr nur die Allüren eines popkulturellen Phänomens sind, das gerne mal provoziert. "Jemand hat was in Kanyes Drink getan", vermutet etwa der Rapper Snoop Dogg: "Ich habe das alles durchschaut: Die haben einen anderen Typen in seinen Körper gesteckt."

Die These von Snoop, die man auch von einigen Leuten aus Wests Bekanntenkreis hört: West verliert seinen Verstand und die Kontrolle über sein Leben. Er wird möglicherweise ferngesteuert, nur: Von wem? Auftritt Kris Jenner, Matriarchin des als Familie getarnten Unternehmens Kardashian. Jenner war zunächst mit dem Anwalt Robert Kardashian verheiratet, weltweit bekannt durch den Mordprozess gegen O. J. Simpson. Danach heiratete sie den Zehnkampf-Olympiasieger Bruce Jenner, der nach seiner Geschlechtsumwandlung nun Caitlyn heißt.

Viel mehr Drama geht nicht, und über das Sex-Video ihrer Tochter Kim Kardashian mit dem Rapper Ray J. vor zehn Jahren sagte Jenner, dass sie so etwas als Mutter zwar schrecklich fände, als Geschäftsfrau hingegen für eine Goldgrube halte. Seit sechs Jahren ist Kanye West nun mit Kim liiert, seit vier Jahren sind die beiden verheiratet. Sie haben drei Kinder. West ist nichts anderes als ein Teil des Kardashian-Jenner-Clans.

Verharmlosende Werbespots, Rachepornos - was Geld bringt, ist dem Kardashian-Clan nur recht

Man macht es sich zu einfach, den Kardashian-Jenner-Clan als "berühmt fürs Berühmtsein" abzutun. Es sind knallharte Geschäftsleute. Ein paar Beispiele: Es gab im vergangenen Jahr diese Cola-Werbung mit Kendall Jenner, 22, in der Demonstranten und Polizisten bei einer Dose Koffeinbrause zusammenkommen. Weil dem Clip unterstellt wurde, er verharmlose Polizeigewalt, zog ihn der Konzern zurück. Dem hauptberuflichen Model Jenner aber gelang es, am Ende als Opfer ignoranter Werbefuzzis dazustehen. Mit Einnahmen von mehr als 22 Millionen Dollar pro Jahr ist Kims Halbschwester mittlerweile das laut Forbes bestbezahlte Model der Welt.

Rob Kardashian, 31, wiederum löste mit der Veröffentlichung von Nacktfotos seiner Ex-Freundin Blac Chyna auf sozialen Netzwerken eine Debatte um Rachepornografie aus, er verdient mittlerweile bis zu 300 000 Dollar pro Eintrag auf diesen Netzwerken. Das geschätzte Vermögen von Caitlyn Jenner, 68, Ikone des Feminismus und Heldin der LGBT-Gemeinde (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender): mehr als 100 Millionen Dollar. Das von Kim Kardashian: 150 Millionen.

Kanye West passt gut ins familiäre Selbstvermarktungsimperium. Er verfolgt nämlich eine ganz ähnliche Strategie: Erst stürmt er im Jahr 2009 bei den MTV Video Music Awards - angeblich ganz spontan - die Bühne, um sich dort lauthals für die (damals nicht ausgezeichnete) Sängerin Beyoncé auszusprechen. Nur kurz darauf präsentiert er sich mit seinem Album "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" als dringend benötigter Rebell der Unterhaltungsbranche. Und 2016 gestaltet er die Veröffentlichung seines Albums "The Life of Pablo", in dem es um die Tücken des Berühmtseins geht - als Gesamtkonzept über die Tücken des Berühmtseins.

Kanye West will 2024 Präsident werden

Und jetzt? Jetzt inszeniert sich Kanye West als enger Freund von US-Präsident Donald Trump - und fällt so schon wieder auf. Offenbar ein Zweckbündnis zweier Egomanen, denn Trump erklärte gerade, dass ihm West helfe, beliebter bei afroamerikanischen Wählern zu werden. Zugleich provoziert West Schlagzeilen, indem er unfassbar dumme Dinge über Rassismus und Sklaverei sagt. Und er will "die Welt zu einem besseren Ort machen", eine Siedlung für Menschen mit positiver Energie gründen. Im Jahr 2024 dann, erklärt er immer wieder, möchte er für das Amt des US-Präsidenten kandidieren. Ganz egal, was er sagt: Die Welt stürzt sich darauf.

Vor wenigen Tagen ist Kanye West von Los Angeles nach Wyoming geflogen, er hat sich in eine Hütte auf dem Gipfel eines Berges zurückgezogen. Vielleicht findet er dort ja zu sich selbst, ganz sicher jedoch wird er (wie er selbst erklären lässt) in der Hütte nicht nur ein Album produzieren, sondern gleich fünf. Und die werden sich wohl auch verkaufen, denn West scheint es gelungen zu sein, sowohl Trump-Fans als auch Trump-Hasser für sich zu begeistern - und auch viele andere, die einfach nur kapieren wollen, wie so einer tickt.

Im bereits veröffentlichten Lied "Lift Yourself" behauptet West jedenfalls, dass er der roten Donald-Trump-Mütze mit dem Aufdruck "Make America great again" eine neue Bedeutung gegeben habe: "Ich habe Empathie, Fürsorge, Liebe und Zuneigung hinzugefügt - und ihr hinterfragt meine Strategie."

Die digitale Masse reagiert darauf wie der Pawlow'sche Hund

Das sind natürlich alles Spielzüge aus dem Kardashian-West-Taktikbuch. Und ein Großteil der digitalen Masse reagiert darauf wie der Hund im Experiment des Forschers Ivan Pawlow: mit sabbernder Begeisterung.

Die US-Satiresendung Saturday Night Live hat das gerade in einer genialen Parodie des Films A Quiet Place gezeigt: Menschen werden von Monstern gefressen, weil sie nicht aufhören können, auf jede einzelne Aktion von Kanye West zu reagieren. Die Antwort von West bei Twitter auf den Sketch: Drei lachende Smileys und drei Mal Feuer.

Übersetzt heißt das: Sein Plan ist wieder einmal aufgegangen.

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SZ vom 11.05.2018/lkr
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