Süddeutsche Zeitung

Verurteilter Deutscher in US-Gefängnis:Weinen? Geht nicht

Jens Söring sitzt seit 26 Jahren wegen Doppelmordes in den USA im Gefängnis. Er sagt, er sei unschuldig. Jetzt hat er versucht, seine Haftüberstellung nach Deutschland durchzusetzen - vergeblich. Ein Gespräch über ein Leben zwischen Hoffen und Bangen.

Karin Steinberger

Jens Söring wurde am 1. August 1966 als Sohn eines deutschen Diplomaten geboren. Am 30. April 1986 wurde er zusammen mit seiner Freundin Elisabeth Haysom in London verhaftet, am 12. Januar 1990 wurde er an die USA ausgeliefert und am 21. Juni 1990 wegen Doppelmordes an den Eltern von Elisabeth verurteilt. Zwei Mal lebenslänglich. Es ist ein Fall ohne Augenzeugen, ohne Fingerabdrücke, es gab Ungereimtheiten, Verfahrensfehler, befangene Richter. Jens Söring sagt, er war es nicht. 26 Jahre ist er jetzt im Gefängnis. Momentan sitzt er im Buckingham Correctional Center, Dylwin, Virginia. Eine Entlassung auf Bewährung wurde siebenmal abgelehnt. Im Januar 2010 stimmte der demokratische Gouverneur von Virginia, Timothy M. Kaine, einer Haftüberstellung Sörings nach Deutschland zu. Wenige Tage später nahm sein republikanischer Nachfolger Robert F. McDonnell diese Entscheidung zurück. Söring klagte, um die Haftüberstellung nach Deutschland juristisch doch noch durchzusetzen. Der Antrag wurde Ende letzter Woche abgewiesen.

Söring: Na, wie geht's?

SZ: Das wollte ich eigentlich Sie fragen? Sie haben gerade erfahren, dass Sie Ihren Prozess verloren haben.

Söring: Klar, ich bin enttäuscht. Überrascht bin ich nicht, ich habe in den 22 Jahren, die ich jetzt im virginianischen Strafvollzug verbracht habe, kein einziges Mal vor Gericht gewonnen. Im März wurde eine Studie veröffentlicht, da bekam Virginia die Note "f" für failure. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass das Justizsystem in Virginia nicht unabhängig ist, weil die Richter von den Politikern ernannt werden. Sie fühlen sich verpflichtet, den so genannten Willen des Volkes auszuführen. Und der angebliche Wille hier ist, dass man mich nie frei lässt.

SZ: Es sah doch ganz gut aus, oder?

Söring: Mein Anwalt hatte ein gutes Gefühl bei der Gerichtsanhörung. Am Urteil ist vieles ungewöhnlich. Wir werden auf jeden Fall in Berufung gehen. Mein Anwalt glaubt, dass der Virginia Supreme Court den Fall zulassen wird, weil er so kontrovers ist. Dann gäbe es im Januar 2013 die mündliche Verhandlung. Und im März dann das Urteil.

SZ: Wie haben Sie es denn erfahren?

Söring: Nach dem Frühstück, um 7.30 Uhr. Ich saß auf dem Klo, da hat das elektronische Schloss an meiner Zellentür geschnurrt. Damit lassen sie uns wissen, dass man zum Kontrollraum kommen soll. Das Schloss hat also geschnurrt und dann kam über die Ansage: Söring - 204 - zum Kontrollraum.

SZ: 204?

Söring: Das ist meine Zellennummer. Ich habe mir also mein Hemd angezogen und meine Stiefel und bin sofort zur Kommandozentrale gegangen, watch office heißt das hier. Ich bin in ein Zimmer gebracht worden und da haben sie mir dann gesagt, dass der Fall abgelehnt worden sei. Sie haben gefragt, ob ich in Ordnung sei, oder ob ich obsessed bin. Wie sagt man das auf Deutsch.

SZ: Ob Sie besessen sind?

Söring: Naja, die machen sich Sorgen, dass man durchdreht und alles kaputt schlägt. Ich habe gesagt: Alles in Ordnung. Wir dürfen dreimal im Monat einkaufen, also bin ich einkaufen gegangen. Wie gesagt, das Leben geht weiter, ich muss meine Einkäufe holen, die habe ich ja schon bezahlt. Ich bin also zum Knastladen gegangen: Vitamintabletten, Thunfisch, Brötchen, Briefmarken, Schreibmaterial. Dann habe ich meinen Anwalt angerufen. Das Seltsame ist, dass die Richterin ein virginianisches Gesetz über eine europäische Konvention zur Haftüberstellung interpretiert hat. Normalerweise ist das für die konservativen Richter des Virginia Supreme Court ein rotes Tuch. Denen dürfte das nicht gefallen.

