Ursachen von Amokläufen:Machen Killerspiele Killer?

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Erfurt, Emsdetten, Winnenden: Bei Amokläufen wird reflexhaft nach einer Ursache gesucht - bevorzugt in gewaltverherrlichenden Computerspielen. Aber das ist zu kurz gedacht. In der Computerspiel-Debatte wiederholen sich alte Ängste, die es schon beim Aufkommen von Kino und Fernsehen gab.

Bernd Graff

Es gibt den "Bericht der Gutenberg-Kommission zu den Vorgängen am Erfurter Gutenberg-Gymnasium am 26. April 2002". Es ist jenes Dokument, mit dem das thüringische Justizministerium nach Abschluss der zweieinhalbmonatigen Untersuchungen zum Amoklauf von Erfurt vor die Öffentlichkeit trat. Begangen wurde die Tat von dem der Schule verwiesenen 19-jährigen Robert Steinhäuser. Er hatte an diesem Vormittag im April 2002 17 Menschen das Leben genommen, auch sich selbst.

Mit dem Messer durch die virtuelle Welt: Computerspielen wird allzu rasch die Schuld an Gewalttaten Jugendlicher gegeben. (Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

In dem Bericht werden Angaben zur Persönlichkeitsstruktur des Täters gemacht: "Seit seinem 14. Lebensjahr konsumierte er in überdurchschnittlichem Ausmaß Computerspiele und Videofilme mit zum Teil gewaltverherrlichenden Inhalten: Aus dieser virtuellen Welt holte er sich seine Bestätigungen und vermittelte sich so Machtgefühle. Schon im Zuge der Fernsehberichterstattung über das 'Littleton-Massaker' lagen bei Robert Steinhäuser Anzeichen vor, dass er in seinem Werte-Koordinatensystem Schwierigkeiten hatte, zwischen dem Konsum virtueller Gewaltausübung in Computerspielen und dem Konsum realer, unter Schusswaffengebrauch realisierter, blutrünstiger Gewaltexzesse eine eindeutige Trennlinie der Begeisterung zu ziehen."

Mit dem Littleton-Massaker ist der Amoklauf an der amerikanischen Columbine High School in Colorado im April 1999 gemeint, der von unter 20-jährigen Tätern begangen wurde. Auch hier kamen die Behörden in ihrem Abschlussbericht nicht umhin, den Medienkonsum der Täter zu thematisieren. Genannt wurden neben verderblicher Rockmusik auch Computerspiele, sogenannte First-Person-Shooter. Die Reaktion von Medienkritikern auf diese Befunde ist stets ähnlich. Ihrer Meinung nach setzen Computerspiele bei Jugendlichen die Hemmschwelle zu realer Gewalt deutlich herunter.

Das ist zu kurz gedacht. So sind die zitierten Passagen aus dem thüringischen Bericht auch nicht zu verstehen. Es gilt dagegen, sehr genau darauf zu achten, was in diesem Kontext für Ursache und was für Wirkung erklärt wird. Für die resolute Medienkritik ist das Konsumieren von blutsatten und unerträglichen, unästhetischen Spielen ursächlich für die realen Morde der Amokläufe. Weil, so das Argument, Ballereien im virtuellen Raum eine Gewöhnung an Gewalt als einzige Form der Auseinandersetzung bewirkten.

Computerspiele sind ein Symptom, nicht die Ursache

Tatsächlich wird man aber, das will der Steinhäuser-Bericht ausdrücken, die Wirkungszusammenhänge umdrehen müssen. Die Bilanz aus Thüringen sagt nämlich: "Die Kommission ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Robert Steinhäuser 16 Menschen und anschließend sich selbst tötete, nicht mit einer monokausalen Erklärung zu beantworten ist. Eine Antwort setzt sich vielmehr aus einer Bündelung von Faktoren zusammen."

Diese Faktoren findet man in der Persönlichkeitsstruktur des Täters und in seinen persönlichen Erfahrungen - im realen Leben. Genannt werden hier die Überforderung in der Schule, ein nichtadäquates Problemlösungsverhalten im familiären Umfeld, die Unfähigkeit des Schülers, eigene Probleme anzusprechen und um Unterstützung zu bitten, seine Unfähigkeit, mit Kritik umzugehen. Aus all dem resultierte seine Unfähigkeit, Verantwortung für sich selber zu übernehmen und sich selber realistisch einzuschätzen. Das aber heißt: Die Deformationen, die Steinhäuser im wahren Leben erfahren hat, sind ursächlich. Das Spielen von Computerspielen ist dafür symptomatisch. Und eben nicht umgekehrt.

Dennoch gibt es seit diesem Amoklauf keine solche Tötungstat mehr, in deren Untersuchung nicht auf das Spielen von Computerspielen durch den Täter hingewiesen wird. Und sei es, dass er eben nicht spielte:

Amoklauf von Eching und Freising, 19. Februar 2002, Bayern: Erwähnung, dass keine Computerspiele gefunden wurden.

Amoklauf von Emsdetten, 20. November 2006 in der Geschwister-Scholl-Real-schule, Emsdetten (NRW). Der Täter galt als Fan von sogenannten Killerspielen.

Amoklauf von Winnenden, 11. März 2009 in der Albertville-Realschule, Winnenden, nahe Stuttgart. Auch hier wurden Killerspiele gefunden.

Amoklauf von Ansbach, 17. September 2009 am Gymnasium Carolinum in Ansbach, Mittelfranken. Es wurden keine gewalthaltigen Computerspiele gefunden.

Es ist wissenschaftlich nicht erwiesen, dass Computerspiele einen eindeutig negativen Einfluss auf die Spieler ausüben. Sie können wirken, ja, aber man wird viel komplexer denken müssen. Monokausale Erklärungen verbieten sich. Doch das galt immer schon, wenn über die angeblich verrohende Wirkung neuer Medien spekuliert wurde. Denn die Computerspiel-Debatte wiederholt die Argumente, die bereits beim Aufkommen von Comics, Kinofilmen und Fernsehen vorgebracht wurden.

© SZ vom 11.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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