Urteil im Fall Kachelmann:Ein Freispruch - und viele Fragen

Ist Jörg Kachelmann nun endgültig ein freier Mann? Ist sein Freispruch ein "Freispruch zweiter Klasse", wer trägt die Kosten des Verfahrens - und wird seine Exfreundin wegen Falschaussage belangt? Nach dem Urteil in Mannheim beantwortet sueddeutsche.de die wichtigsten Fragen.

Doris Mosandl, Hannah Beitzer und Christina Maria Berr

Ist Kachelmann jetzt endgültig freigesprochen?

Kachelmann-Prozess

Die Archivaufnahme zeigt Jörg Kachelmann beim Verlassen des Gerichtssaals. Nach 44 Verhandlungstagen ging der Prozess gegen den TV-Moderator zu Ende.

(Foto: dpa)

Nein, das Urteil des Mannheimer Landgerichts ist noch nicht rechtskräftig. Der Freispruch muss daher nicht das letzte Wort sein. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Kachelmanns Verteidiger und die Nebenklägerin - Kachelmanns Ex-Geliebte - können gegen das Urteil binnen einer Woche Revision einlegen. Der Fall würde dann vor den Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe gehen.

Anders als bei der Berufung - die hier nicht zulässig ist - kommt es bei der Revision aber nicht zu einer völlig neuen Verhandlung. Der BGH prüfe lediglich, "ob das Landgericht die Rechtsnormen richtig angewendet hat", erklärt der Professor für Straf- und Strafprozessrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Ulrich Schroth, im Gespräch mit sueddeutsche.de. Dabei können auch keine neuen Beweise oder Tatsachen mehr vorgebracht werden.

Nach Angaben von Schroth mischen sich die BGH-Richter auch kaum mehr in die Würdigung der schon bestehenden Beweise ein. Es könne höchstens gerügt werden, dass das Landgericht auf der Hand liegende Beweise außer Acht gelassen hat. Das gilt in diesem Prozess - in dem es immerhin mehr als 30 Zeugen und zig Gutachten gab - aber als sehr unwahrscheinlich.

Die Mannheimer Staatsanwaltschaft kündigte bisher lediglich an, zu prüfen, ob sie Revision einlegt. Ob die Nebenklage über Rechtsmittel nachdenkt, ist nicht bekannt. Kommt es zur Revision und wäre diese erfolgreich, würde der BGH das Urteil aufheben und den Prozess zurück an das Landgericht verweisen.

Dann wäre es rein theoretisch möglich, wenn auch eher unwahrscheinlich, dass Kachelmann doch noch zu einer Haftstrafe verurteilt wird.

Ist ein Freispruch aus Mangel an Beweisen ein "Freispruch zweiter Klasse"?

Im Urteil des Landgerichts heißt es, Kachelmanns Freispruch beruhe nicht darauf, dass die Kammer von dessen Unschuld überzeugt sei. Es hätte begründete Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestanden, weshalb er nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" freizusprechen gewesen sei.

Presiding Judge Seidling arrives for the verdict in trial of Swiss meteorologist and TV weather host Kachelmann at country court in Mannheim

Vorsitzender Richter Michael Seidling: Kachelmann sei nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" freizusprechen gewesen.

(Foto: REUTERS)

Juristen wehren sich allerdings dagegen, das einen Freispruch "zweiter Klasse" zu nennen. Einen Freispruch zweiter Klasse gebe es schon lange nicht mehr im deutschen Strafprozessrecht. "Freispruch ist Freispruch", sagt Strafrechtsprofessor Ulrich Schroth von der LMU München. "Wenn das Gericht nicht vollständig von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist, muss es eben freisprechen." Der Grundsatz "in dubio pro reo" - im Zweifel für den Angeklagten - ist schließlich einer der fundamentalsten Grundsätze der deutschen Strafprozessordnung.

