Süddeutsche Zeitung

Urteil des Bundesgerichtshofs:Sie wollte die Gewalttat, aber nicht den Mord

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Von Annette Ramelsberger

Xenia I. wartete, bis sie die Nachbarin wieder zurückkommen sah vom Joggen. Nur drei Häuser weiter wohnte die chinesische Studentin, mitten in der Altstadt von Dessau. Xenia I. sah das Mädchen mit dem Pferdeschwanz herankommen, dann trat sie vor die Tür. Sie gestikulierte wild, deutete der jungen Frau an, dass sie dringend Hilfe brauche, dass sie mitkommen solle ins Haus. Die Studentin zögerte kurz, dann folgte sie Xenia I. hinter die schwere hölzerne Eingangstür. Hinter der Tür lauerte Xenias Freund Sebastian. Noch im Treppenhaus fiel er über die Studentin her. Xenia I. hielt sie fest.

Stunden später war Yangjie Li, 25, die aus China an die Bauhaus-Universität gekommen war, tot. Zu Tode gequält von Sebastian F., angelockt von seiner Freundin. Die beiden hatten die junge Frau in eine leer stehende Wohnung im ersten Stock ihres Hauses verschleppt. Im zweiten Stock wohnten sie selbst mit ihren Kindern. Für die Staatsanwaltschaft waren beide gleichberechtigte Täter. Das Landgericht Dessau aber sah das anders: Es verurteilte zwar Sebastian F. vor einem Jahr zu lebenslanger Haft, mit besonderer Schwere der Schuld. Seine Freundin Xenia jedoch wurde vom Mordvorwurf freigesprochen, sie erhielt nur fünfeinhalb Jahre Jugendstrafe wegen sexueller Nötigung.

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Eltern der getöteten Studentin gingen dagegen in Revision. Für sie war Xenia I. eindeutig Mittäterin - DNA von Xenia wurde im Körper der Toten gefunden. Die Angeklagte hatte zugegeben, dass sie bei den Vergewaltigungen dabei war. Dann aber habe ihr Freund gesagt, er werde seine Zigarette aufrauchen und das Opfer laufen lassen. Xenia I. ging einen Stock höher: Sie brachte ihre zwei kleinen Kinder ins Bett. Danach duschte sie. Sie rief nicht die Polizei. Sie rief auch nicht bei der Mutter ihres Freundes an, einer Polizeibeamtin. Sie tat nichts. In der Wohnung darunter marterte ihr Freund die junge Frau in dieser Zeit zu Tode. Am Ende befahl Sebastian F. seiner Freundin, sie solle ihm beim Beseitigen der Leiche helfen. Beide kippten das Mädchen wie Abfall mit einer Mülltonne hinters Haus. Doch das Gericht in Dessau gab sich überzeugt: Den Tod von Yangjie Li habe Xenia I. nicht gewollt.

Xenia I. war laut Gutachten eine "dependente Persönlichkeit"

Nun hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe diese Rechtsauffassung gestützt. Es bestätigte am Donnerstag die Entscheidung des Landgerichts Dessau. Es sei kein Rechtsfehler zu erkennen. Xenia I. muss nicht wegen Mordes verurteilt werden. Die fünfeinhalb Jahre reichen.

Das Landgericht Dessau hatte ihr geglaubt, dass sie am Mord selbst nicht beteiligt war und diesen auch nicht wollte. Dass sie davon ausgegangen sei, dass ihr Freund sein Opfer nach den stundenlangen Vergewaltigungen gehen lasse. Xenia I. war laut psychiatrischem Gutachter eine "dependente Persönlichkeit", also extrem abhängig von ihrem Freund. Sie wurde selbst immer wieder von ihm sexuell misshandelt und mit dem Tod bedroht. Sie war schon als Kind von ihrem Stiefvater missbraucht worden. Sebastian F. hatte ihr gedroht, sie zu verlassen, wenn sie nicht eine Frau für ihn besorge. In ihrer Not habe sie die Studentin ins Haus gelockt. Der Gerichtspsychiater erklärte, Xenia I. liefere sich den Wünschen ihres Partners aus und mache sie sich zu eigen.

Der Anwalt der Eltern hatte argumentiert, die Vergewaltigungen seien so brutal gewesen, dass Xenia I. nicht habe davon ausgehen können, dass ihr Freund die Studentin einfach gehen lassen würde. Der Missbrauch der Studentin sei nicht vergleichbar mit dem Missbrauch, den Xenia I. durch ihren Freund erlebt habe.

Nächste Woche wird Anwalt Sven Peitzner mit den Eltern in China telefonieren. Er wird ihnen sagen, dass der Bundesgerichtshof die lebenslange Strafe für den Täter bestätigt hat. Insbesondere die besondere Schwere der Schuld und die Verurteilung nach Erwachsenenrecht. Sebastian F. wird sehr, sehr lange nicht wieder in Freiheit kommen. Das ist für die Eltern eine Beruhigung. "Es wird ihnen gut tun, dass der Haupttäter gerecht bestraft worden ist", sagt Peitzner. Peitzner wird ihnen aber auch erzählen, dass das gleiche Gericht die Frau, die ihre Tochter ins Haus gelockt hatte, nicht als Mittäterin sieht. Die Eltern werden das akzeptieren, auch wenn sie es nicht verstehen. Der Vater von Yangjie Li ist selbst Polizist. Die Familie hat ihr einziges Kind verloren.

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SZ vom 07.09.2018
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