Gewalttätige US-Polizisten:Sie schießen niemals auf die Beine

Activists Protest Police Shooting Of Homeless Man

Ein Mann protestiert in Los Angeles gegen Polizeigewalt, nachdem ein Obdachloser von Beamten erschossen wurde.

(Foto: AFP)
  • Die Polizeigewalt hat objektiv zugenommen; im laufenden Jahr gab es 637 Todesopfer, 2009 waren es 62.
  • Zwei Fehlentwicklungen haben zu der Brutalisierung der Beamten geführt.

Kommentar von Andrian Kreye

Inzwischen wird es einem sehr unwohl bei dem Gedanken an die Brutalisierung des Alltags in den USA, auch wenn man als weißer Europäer weit von den Realitäten dort entfernt lebt. Jedenfalls sind in Amerika schon wieder Menschen nicht-weißer Hautfarbe bei Routinekontrollen der Polizei gestorben.

Die schwarze Studentin Sandra Bland wurde in Texas festgenommen, nachdem sie vergessen hatte, beim Spurwechsel den Blinker zu setzen. Drei Tage später wurde sie tot in ihrer Zelle gefunden.

In Ohio versammelte sich am Dienstag die Familie des schwarzen Musikers Samuel Dubose zur Trauerfeier, der vergangenes Wochenende während einer Kontrolle von der Polizei erschossen worden war. Und in Kalifornien wurde am Dienstag der mexikanischstämmige Estevan Andrade Gomez bei einer Verkehrskontrolle verhaftet und dann auf dem Revier erschossen.

Beamte, die schlagen, treten, würgen

Warum Bland gestorben ist, weiß man noch nicht. Allerdings gibt es ein Video ihrer Festnahme, das zeigt, wie ruppig der Beamte dabei vorging.

Es geht ja auch nicht nur um die Toten. Der Rapper Rob Hustle hat ein Musikvideo aus solchen Szenen zusammengeschnitten - verwackelte Aufnahmen von Polizeibeamten, die unbewaffnete Bürger schlagen, treten, prügeln, würgen oder auf sie schießen.

Es wird nicht leicht sein, die Brutalisierung der amerikanischen Polizei zu entschärfen. Es gibt zwei Gründe, warum Polizisten in den USA so oft überreagieren. Diese sind Folge einer jahrzehntelangen Entwicklung.

Polizei-Strategie aus den Siebzigerjahren

Da gibt es zunächst einmal die Praxis, Polizeibeamte weder an ihrem Wohnort, noch in der Gegend, aus der sie stammen einzusetzen. Das war in den Siebzigerjahren eine Strategie, um der damals grassierenden Korruption Herr zu werden.

So soll aber auch verhindert werden, dass Beamte eine emotionale Bindung zu ihrem Einsatzgebiet entwickeln. In Armenvierteln empfinden Bürger ihre Polizei deswegen oft als eine Art Besatzungsmacht.

Zu dieser strategischen Fehlentscheidung kam eine fatale Hochrüstung der Straßenkriminellen. Mit dem professionellen Drogenhandel der kolumbianischen Kartelle kam in den Achtzigerjahren viel Geld in die sozialen Problemzonen der amerikanischen Großstädte. Kriminelle konnten sich immer bessere Waffen kaufen.

Mit dem Ende der zentralamerikanischen Bürgerkriege kamen auch vermehrt Kriegswaffen in Umlauf. Die amerikanische Polizei hatte damals noch ein vorsichtiges Verhältnis zu Waffen. Mit ihren Schlagstöcken, Revolvern und Flinten waren Polizisten den Gangs mit ihren Maschinenpistolen und Sturmgewehren aber deutlich unterlegen.

Dazu kam die steigende Verbreitung von Schusswaffen bei Normalbürgern. Alleine in den vergangenen sechs Jahren hat sich die Zahl verdoppelt.

Es gibt ein Entwaffnungsgebot - offiziell

Wegen dieser Ungleichheit der Waffen bildete sich bei amerikanischen Polizisten eine Notwehrmentalität mit fatalen Folgen. Offiziell gibt es zwar ein Entwaffnungsgebot. Doch wer Polizisten kennenlernt, erfährt, dass sie niemals auf die Beine schießen. Fühlen sie sich bedroht, ist der Todesschuss für sie die sicherste Methode, einer Gefahr zu begegnen.

Mit gesteigerter Aufmerksamkeit für das Thema wegen der Verbreitung von Handykameras hat das nichts zu tun. Die Zahlen steigen. Alleine dieses Jahr zählte das Onlineprojekt The Counted 637 Tote durch Polizeigewalt. 2009 waren es noch 62.

Die fehlgeleiteten Einsatzstrategien der Polizei und die Aufrüstung der Bevölkerung und der Unterwelt haben in Amerika zur Eskalation der Polizeibrutalität geführt.

Dazu kommt eine dritte Komponente - der ungebrochene institutionalisierte Rassismus. Deswegen sind es vor allem die Nichtweißen, die darunter leiden. Eine rasche Lösung wird es nicht geben.

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