"Einen Freispruch zweiter Klasse gibt es nicht. Entweder ist jemand feigesprochen oder eben nicht", sagt auch der Rechtsanwalt und Schatzmeister des Vereins Deutscher Strafverteidiger, Eckhard Küter, im Gespräch mit sueddeutsche.de. Er stört sich vor allem aber an der Formulierung des Gerichts in der Urteilsbegründung. "Das klingt so, als hätten sie ihn lieber verurteilt", sagt der Jurist, der seit mehr als 40 Jahren als Strafverteidiger tätig ist. Dass das Gericht "derart nachtrete" sei schlicht "empörend".

Küter teilt damit die Einschätzung von Kachelmanns Verteidiger, Johann Schwenn. Der hatte direkt nach dem Urteil angeprangert, die Kammer hätte den Angeklagten "zu gerne verurteilt" und in ihrer Urteilsbegründung "richtig nachgetreten", um "den Angeklagten maximal zu beschädigen". Schwenn sprach außerdem von einem "befangenen Gericht" und einer "Erbärmlichkeit im Gerichtssaal".

Wer muss die Kosten des Prozesses tragen?

Eine Riege an exzellenten Strafverteidigern, hinzu kommt Medienanwalt Ralf Höcker, der während des Prozesses die Presse in Schach halten sollte: Allein Kachelmanns Verteidigung hat vermutlich Unsummen verschlungen. Hinzu kommen die Kosten für diverse Gutachter, die von Kachelmanns Anwälten beauftragt und damit erst einmal auch von dem Wettermoderator bezahlt werden mussten. Schon drei Monate nach Prozessbeginn, im Dezember vergangenen Jahres, hatte Kachelmann seine 80-Quadratmeter-Wohnung auf der Ostseeinsel Hiddensee für 395.000 Euro zum Kauf angeboten - auch, um die juristische Auseinandersetzung zu finanzieren, hieß es damals.

Kachelmann Trial Proclamation Of Sentence

Jörg Kachelmann (Mi.) mit seinen Verteidigern Johann Schwenn (li.) und Andrea Combé.

(Foto: Getty Images)

Wie tief Kachelmann für den Prozess in die Tasche greifen musste, darüber kann nur spekuliert werden: Manch einer schätzt die gesamten Kosten des Prozesses - die Kosten für das Gericht und Zeugen eingerechntet - sogar auf bis zu eine Million Euro.

Kachelmann jedenfalls könnte auf einem nicht unerheblichen Teil seiner Kosten sitzenbleiben. Zwar trägt die Staatskasse bei Freispruch die Kosten des Gerichts einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten. Allerdings ist fraglich, inwiefern die Staatskasse für Kachelmanns Star-Anwälte aufkommen wird. Denn nach Angaben von Strafrechtsprofessor Ulrich Schroth wird nur nach der gesetzlichen Gebührenordnung für Anwälte gezahlt. Es ist aber davon auszugehen, dass das Honorar, das Kachelmann mit seinen Verteidigern vereinbart hat, weit über diesem Betrag liegen wird.

Fraglich ist auch, ob alle von Kachelmann beauftragten Gutachten tatsächlich auch notwendig für das Urteil waren. Nur dann nämlich würden die Kosten übernommen.

Doch Kachelmann steht auch eine Entschädigung zu - für seine Zeit in Untersuchungshaft. Nach dem "Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen" gibt es pro Tag in U-Haft 25 Euro, bei 132 Tagen macht das 3300 Euro. Hinzu kommt noch ein Teil seines Verdienstausfalls.

Kommt auf Kachelmanns Exfreundin nun eine Anzeige zu?

Da Kachelmann nun freigesprochen worden ist, könnte zumindest der Verdacht bestehen, dass ihn seine frühere Geliebte, die den Prozess mit ihrer Anzeige ins Rollen gebracht hatte, absichtlich falsch beschuldigt haben könnte.

Kachelmann-Prozess

Die Frau, die mit ihrer Anzeige den Prozess ins Rollen gebracht hat, trat als Nebenklägerin auf.

(Foto: dpa)

Strafbar wäre das in mehrfacher Hinsicht: Weil Kachelmann wegen ihrer Aussagen in Haft saß, wäre der Tatbestand der Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft erfüllt. Hinzu kämen falsche uneidliche Aussage und falsche Verdächtigung. Im Fall einer Verurteilung müsste die 38-Jährige selbst mit einer "nicht unerheblichen" Freiheitsstrafe rechnen, wie Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge bereits vor dem Urteil gesagt hatte.