SZ: Sie haben in der Kommandozentrale gesagt, sie sind ok. Ist das wahr?

Söring: Naja, es hat auch weh getan. Im Gefängnis sagt man: Es war ein Tritt in die Eier.

SZ: Das sagt man hier draußen auch.

Söring: Es ist ja nicht so, dass ich vor der Sachbearbeiterin und dem hochrangigen Wächter, irgendwelche Gefühle zeigen kann. Ich kann da nicht weinen oder schreien.

SZ: Warum eigentlich nicht?

Söring: Weil ich dann weggesperrt werde. Dann heißt es, wegen meines psychologischen Zustands muss ich eine Woche oder länger in die Strafzelle. Das nennt sich special housing, man kann das übersetzen mit Sonderbehandlung. Es sind Strafzellen für Geisteskranke, die sich nicht beherrschen können. Ich kann also gar keine Gefühle zeigen, sonst wird es noch schlimmer. Wenn ich hier jemanden verprügle oder das Telefon von der Wand reiße, oder wenn ich mich erhänge, dann müssen sie Formulare ausfüllen und Berichte schreiben, das wollen sie natürlich nicht. Es ist Freitag, die wollen ins Wochenende. Ich störe hier den normalen Arbeitstrott, wenn ich durchdrehe.

SZ: Weint man dann später in der Zelle?

Söring: Nein, nein, ich bin ja in einer Doppelzelle, mein Mitinsasse hat schwere psychologische Probleme. Heute morgen war er im Gemeinschaftssaal, sein Buch lag am Tisch. Dann hat ein anderer Insasse sein Buch von dem einen auf den anderen Platz rübergeschoben. Über diese Sache hat er sich schrecklich aufgeregt. Er musste erst mal von mir beruhigt werden, damit er nicht durchdreht. Ich habe gar keine Zeit, mich um mich selber zu kümmern. Ich muss aufpassen, dass der nicht umkippt.

SZ: Oh je - war der ganze Tag so?

Söring: Ich habe dann noch mit der deutschen Botschaft telefoniert, um viertel nach zehn musste ich zur Sachbearbeiterin, am Montag habe ich mein Parole-Interview. Da kommt einer vom Parole Board, der Bewährungskommission, und fragt mich und 20 andere, jeden etwa fünf bis zehn Minuten, dann fertigt er seinen Bericht an und schickt ihn an das Parole Board.

SZ: Bei einer ihrer Bewährungsverhandlungen am Parole Board ist einer eingeschlafen. Nehmen Sie das noch ernst?

Söring: Es haben gerade elf Gefängnisinsassen in Virginia geklagt, weil das Parole Board immer nein sagt ohne richtige Gründe zu nennen. Die Parole-Rate hier schwankt zwischen 2,1 und 3,7 Prozent. Die Insassen sagen, das beweist, dass man uns keine Chance gibt. Das Gericht hat gesagt, im Gegenteil, das beweise nur, dass man es sich sehr gut überlegt. Am Montag treffe ich mich mit dem Mann vom Parole Board, die Anhörung ist am 10. September.

SZ: Und wieder macht man sich Hoffnung?

Söring: Ein bisschen. Es ist ja so, dass sich viele deutsche Politiker für mich eingesetzt haben, auch bei McDonnell. Ich hoffe, dass mit weiterer Unterstützung die Möglichkeit bestünde, mich über Parole gehen zu lassen. Die Verantwortung dafür könnte der Gouverneur auf das Parole Board abwälzen. Bei der Haftüberstellung ist es das Gegenteil, das ist seine eigene Entscheidung. Deswegen kann der Gouverneur seine Meinung zu meiner Haftüberstellung nie ändern. Er kann nicht, politisch. Ein Republikaner, er muss hard on crime sein.

SZ: Was macht das alles mit einem?

