Süddeutsche Zeitung

US-Neonazis: Ein Stück Straße:Highway from hell

Meinungsfreiheit am rechten Straßenrand: Zum Dank fürs Müllsammeln stellen US-Behörden Werbeschilder an den Highways auf. Gute Fahrt wünschen Pfadfinder, Kirchengemeinden - und Neonazis.

Katarina Lukac

Wer sich mit dem Auto der Stadt Denver im US-Bundesstaat Colorado nähert, bekommt nicht nur in der Ferne die Rocky Mountains und mit etwas Glück einen Koyoten zu sehen. In dem Städtchen Brighton werden Durchreisende auf dem US-Highway 85 neuerdings von einem Schild der örtlichen "Nationalsozialistischen Bewegung" begrüßt. Am Straßenrand aufgestellt hat es das Verkehrsministerium von Colorado - als Belohnung für die Teilnahme am Patenschaftsprogramm "Adopt a Highway".

Um an das staatliche Saubermann-Zertifikat heranzukommen, mussten sich die Rechtsradikalen lediglich dazu verpflichten, eine Meile des Straßenrandes sauber zu halten. Vorgeschrieben sind mindestens vier Müllsammelaktionen pro Jahr. "Wir sind aufrechte Bürger", verbreitet Neal Land, Ortschef der Gruppe, im örtlichen Fernsehsender Fox 31. "Wir versuchen, gute Menschen zu sein und uns als ebensolche darzustellen."

Das Ministerium sieht sich zu seiner Rolle als Steigbügelhalter verpflichtet: "Wir waren nicht begeistert", teilt Sprecherin Stacey Stegman sueddeutsche.de auf Anfrage mit. "Doch wir denken, dass es sich um eine Frage der Meinungsfreiheit handelt und wir alle Gruppen rechtlich gleich behandeln müssen."

Zwischen Nazis und einer adoptionswilligen Gruppe von Pfadfindern oder Rotariern wird folglich kein Unterschied gemacht.

Jüdische Organisation: "Jede Art von Rede muss existieren dürfen"

Rückendeckung bekommt die Behörde von unerwarteter Seite: Selbst die Organisation "Anti-Defamation League", die gegen Diskriminierung und Diffamierung von Juden eintritt, stellt das Recht auf freie Meinungsäußerung über moralische Bedenken: "Um unsere Freiheit garantieren zu können, muss jede Art von Rede existieren dürfen, und in diesem Fall ist eben die Hassrede geschützt," sagt der örtliche Vorsitzende der Organisation, Bruce DeBoskey.

Dabei hat DeBoskey für das "National Socialist Movement" - nach eigenen Angaben die größte nationalsozialistische Partei der USA - nichts als Verachtung übrig: "Diese Organisation steht für Hass. Es handelt sich um eine rechtsextreme Gruppe. Eine Neonazi-Gruppe."

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie der Bundesstaat Missouri den Ku-Klux-Klan austrickste.

Dem Ministerium riet DeBoskey dennoch zu einer Zustimmung des Antrags der Neonazis - denn das amerikanische Gesetz ist auf deren Seite. Vor mehreren Jahren lehnte der Supreme Court in Washington in einem Grundsatzurteil einen Berufungsantrag des Bundesstaates Missouri nach einem jahrelangen Rechtsstreit endgültig ab. Missouri hatte einen Antrag des berüchtigten Ku-Klux-Klan auf Teilnahme am "Adopt-a-Highway"-Programm abgelehnt und war von den Kapuzenträgern verklagt worden - letztlich mit Erfolg. Meinungsfreiheit hat Vorrang selbst vor dem Civil Rights Act von 1964, der unter anderem die staatliche Finanzierung diskriminierender Projekte verbietet.

Behördenlist Rabbiner-Highway

In Missouri sind die Behörden zu einer kreativen Lösung übergegangen: Den Interstate-Abschnitt bei St. Louis benannten sie kurzerhand in "Rosa Parks Highway" um, nach der gleichnamigen Bürgerrechtsikone. Der Patenschaftsvertrag mit dem Ku-Klux-Klan wurde bald danach aufgelöst, weil der seinen Putzpflichten nicht mehr nachkam. Als Parks kurz vor ihrem Tod im Alter von 92 Jahren von ihrem Sieg in Missouri erfuhr, soll sie lapidar gesagt haben: "Es ist immer schön, wenn an einen gedacht wird."

Im vergangenen Jahr verhalfen sich Missouris Behörden mit demselben Trick, diesmal in Springfield. Ein von Nazis heimgesuchter Schnellstraßenabschnitt bekam den Namen "Rabbi Abraham Joshua Heschel Memorial Highway". Der in Frankfurt lebende jüdische Theologe wurde 1938 von den Nazis nach Polen deportiert und floh kurz vor Hitlers Einmarsch in die USA.

In Colorado planen die Behörden nichts dergleichen, obwohl eine Pressemitteilung aufhorchen ließ: Das Verkehrsministerium in Denver teilte mit, dass den Neonazis der ihnen zugesagte Straßenabschnitt aufgrund eines formellen Fehlers doch nicht zugeteilt werde - der Abschnitt war bereits der Baptisten-Gemeinde am Rande des Highways versprochen. Man habe jedoch eine "einvernehmliche Lösung" gefunden: das Nazi-Schild wird an einem anderen Straßenabschnitt ganz in der Nähe aufgestellt.

Die Behörde übernahm die volle Verantwortung für den Fehler und entschuldigte sich untertänig bei beiden Gruppen - der Kirche und den Neonazis - für mögliche Unannehmlichkeiten.

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