Urteil im Trayvon-Martin-Prozess:Schießen ohne nachzudenken

Trayvon Martin George Zimmerman Urteil

Trayvon Martin wurde erschossen - der Täter jetzt freigesprochen. 

(Foto: Robyn Beck/AFP)

Das "Stand your Ground"-Gesetz erlaubt US-Bürgern im Bundesstaat Florida, straffrei zu töten. Unter besonderen Umständen. George Zimmerman hat sich genau darauf berufen, nachdem er den 17-jährigen Schwarzen Trayvon Martin erschossen hatte - und jetzt als freier Mann das Gericht verließ. Die Geschichte eines gefährlichen und teils absurden Selbstverteidigungsprinzips.

Von Jana Stegemann

1700 Dollar hatte John Donnelly bezahlt, um seinen Freund George Zimmerman während des Prozesses mit Anzügen, Krawatten und Hemden auszustatten. Mit weiteren 3000 Dollar unterstützte er seine Verteidigung. 4700 Dollar - damit kein Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Integrität des Angeklagten bleiben. Er liebe Zimmerman "wie einen eigenen Sohn", hatte der Vietnam-Veteran Donnelly zu Protokoll gegeben. Der 29-Jährige Angeklagte sollte als ehrenhafter Mann in Erinnerung bleiben, der aus Notwehr gehandelt habe, als er den 17-Jährigen Trayvon Martin erschoss.

Doch Zweifel an der Glaubwürdigkeit Zimmermans spalten nun ein ganzes Land - obwohl ein Gericht in Florida ihn nun von dem Mordvorwurf freisprach. Die Frage, ob Zimmerman in Notwehr handelte, als er dem 1,90 Meter großen schwarzen Jugendlichen Trayvon Martin begegnete, wird nie restlos aufgeklärt werden. Der Teenager ist tot. Aus der Tatnacht kann demnach nur noch Zimmerman erzählen, der jetzt freigesprochen wurde. Als der tödliche Schuss gefallen ist, soll Martin auf Zimmerman gesessen haben. Zimmermans Nase war gebrochen, er hatte Wunden am Hinterkopf. Martin hatte neben seiner Schusswunde, Verletzungen an seinen Knöcheln.

Doch für viele Amerikaner steht fest, dass Zimmerman angetrieben von Rassismus handelte. Im Wissen, dass es sich um einen harmlosen Jugendlichen handelte, habe der Mann mit deutschstämmigem Vater und einer Mutter aus Lateinamerika dennoch seine Waffe gezogen und dem unbewaffneten Martin direkt ins Herz geschossen. Jetzt wird der Ruf nach einer Abschaffung des "Stand your Ground"-Gesetzes immer lauter.

My home is my castle

Seit acht Jahren erlaubt dieses Gesetz den Bürgern Floridas, bei einer Bedrohung im Ernstfall auch tödliche Gewalt anzuwenden. Im Sunshine-State Florida reicht die Annahme, an Leib und Leben bedroht zu werden, um einen Menschen straffrei zu töten. Zimmerman hat sich zwar technisch auf Notwehr berufen, allerdings glauben viele Beobachter, dass das von Zimmerman verinnerlichte "Stand your Ground"-Prinzip letztlich zu seinem Entschluss beigetragen hat, den unbewaffneten Martin zu erschießen.

In 21 der 50 Bundesstaaten der USA existiert dieses Prinzip der Selbstverteidigung - in besonders scharfer Form seit 2005 in Florida. Was Privatleute seitdem unter Berufung auf "Stand your Ground" dürfen, ohne straf- oder zivilrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen, geht weit über die allgemein übliche Notwehr bei einer unmittelbaren Bedrohung hinaus. Menschen, die sich angegriffen und bedroht fühlen, müssen nicht einmal klarstellen, ob es sich eventuell auch um eine Missinterpretation ihrerseits handeln könnte.

Nicht zu verwechseln ist das "Stand your Ground"-Prinzip mit dem "Castle Doctrin". Das beinhaltet, dass sich Bürger in ihrem eigenen Haus theoretisch gegen Eindringlinge verteidigen dürfen - sich im Ernstfall jedoch zurückziehen müssen, um den Angreifer nicht zu gefährden.

