Urteil gegen Geisterfahrer:Zwölf Jahre Haft wegen Mordes

Wie besessen rast ein Mann die Schnellstraße entlang, in die falsche Richtung. Als es zum Unfall kommt, stirbt ein Familienvater. Der Falschfahrer aber überlebt. Das Landgericht Tübingen hat ihn nun wegen Mordes verurteilt. Er wird wahrscheinlich nie wieder auf freien Fuß kommen.

Ein Mann rast wie besessen die Schnellstraße entlang, entgegen der Fahrtrichtung. Vermutlich will er sich das Leben nehmen, doch als es zum Unfall kommt, stirbt nicht er, sondern ein Familienvater. Vor dem Landgericht Tübingen wurde der 35-jährige Geisterfahrer jetzt wegen Mordes verurteilt. Wahrscheinlich kommt er nie wieder auf freien Fuß.

Die Tübinger Richter verurteilten den Mann zu zwölf Jahren Haft und ordneten anschließende Sicherungsverwahrung an. Er war im vergangenen Frühling in falscher Richtung über die Schnellstraße von Reutlingen nach Stuttgart gerast. Ein 43-jähriger Mann hatte sich an diesem Tag gleich am Morgen mit seiner Frau und seiner elfjährigen Tochter auf den Weg zu einem Sonntagsbesuch in Tübingen gemacht. Doch bei Pliezhausen im Kreis Reutlingen kam der Familie in einer leichten Rechtskurve plötzlich mit 150 Kilometern pro Stunde der Geisterfahrer entgegen und prallte ungebremst in ihr Auto.

Der Familienvater starb, der Täter aber überlebte schwer verletzt. Gutachter sind skeptisch, ob der psychisch kranke Mann jemals wieder in Freiheit leben könnte, ohne eine Gefahr für die Allgemeinheit darzustellen.

Die Tat selbst war für die Richter vergleichsweise leicht zu rekonstruieren. Viele Zeugen hatten den Geisterfahrer gesehen und einen riesigen Schreck bekommen. Doch die Frage, weshalb der 35-Jährige als Geisterfahrer über die vierspurige Bundesstraße raste, beschäftigte die Schwurgerichtskammer viele Wochen ang. Der Angeklagte selbst hatte immer bestritten, wissentlich oder gar in Suizid-Absicht zum Falschfahrer geworden zu sein. Ein psychiatrischer Gutachter versuchte deshalb herauszufinden, was damals im Kopf des Mannes vorgegangen war.

"Er wollte so nicht mehr weiterleben"

Der 35-Jährige behauptete vor Gericht, er habe sich an jenem Tag verfahren und völlig die Orientierung verloren. Dann fühlte er sich von der Rockergruppe Hells Angels verfolgt. Und auf einmal habe er dann gemerkt, "dass etwas nicht stimmt" - dass er in falscher Richtung auf der vierspurig ausgebauten Bundesstraße unterwegs war.

Doch der Gutachter hielt das nicht für glaubwürdig, und die Richter schlossen sich dieser Einschätzung an. Im Leben des 35-Jährigen hätten sich immer mehr Probleme angehäuft, schließlich fürchtete er, von seiner Freundin verlassen zu werden. "Er wollte so nicht mehr weiterleben", sagte der Vorsitzende Richter. Also habe er sich zu der Geisterfahrt entschlossen. Dass er dabei auch andere Menschen in Lebensgefahr brachte, habe er einfach in Kauf genommen.

Nachdem der 35-Jährige schon mehrmals wegen schwerer Straftaten verurteilt worden war und viele Jahre in einer geschlossenen Psychiatrie verbracht hat, haben Psychiater kaum noch Hoffnung für seine Zukunft. Den Mann so weit zu therapieren, dass er keine Gefahr mehr für andere Menschen sei, schien dem psychiatrischen Gutachter fast ausgeschlossen. An der Sicherungsverwahrung habe deshalb kein Weg vorbeigeführt, sagte der Vorsitzende Richter. Der Angeklagte verfolgte die Urteilsverkündung wie schon den gesamten Prozess völlig teilnahmslos. "Das ist aus Ihrer Sicht sicherlich ein hartes Urteil", sagte der Vorsitzende Richter zum Schluss. "Sie haben schwere Schuld auf sich geladen."

Die Ehefrau und die Tochter des Opfers leiden bis heute an den Verletzungen, die sie bei dem Unfall damals erlitten haben. Noch größer aber sei das seelische Leid der Hinterbliebenen, betonte der Richter an die Adresse des 35-Jährigen. "Ihre Familie ist zerstört worden."

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