Söring: Ach, ehrlich gesagt, ich bin im 27. Jahr meiner Haft. Nach so vielen Jahrzehnten mit immer dem gleichen Rhythmus, hoffen, enttäuscht werden, Hoffnung aufbauen, hoffen, enttäuscht werden. Früher war es so, dass ich völlig am Boden zerstört war. Zum Beispiel in der Nacht des Urteils am 21. Juni 1990: Ich war so enttäuscht darüber, dass man mich für schuldig befunden hatte für ein Verbrechen, das ist nicht begangen habe, dass ich da halbherzig, aber immerhin, versucht habe, mich umzubringen. Aber man gewöhnt sich irgendwie daran ... Naja, es ist schon jedes Mal schlimm, es ist auch jetzt noch schlimm. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wie oft ich schon abgelehnt worden bin. Ich könnte mal nachzählen. Ich glaube, das war jetzt das zehnte Gericht, das mich abgelehnt hat seit 1990.

SZ: Und jedesmal träumt man wieder, doch noch einmal einen Baum zu berühren?

Söring: Das einzige Mal, wo ich mir wirklich Gedanken darüber gemacht habe, wie meine Zukunft aussehen könnte, war 2010, als ich glaubte, dass mich US-Staatsanwalt Eric Holder doch nach Deutschland gehen lassen wird, trotz des Briefs von Gouverneur McDonnell. Da habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was für ein Leben ich haben könnte. Dann kam am 7. Juli der Brief von Holder. Das hat mich dermaßen zerstört. Das habe ich gerade gar nicht mitgezählt. Das ist noch eine Instanz, von der ich enttäuscht wurde. Seitdem mache ich das nicht mehr. Ich kann mir das nicht leisten, von einer Zukunft zu träumen, die ich vielleicht nie haben werde.

SZ: Was machen Sie denn heute noch?

Söring: Erst mal muss ich zum Mittagessen gehen.

SZ: Gibt's denn überhaupt noch was?

Söring: Keine Sorge, ich war ja heute Morgen beim Einkaufen. Man muss hier sowieso vor jeder Mahlzeit was essen, wir kriegen ja kaum noch genug hier. Es ist verrückt. Die Haushaltslage ist dermaßen desolat, die haben nicht genug Geld, um die ärmlichsten Kleinigkeiten zu machen. Man hat schon beinahe Mitleid mit diesen Leuten. Nach dem Essen muss ich dann bei der Botschaft anrufen, dann eine Anwältin und einen Freund. Und ich habe einen sehr netten Brief von Katrin Göring-Eckardt bekommen, den muss ich noch beantworten. Ich bekomme mittlerweile erstaunlich viel Post von Mitgliedern des Bundestags. Teilweise sind das wirklich sehr liebenswürdige Menschen, das sind sehr persönliche Briefe, es ist berührend.

SZ: Hilft einem so etwas? Ein Brief?

Söring: Es hilft mir zu überleben. Es ist ja so, dass die Virginianer mich aus eigener Kraft nie gehen lassen werden. Das kann nur gelingen, wenn Berlin mich rausholt. Das ist die einzige Hoffnung. Für Lebenslängliche ist die Bewährungsrate ja noch geringer. Wir sollen hier wirklich sterben. Das ist kein Witz. Aber es geht mir besser als den anderen, die haben niemanden da draußen. Ich habe ja, gottlob, sehr viele Unterstützer in Deutschland. Vor einigen Wochen hat mich übrigens eine Freundin besucht, sie hatte einen Rock an, der zu kurz war. Und sie hatte keinen Unterrock an. Sie wurde rausgeschmissen und musste sich umziehen. Ich dachte, das würde Sie amüsieren, Sie hatten bei Ihrem letzten Besuch doch auch Probleme. Die passen hier unwahrscheinlich auf bei der Unterwäsche, das ist ihnen wichtig. Unschuldige Menschen freizulassen, das ist ihnen nicht wichtig.

SZ: Absurd. Vielleicht kommen Sie da ja doch irgendwann raus.

Söring: Raus komme ich bestimmt, die Frage ist nur, ob ich noch zu Lebzeiten rauskomme. Das können Sie reinschreiben. Raus komme ich garantiert. Wir haben übrigens noch ein bisschen Zeit. Was ich noch sagen möchte: Ich würde meinen Unterstützern in Deutschland so gerne mal die Gelegenheit zu großer Freude bieten. Ich wäre gerne auch mal good news. So, jetzt ist Schluss, es wird mir zugewunken.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1414181
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.07.2012/jobr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.