Den Liebhaber der Frau getötet

Die Tampa Bay Times hat mehr als 200 Fälle analysiert, in denen das "Stand your Ground"-Prinzip zur Anwendung kam. Das Ergebnis: Bei 70 Prozent der Fälle, in denen Täter den tödlichen Gebrauch von Schusswaffen mit dieser Regel begründen, folgten Ermittler oder Gerichte dieser Selbstverteidigunslogik. Außerdem haben Weiße, die sich darauf berufen, bessere Karten freigesprochen zu werden als Schwarze. So gingen in dem untersuchten Zeitraum 73 Prozent aller Weißen, die einen Schwarzen getötet hatten, straffrei aus. Im Gegensatz dazu allerdings nur 59 Prozent Schwarze, die einen Weißen getötet hatten. Sogar Täter, die ihre Opfer in den Rücken schossen oder auf sie feuerten, als diese schon unbewaffnet und verwundet am Boden lagen, wurden freigesprochen.

Bereits ein anderer Fall hatte Ende Juni die Debatte über das Selbstverteidigungsprinzip angeheizt. Der 70-jährige Ex-Army-Colonel Ralph Lewis Wald hatte einen 32-Jährigen beim Sex mit seiner Frau, 41, erwischt und ihn mit gezielten Schüssen in Kopf und Brust getötet. Vor Gericht sagte der Schütze, er dachte, das Opfer vergewaltige seine Frau. Obwohl sich später herausstellte, dass es sich um einen einvernehmlichen Akt gehandelt hatte, wurde der Ehemann vom Mordvorwurf freigesprochen. Er sagte nach der Urteilsverkündung: "Stand your Ground heißt: Verteidige deine Familie, ohne Fragen zu stellen. Hol die Waffe und drück' ab."

Wegen der Auswüchse, denen das Gesetz Vorschub leistet, äußerte auch Richter Alex Ferrer, der für FoxNews den Trayvon-Martin-Prozess kommentierte, Kritik an dem Prinzip. Er sei kein großer Fan von "Stand your Ground", so Ferrer. Es sei zwar prinzipell gut, wenn man gesetztestreuen Bürgern sagen könne, dass sie nicht auf die Polizei warten müssten. Das Problem sei aber, dass sich auch immer mehr Mörder auf dieses Prinzip berufen würden. "Das gilt auch für Gewalt- und Gangkriminalität von Schwarzen gegen Schwarze." Mittlerweile gebe es Fälle, in denen die Polizei in Florida nach Schießereien Täter laufen lasse, weil nur der Überlebende seine Version erzählen könne: "Dieses Gesetz gibt ihnen so viel Munition."

Auch im Falle Zimmermans gehen einige Beobachter davon aus, dass es letzlich die Existenz des "Stand your Ground"-Prinzips war, die zu seinem Entschluss, den Teenager Martin zu erschießen, beitrug. Als Mitglied einer Bürgerwehr in einem Weißen-Viertel Floridas hatte Zimmerman stets eine Schusswaffe getragen. So wie viele andere Männer und Frauen in den USA, die Nacht für Nacht patroullieren und "das Recht in die eigenen Hände" nehmen. Das ist in vielen Fällen hilfreich, deeskalierend und sorgt für Sicherheit, aber leider beobachten Experten schon länger eine Zunahme des Vigilantismus in den USA, was übersetzt wird mit "systemstabilisierender Selbstjustiz". Solche Vigilanten seien zumeist rassistisch motiviert und agieren unter dem populistischen Deckmantel der Verteidigung höherer Werte, sagte zum Beispiel Staatsanwalt John Guy während der Trayvon-Martin-Verhandlung.

George Zimmerman will nun Jura studieren, "um anderen Menschen zu helfen", hieß es in amerikanischen Medien. Besonders denen, die ebenso fälschlicherweise einer Straftat beschuldigt worden seien - wie er selbst.

Linktipps:

Andrew Cohen vom Atlantic hat sich mit der Frage nach Recht und Gerechtigkeit im Falle Trayvon Martin auseinandergesetzt.

Die Prozess-Analysen von Jelani Cobb im Archiv des New Yorker.

SZ-Korrespondent Nicolas Richter hat das Urteil im Trayvon-Martin-Prozess kommentiert.

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