Rich Horner hatte genau den richtigen Platz gefunden, als er beim Tauchgang seine Kamera einschaltete, um die Unterwasserwelt rund um die Insel Bali einzufangen: Leuchtendes Gelb, Rot und Orange, plötzlich schwamm er mitten drin in diesem riesigen bunten Schwarm. Nur dass es keine Korallenfische waren, die links und rechts, über und unter ihm durchs Wasser tanzten. Es waren bunte Fetzen Plastik.
Videos wie das von Rich Horner erregen regelmäßig große Aufmerksamkeit im Netz. Schockierende Bilder, von denen sich jeder selbst überzeugen kann, wenn er mal nach Bali reist und abtaucht in den Ozean. Selbst im Schutzgebiet rund um Menjangan Island, wo die Urlauber mit ihren Geräten an einer langen Korallenwand entlang tauchen, ist die Welt längst nicht mehr so, wie es sich alle wünschen. Zwar ist es noch immer ein fantastisches Erlebnis, in der starken Strömung zu treiben, vorbei an leuchtenden Korallen, Schildkröten, Muränen, Drückern und Rotfeuerfischen. Doch bleibt man auch dort von den Relikten der Wegwerfgesellschaft nicht verschont. Wer auftaucht aus dem Zauber des Riffs, dümpelt schon mal mitten in einem Teppich aus Plastikflaschen, Schachteln, Tüten und fühlt sich dann recht mies.
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Wie verheerend sich die Plastiktüten im Ozean auswirken, zeigte erst vor wenigen Tagen wieder das Schicksal eines Wals, der an Thailands Küste verendet war. Er hatte 80 Tüten geschluckt und konnte nicht mehr fressen. Eigentlich muss sich niemand darüber wundern, denn die fünf größten Plastikverschmutzer der Welt liegen in Asien. 60 Prozent des Mülls, der in den Ozeanen landet, kommt aus den Staaten China, Indonesien, Thailand, Vietnam und den Philippinen. Jährlich gelangen fast 13 Millionen Tonnen Kunststoff ins Meer. Wer sich aus Europa als Urlauber nach Südostasien aufmacht, kann das vielerorts hautnah erleben. Er wird zum Opfer, weil der Dreck die Urlaubsfreude trübt. Er ist aber auch Mittäter, weil die Masse der Touristen den Konsum vielerorts erst noch anheizt.
Auf Bali kippte man den Abfall halt irgendwo über die Böschung ins Dickicht
Nun ist all das nicht immer und überall zu sehen auf Bali, sonst wäre die Insel vermutlich längst von der Liste der Traumziele verschwunden. Dass die gebirgige Vulkanlandschaft von tiefen Schluchten durchzogen ist, machte es vielen Gemeinden dort Jahrzehnte lang recht einfach, sich der Müllberge zu entledigen, die mit wachsendem Wohlstand und durch den Touristenboom größer und größer und größer wurden. Man kippte sie halt irgendwo über die Böschung ins Dickicht. Und weg waren sie. "Als wir das erste Mal auf Bali waren, ha-ben wir davon nicht viel bemerkt", sagt Laura Isaac, eine 32-jährige Engländerin, die mit ihrem Mann Liam in Singapur lebt. 2015 waren sie begeistert von der Insel. "Es war ein Traum, so sah es für uns aus." Sie mussten dann auch nicht lange überlegen, als sie ihren nächsten Urlaub planten. Weihnachten auf Bali. Dieses Mal luden sie die Schwiegereltern aus Großbritannien ein, alle sind Surfer und sie schienen das perfekte Ziel anzusteuern für einen entspannten Familienurlaub in den Wellen.
Doch kaum waren sie gelandet, hatten ihr Hotel in Seminyak bezogen und waren zum Strand geeilt, rieben sie sich ungläubig die Augen: Konnte das wahr sein? "Der ganze Strand war völlig vermüllt", erinnert sich Liam Isaac. Und mit jeder Welle schwappte eine neue Ladung Plastik an Land. Überall wuselten die Müllmannschaften, um den Dreck möglichst rasch einzusammeln. "Es war entsetzlich." Aber nun war die Familie ja schon mal da und der Vater wollte die Welle zumindest ausprobieren. Liam Isaac hat das Bild noch vor Augen, als sein Vater wieder aus dem Wasser stieg: "An der Schulter klebte ihm eine Fast-Food-Schachtel, um sein Bein hatte sich ein großes Stück Plastik geschlungen, es war, als drehten wir für eine Comedy Show." Nur dass ihnen das Lachen längst vergangen war.
