Urteil gegen Frühchen-Spezialkliniken:1250 Gramm Leben

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Jahrelang schwelte unter Medizinern der Streit, wer zu früh geborene Säuglinge behandeln dürfen soll: nur Spezialkliniken oder auch andere Krankenhäuser? Ein Gericht hat den Disput nun beendet - und eine Grenze bei 1250 Gramm Körpergewicht gezogen.

Charlotte Frank

Welches Krankenhaus darf wie viel Gramm Mensch behandeln? Bei wem sind Frühgeborene in den besten Händen? Und wie verfrüht muss ein Frühchen sein, um in ein großes Zentrum mit erfahrenen Spezialisten verlegt zu werden? Seit Monaten wird in Deutschland über diese Fragen gerungen, am Mittwoch hat nun ein Gericht den Streit entschied: Frühchen mit einem Gewicht von weniger als 1250 Gramm dürfen künftig auch in Kliniken mit wenig Erfahrung behandelt werden, entschieden die Richter am Landessozialgericht in Potsdam am Mittwochabend.

Schätzungen zufolge werden in Deutschland jedes Jahr 60.000 Kinder zu früh geboren. Viele von ihnen sollen auch künftig in regulären Krankenhäusern versorgt werden. (Foto: dpa)

Damit gaben sie den Klägern recht, mehr als 40 Kliniken aus ganz Deutschland, die gemeinsam gegen einen Entschluss des sogenannten Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vorgegangen waren. Dieses Gremium aus Ärzten, Kliniken und Krankenkassen wollte durchsetzen, dass Frühchen nur noch in Spezialkliniken behandelt werden, die mindestens 30 solcher Fälle pro Jahr nachweisen können. "Es geht um Lebensschutz", hatte der GBA-Vorsitzende Rainer Hess vor Gericht erklärt.

Studien belegten immer wieder, dass die Überlebenschancen der Kinder mit der Erfahrung der Kliniken wachsen. "Natürlich ist groß nicht immer gleich gut", sagte dazu Egbert Herting, der Präsident der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin, am Mittwoch. Doch hätten große Kliniken schon alleine dadurch einen Vorteil, dass den für Frühchen zuständigen Neonatologen versierte Kollegen aus der Kinderchirurgie, der Geburtshilfe und der Kinderherzchirurgie zur Seite stünden. "Eine gute Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen ist essenziell, um die Überlebenschancen zu steigern", sagt Herting.

Auch deshalb setzt sich die Fachgesellschaft seit Jahren für eine ähnliche Regelung ein wie sie nach dem Willen des GBA eigentlich schon zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft treten sollte. Schon damals aber klagten mehrere Kliniken gegen die Mindestmenge von 30 Fällen pro Jahr - und bekamen in einem Eilverfahren recht. Seitdem gilt die alte Regel, wonach ein Krankenhaus nur 14 Fälle pro Jahr nachweisen muss. Am Mittwoch mussten die Richter im Hauptsacheverfahren prüfen, ob es dabei bleibt. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ist bundesweit für Streitfälle dieser Art zuständig.

Für die klagenden Krankenhäuser geht es in dem Streit auch um ein einträgliches Geschäft: Nur wenige Behandlungen werden ihnen noch so hoch vergütet wie die von Frühgeborenen - je jünger und leichter diese sind, desto mehr Geld bringen sie: Bis zu 130.000 Euro kann ein Krankenhaus für die Versorgung extrem früh geborener Kinder abrechnen. Die Kläger betonten am Mittwoch aber lieber: "Größe ist keine Garantie für medizinische Qualität" und warnten vor zu langen Anfahrtswegen für die betroffene Familien. Nach Schätzungen der Deutschen Kinderhilfe werden bundesweit jährlich ungefähr 60.000 Kinder zu früh geboren.

© SZ vom 22.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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