Süddeutsche Zeitung

Urteil in Aachen:Freispruch im Prozess um verwahrloste Mutter

Lesezeit: 1 min

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete: Misshandlung von Schutzbefohlenen mit Todesfolge durch Unterlassen - doch er wurde nicht bestätigt. Das Aachener Landgericht hat eine Frau freigesprochen, die wegen mangelnder Pflege ihrer Mutter angeklagt war.

Die 73 Jahre alte Mutter war im Jahr 2010 ins Krankenhaus gekommen und Wochen später gestorben. Sie hatte großflächige faulende Druckgeschwüre, war von Läuse und Pilzen befallen sowie schlecht ernährt. Die 54-jährige Tochter hätte den Tod der bei ihr lebenden Mutter zwar verhindern können, sagte der Richter am Mittwoch in der Urteilsbegründung. Es gebe aber keine strafrechtliche Verantwortung der 54-Jährigen.

Die Angeklagte hatte betont, ihre Mutter sei nicht ans Bett gefesselt gewesen und habe am Familienleben teilgenommen. Aufgrund des medizinischen Gutachtens sei nicht ausgeschlossen, dass dies stimme, sagte der Richter. Ein Gutachter hatte festgestellt, dass bei der 73-Jährigen ein hohes Risiko für Druckgeschwüre bestanden habe und schon stundenlanges Sitzen zu Schädigungen von Haut und Geweben führen konnte. Beim Tod der Frau hätten auch noch andere Krankheiten eine Rolle gespielt.

Empörtes Klinikpersonal, schockierte Sachverständige

"Wie sie persönlich damit umgeht, ist ihre Sache", sagte der Vorsitzende Richter bei der Urteilsverkündung. Seit 2010 dürfte die 54-jährige Frau wohl keine ruhige Nacht mehr gehabt haben, vermutete er. 2010 war das Jahr, als die bei der Angeklagten lebende 73-jährige Mutter plötzlich nicht mehr ansprechbar war und ins Krankenhaus kam. Das Klinikpersonal sei über den Zustand der Frau empört gewesen. Auch im Gerichtssaal schockierten die Bilder von den großen faulenden Druckstellen der Patientin Richter, Verteidiger und Sachverständige.

Die Tochter sei mit der Situation hoffnungslos überfordert gewesen - auch wegen ihrer "intellektuellen Fähigkeiten", sagte ihr Verteidiger: "Für sie war es schwierig zu erkennen, was richtig und was falsch ist." Die Mutter habe Kaffee und Zigaretten gewollt, das habe sie von der Tochter bekommen. Verwandte schilderten das Leben der 73-Jährigen im Prozess so: Den ganzen Tag verbrachte sie auf der Eckbank am Küchentisch, sie kam kaum raus und war immer in der Wohnung. Abends habe sie mit der Familie immer ferngesehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2377886
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/dpa/ebri
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.