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Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte:Schweiz soll Gesetze zur Sterbehilfe überprüfen

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Aktive Sterbehilfe ist in den meisten europäischen Ländern verboten - auch in der Schweiz. Doch Organisationen dürfen dort unheilbar Kranken tödliche Medikamente anbieten, die diese selbst einnehmen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Regelung nun als unzureichend verurteilt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Schweiz zur Klärung ihrer Rechtsbestimmungen über die Sterbehilfe aufgefordert. Das Schweizer Recht, das den Erwerb eines tödlichen Medikaments auf Rezept grundsätzlich gestattet, enthalte keine ausreichend klaren Kriterien, wann der Erwerb rechtmäßig sei, heißt es in dem Urteil des EGMR in Straßburg.

Geklagt hatte eine 82-jährige Frau aus dem Kanton Zürich, die wegen ihrer schwindenden körperlichen und geistigen Kräfte schon seit einigen Jahren keinen Sinn mehr in ihrem Leben sah. Da die Frau aber nicht todkrank war, hatten ihr die Behörden nicht erlaubt, sich ein tödliches Medikament zu beschaffen. 2005 unternahm sie einen Selbstmordversuch.

Ob die Weigerung der Behörden rechtens war, haben die Richter in ihrem Urteil nicht geprüft. Doch die unklaren Bestimmungen der Gesetzestexte reichen laut EGMR, um gegen die Achtung des Privatlebens der Frau zu verstoßen. Diese Ungewissheit habe ihr "vermutlich beträchtliche seelische Not verursacht", heißt es in dem Urteil.

Nur eine knappe Mehrheit

Auch die Ärzte werden nach Ansicht des EGMR durch die undeutlichen Regelungen in ihrem Handeln beeinträchtigt: "Unklare rechtliche Bestimmungen haben vermutlich eine abschreckende Wirkung auf Mediziner, die in einem solchen Fall ein entsprechendes Rezept ausstellen würden", heißt es in dem Text. Der EGMR entschied nur mit einer knappen Mehrheit von vier Stimmen. Drei Richter fanden, dass das Privatleben der 82-jährigen Frau nicht verletzt worden sei.

Aktive Sterbehilfe ist in der Schweiz - wie in Deutschland und den meisten europäischen Ländern - verboten. Allerdings dürfen Organisationen unheilbar Kranken tödliche Medikamente anbieten, die diese dann selbst einnehmen. Nach Einschätzung des EGMR garantiert die Europäische Menschenrechtskonvention kein Recht auf aktive Sterbehilfe.

Im vergangenen Jahr wies der Gerichtshof die Klage eines Witwers aus Braunschweig ab. Die deutschen Behörden hatten seiner unheilbar kranken Frau kein Medikament genehmigt, um sich selbst zu töten. Sie hatte sich schließlich in der Schweiz das Leben genommen.

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