Urteil:Kindsmörder Gäfgen bekommt Schmerzensgeld für Folterdrohung

Der Kindsmörder Magnus Gäfgen bekommt Schmerzensgeld vom Land Hessen. Gäfgen hatte 2002 den Bankierssohn Jakob von Metzler entführt und getötet. Um den Aufenthaltsort des Entführungsopfers zu erfahren, drohte ein Polizist Gäfgen im Verhör mit Gewalt - wofür der nun 3000 Euro Schmerzensgeld erhält. Seine Menschenwürde sei schwer verletzt worden, urteilten die Richter in Frankfurt.

Der verurteilte Kindsmörder Magnus Gäfgen bekommt für die Androhung von Folter Schmerzensgeld vom Land Hessen. Das Frankfurter Landgericht sprach dem 36-Jährigen einen Betrag in Höhe von 3000 Euro zu - plus Zinsen. Gäfgen hatte das Land verklagt, weil ihm ein Polizist nach seiner Festnahme Gewalt angedroht hatte, um das Versteck des entführten Jakob von Metzler zu erfahren. Die Zahlungen stünden dem Kläger zu, weil seine Menschenwürde bei einem Verhör im Jahr 2002 schwer verletzt worden sei, urteilten die Frankfurter Richter.

Kindermörder Gäfgen verklagt Hessen

Magnus Gäfgen, der Entführer und Mörder des Bankierssohns Jakob von Metzler, sieht sich durch Folterdrohungen der hessischen Polizei nach seiner Verhaftung im Jahr 2002 traumatisiert.

(Foto: dpa)

Gäfgen hatte den elfjährigen Bankierssohn 2002 entführt und getötet. Von den Eltern forderte er Lösegeld. Kurz nach der Geldübergabe nahm ihn die Polizei fest; im Verhör drohte ihm ein Beamter mit "unvorstellbaren Schmerzen", falls er den Aufenthaltsort des Jungen nicht verrate. Die Leiche des Kindes war dann allerdings wenig später aus einem Tümpel geborgen worden. Der Vernehmungsbeamte und ein Vorgesetzter sind wegen der Folterdrohung bereits 2004 zu Geldstrafen auf Bewährung verurteilt worden.

Das Vorgehen der Ermittler sei eine "schwerwiegende Rechtsverletzung" und könne nicht auf andere Weise befriedigend ausgeglichen werden als durch die Zahlung einer Entschädigung, sagte der Vorsitzende Richter Christoph Hefter. Beide Polizisten hätten mit ihren Drohungen vorsätzlich gehandelt und nicht alle übrigen Wege ausgeschöpft, um Gäfgen zum Reden zu bringen.

Allerdings wies die Kammer die zusätzliche Forderung nach Schadenersatz ab, ebenso wie einen Befangenheitsantrag des Anwalts. Die Kammer habe sich bereits vorab festgelegt, ohne wichtige Unterlagen zu berücksichtigen, hatte der Anwalt argumentiert. Den Antrag wies das Gericht kurz vor der Urteilsverkündung zurück. Der Jurist habe diesen nur "rechtsmissbräuchlich" eingesetzt.

Das Gericht blieb mit seinem Urteil hinter den Forderungen Gäfgens zurück, der 10.000 Euro Schmerzensgeld sowie Schadenersatz in unbekannter Höhe gefordert hatte. Seine Schmerzensgeldforderung begründet Gäfgen mit psychischen Spätfolgen, unter denen er wegen der Folterdrohungen leide. Ein Gutachter hatte aber nicht eindeutig sagen können, ob Gäfgens Probleme vor allem darin wurzelten, denn immerhin sei seine Lebenslüge zusammengebrochen, die Lebensperspektive zerstört - und er habe den Tod seines elf Jahre alten Opfers miterlebt.

Kritik von Polizei- und Opferverbänden

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat das Urteil kritisiert. Der Richterspruch sei emotional nur sehr schwer erträglich, erklärte der GdP-Bundesvorsitzende Bernhard Witthaut. "Diese dicke Kröte muss jedoch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit geschluckt werden", fügte der Gewerkschafter hinzu. Die Entscheidung dürfe jedoch nicht zur Folge haben, dass die Polizei in Vernehmungen nicht mehr intensiv nachfragen dürfe, betonte Witthaut.

Scharfe Kritik übte auch der Opferverband Weißer Ring. Die Entscheidung des Frankfurter Landgerichts sei nicht nachvollziehbar, sagte der Sprecher des Vereins, Veit Schiemann. Bei allem Respekt vor den Regeln eines modernen Rechtsstaates dürfe nicht übersehen werden, dass der Begriff "Todesangst", auf den sich Gäfgen berufen habe, viel stärker mit dem ermordeten Kind zu tun haben sollte.

Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach erklärte, er habe für die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt, Gäfgen für die Folterandrohung in einem Polizeiverhör Schmerzensgeld zuzusprechen, kein Verständnis. Der betroffene Polizist habe geglaubt, dies sei die letzte Chance, das Leben des entführten Jakob von Metzler retten zu können. "Das war eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr. Die Gefahr wurde von dem Täter selbst heraufbeschworen. Dass er dafür noch Schmerzensgeld bekommt, ist für mich nicht verständlich", sagte Bosbach dem Sender n-tv.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kritisierte das Schadensersatz-Urteil scharf. Für ihn sei es eine "unerträgliche Perversion des Rechtsstaates", sagte er der Bild-Zeitung (Freitagausgabe) laut Vorabbericht. "Es ist unglaublich frech und unanständig, für die Angst, die der Täter während der Vernehmung hatte, Entschädigung zu verlangen", sagte er. "Folter ist verboten, aber kein Anlass, den Mörder zum Opfer zu erklären."

Der Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, verteidigte hingegen die Schmerzensgeld-Entscheidung zugunsten Gäfgens. "Wenn das Gericht die Androhung der Folter als erwiesen ansieht, ist das Urteil in Ordnung. Falls die Androhung von Folter in Deutschland zulässig wäre, hätten wir keinen Rechtsstaat", sagte Wiefelspütz dem Berliner Tagesspiegel (Freitagsausgabe). Gäfgen habe schwerste Schuld auf sich geladen und sei zu Recht zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Doch auch Gäfgen habe unveräußerliche Rechte, sagte Wiefelspütz.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: