Urteil:Der Stellvertreter

Die Kanzler-Ohrfeige bringt Jens Ammoser vier Monate auf Bewährung, reuig ist er nicht, er habe es für Millionen Deutsche getan.

Von Bernd Dörries

Mannheim - Als der Richter den Angeklagten fragt, ob er sich zur Tat äußern möchte, steht Jens Ammoser, 52, auf, wendet sich zum Publikum und sagt, es habe alles mit seiner Geburt begonnen. Anders könne man das alles hier nicht verstehen.

Urteil: Jens Ammoser nach der Gerichtsverhandlung: Auf der Vorderseite seines T-Shirts sieht man ein Bild von Willy Brandt und auf der Rückseite des T-Shirts kann man Ammosers Kontonummer lesen.

Jens Ammoser nach der Gerichtsverhandlung: Auf der Vorderseite seines T-Shirts sieht man ein Bild von Willy Brandt und auf der Rückseite des T-Shirts kann man Ammosers Kontonummer lesen.

(Foto: Fotos: dpa)

Er trägt ein weißes T-Shirt, auf dem vorne das Gesicht von Willy Brandt aufgedruckt ist und hinten die Kontonummer von Jens Ammoser. An Presse und Publikum verteilt er Kanzlerwitze, eine Broschüre über den Schwarzwald und seinen Lebenslauf. Letzterem kann man entnehmen, dass ihn das Leben von Berlin in ein Dorf im Schwarzwald geführt hat.

Dort hatte er einen Plan, und es gab keinen, der ihm widersprach. Er war allein. Das war sein Problem; das hat ihn vor Gericht gebracht. Am Freitag verhandelte das Amtsgericht in Mannheim gegen Jens Ammoser, der dadurch bekannt wurde, dass er Bundeskanzler Gerhard Schröder bei einer SPD-Veranstaltung am 18. Mai in Mannheim eine Ohrfeige verpasste.

Der Stellvertreter

Ammoser bekam dafür die Quittung: vier Monate auf Bewährung. Schon Ende Mai hatte die Kammer versucht, gegen ihn ein Urteil zu sprechen. Damals wurde der Prozess vertagt, weil sich Ammoser kurz vor der Verhandlung doch einen Anwalt genommen hatte. Diesmal hatte er sich wenige Tage zuvor von seinem Anwalt getrennt. Er verteidigte sich also selbst.

Mannheim, das Amtsgericht: Ammoser hat einen großen Reisekoffer dabei, darin sind eine Regenjacke, das Grundgesetz in zweifacher Ausführung, eine Broschüre des Bundesverfassungsgerichts und ein roter Teufel, den er vorn auf sein Pult stellt. Das Publikum lacht.

Jens Ammoser erzählt nun aus seinem Leben und wie es vor dem Fernseher endete. In Berlin auf Lehramt studiert, Referendariat gemacht und dann darauf gewartet, dass es endlich losgeht, die Arbeit, das Leben. Doch es kam nichts. Seit 1995 ist Ammoser arbeitslos und "ohne Lebensinhalt". Er zog in den Schwarzwald, saß da oben auf dem Berg und versuchte, einen Sinn zu finden. Vielleicht saß er dabei zu lange vor dem Fernseher.

Er hörte Politiker sagen, dass alles besser werde, bei ihm änderte sich nichts. Auf Wanderungen begann er sich Gedanken zu machen und kam auf einen Plan, wie er alles ändern könnte. Er trat in die SPD ein, kandidierte für den Kreistag und schrieb nach Berlin, er wäre der bessere Bundeskanzler. Man brauche ihn.

Niemand widersprach, weil ja sonst niemand da war. Er hat wohl den Kontakt zur Realität verloren. Ammoser sagt, es habe bei ihm vor dem Fernseher eine gewisse "Politisierung" eingesetzt. Nicht er habe den Kanzler geschlagen, es seien Millionen Arbeitslose gewesen, die "zurückgeohrfeigt" hätten.

Die Gerichtsdiener müssen ihn immer wieder darauf hinweisen, während seiner Rede nicht im Saal herumzurennen: Hartz, Arbeitslosigkeit, Recht auf Widerstand. "Der Kanzler hat die Nase in mein Bett gesteckt." Die Leute lachen. Der Richter sagt, es reiche nun. Der Staatsanwalt fordert sechs Monate Haft auf Bewährung und 150 Arbeitsstunden. Das Urteil müsse vor allem dazu dienen, Nachahmungstäter abzuschrecken. Es seien ja schon wieder Eier auf den Kanzler geflogen, sagt Staatsanwalt Hans-Heiko Klein. Die Vita des Angeklagten sei tragisch, andere hätten ihr Leben aber auch in den Griff gekriegt. Die Tat sei feige und berechnend. Der Täter selbstgerecht, überheblich und arrogant.

Das Gericht verurteilt Ammoser zu vier Monaten Haft auf Bewährung und 100 Arbeitsstunden. Er sei unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft geblieben, so Richter Wolfgang Winkler, da, bei "aller Intelligenz", die Lebensumstände ihn zu einem "Wirrkopf" gemacht hätten.

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