Nicht nur Bali kämpft mit der Plastikflut. Blick in einen mit Müll bedeckten Wasserlauf in Manila, der Hauptstadt der Philippinen.
Etwa acht Millionen Tonnen Plastikmüll landen jedes Jahr in den Ozeanen, "Elmo", die Figur aus der Sesamstraße, scheint darin zu etrinken.
Das Wasser geht nach einer Überschwemmung an der Küste südlich von Hanoi in Thailand zwar zurück - in den Sträuchern bleiben die Plastikreste aber hängen wie in Fischernetzen.
Treibgut: An der Küste von Dakar, der Hauptstadt des Senegal, schwemmt es Plastik und die Kadaver toter Tiere an.
Alles im Fluss: Der Niger ist eine Lebensader in Afrika, doch hier bei Bamako in Mali scheint er mehr Müll als Wasser zu führen.
Wo es Müll im Überfluss gibt, wird daraus ein Geschäft: Im Kongo fischen Männer aus dem Fluss Kalamu in Kinshasa wiederverwertbares Material.
Einweg-Welt: An die Küste der indischen Metropole Mumbai spült es Tonnen weggeworfenen Plastiks an.
Das junge Paar schämte sich jetzt auch, dass sie den Eltern vom schönsten Platz auf Erden vorgeschwärmt hatten und dann nur noch einen Müllplatz vorfanden. So kann es einem gehen auf Bali, besonders dann, wenn es zuvor stark geregnet hat und die Sturzbäche alles, was sich in den Schluchten der Insel angesammelt hat, hinaus aufs Meer spülen. Wer die immerzu freundlichen Balinesen darauf anspricht, bekommt meistens eine andere Version zu hören: "Das schwappt alles aus Java zu uns herüber", heißt es dann. Das ist zwar nicht ganz falsch, denn auch dort ergießen die Flüsse ihren Müll ins Meer, der dann durch Strömungen weiter getragen wird. Aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn Bali hat ein wachsendes Müllproblem, das die Einheimischen ihren Gästen gerne verschweigen, solange sie können.
"Stecken wir nicht alle irgendwie mit drin?", fragt ein Urlauber
Natürlich gibt es auch einige Fortschritte, in vielen Dörfern sammeln nun Mülllaster den Dreck ein, was es früher gar nicht gab. Für Plastikflaschen gibt es eine Recyclinganlage in Surabaya auf Java, das ist ein Geschäft. Indonesien verspricht inzwischen, den Plastikabfall in den Ozeanen bis 2025 um 70 Prozent zu reduzieren. Wenn das gelingen soll, muss aber sehr schnell sehr viel geschehen, auch auf Bali. Vor allem die Tüten sammelt niemand, weil es zu wenig einbringt.
Noch bedrohlicher als das, was man herumtreiben sieht, ist wohl das, was sich dem Auge entzieht. Der Ozeanograf I Gede Hendrawan von der Udayana University hat auf Bali beobachtet, wie der Müll vor allem das ästhetische Empfinden der Touristen stört. Doch weitaus schlimmer sind nach seiner Einschätzung die Gefahren des Mikroplastiks, jener kleinsten Teilchen im Meer, die in die Nahrungskette gelangen, über Speisefische beim Menschen landen und Krebs und andere Krankheiten auslösen können. Keiner sieht es und alle werden darunter leiden.
Die Urlauber Laura und Liam Isaac sahen an jenem Weihnachten nur noch einen Ausweg aus dem Müll: Sie fuhren jeden Tag mit dem Taxi auf die andere Inselseite, das dauerte zwar zwei Stunden, doch drüben war wenigstens nichts mehr zu sehen vom Dreck: Sonne, Meer, herrlicher Strand. Bali, ein Traum, solange Regen, Wind und Strömung mitmachen.
Aber natürlich ist Liam Isaac nicht so naiv, als wüsste er nicht um die Täuschung. "Wir müssen uns schon fragen: Stecken wir nicht alle irgendwie mit drin?" Am Arm trägt der Lehrer ein Armband von "4Ocean", einer privaten Organisation, die hilft, die Ozeane zu säubern. Auch auf Bali sammeln diese Aktivisten Müll ein. "Ich finde das eine prima Sache, aber manchmal denke ich auch: Vielleicht beruhigen wir nur unser Gewissen." Denn er weiß: Was immer die Leute in ein paar Tagen wegsammeln vom Strand, hat er im Supermarkt schnell wieder in den Einkaufswagen gepackt.