Dass die Staatsanwaltschaft von sich aus Ermittlungen aufnimmt, gilt aber als eher unwahrscheinlich. Allerdings könnte Kachelman selbst Anzeige erstatten, dieser müsste die Behörde dann nachgehen. Der Rechtsanwalt und Schatzmeister des Vereins Deutscher Strafverteidiger, Eckhard Küter, hält es durchaus für möglich, dass sich die Exfreundin vor Gericht verantworten muss. Wäre er Kachelmanns Anwalt, würde er eine Anzeige der Frau "auf jeden Fall in aller Ruhe prüfen", sagte er.

Wie geht es beruflich mit Kachelmann weiter?

Schon seit Anfang des Jahres moderiert Jörg Kachelmann wieder bei einem Schweizer und einem deutschen Radiosender. Die Firma Meteomedia, bei der Kachelmann auch während des Prozesses Verwaltungsratspräsident blieb, schließt weitere öffentliche Auftritte in Zukunft nicht aus. Der Wettermoderator werde wieder voll einsteigen, teilte das Unternehmen in der Schweiz mit. Das Unternehmen freue sich "über den längst überfälligen Freispruch ihres Firmengründers", hieß es in einer Stellungnahme.

Meteomedia: Kachelmann steigt wieder voll ein

Die Archivaufnahme zeigt den Wettermoderator am Strand des Seebades Ahlbeck.

(Foto: dpa)

Ob Kachelmann wieder das Wetter in der ARD moderieren wird, ist noch unklar. Dort will man abwarten, bis das Urteil rechtskräftig ist, bevor man eine Entscheidung fällt, hieß es am Dienstag auf Anfrage.

Wer sind die Gewinner und wer die Verlierer des Prozesses?

Ob es in dieser juristischen Schlammschlacht tatsächlich Gewinner gibt, erscheint höchst fraglich. Kachelmann ist zwar freigesprochen, doch wirklich gewonnen hat er den Prozess nicht. Was bei vielen Beobachtern bleibt, ist ein fader Nachgeschmack. Das befürchtet offenbar auch das Mannheimer Landgericht. Der Vorsitzende Richter Michael Seidling mahnte bei der Urteilsverkündung: "Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht - ihn als potentiellen Vergewaltiger, sie als potentielle, rachsüchtige Lügnerin."

Kachelmann-Prozess - Urteil

Das Gerichte mahnte in seinem Urteil auch die Medien zu mehr Zurückhaltung bei der Berichterstattung. 

(Foto: dpa)

Mit Blick auf die Medienvertreter fügte der Vorsitzende Richter hinzu: "Bedenken Sie, dass Herr Kachelmann die Tat möglicherweise nicht begangen hat, aber bedenken Sie auch, dass die Nebenklägerin möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war."

Ganz klar zählt auch Kachelmanns Exfreundin zu den Verlierern des Prozesses. Für sie ist das Urteil in mehrfacher Hinsicht bitter: Nicht nur, dass der Mann, den sie wegen Vergewaltigung angezeigt hatte, letztendlich nicht verurteilt worden ist. Auch an ihrer Glaubwürdigkeit war während des Prozesses immer wieder gezweifelt worden.

Ein möglicher Gewinner in der ganzen Sache hätte wohl Verteidiger Johann Schwenn gewesen sein können - hätte. Der Jurist galt schon vor dem Prozess als exzellenter Strafverteidiger und "harter Hund". Mit Kachelmanns Freispruch hat er sein juristisches Können bestätigt und ist spätestens jetzt bundesweit bekannt. Allerdings gab es an diesem Dienstag auch scharfe Kritik an Schwenn - und zwar vom Gericht. Der Anwalt habe mehrfach in seinem Verhalten vor der Strafkammer Anstand und Respekt vermissen lassen, monierte der Vorsitzende Richter. Ein wirklicher Gewinner ist also auch er nicht. Doch stören wird ihn das wohl nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: