Sommer 2020:Die Ferne so fern

Freibadsaison 2019 - Trotz Hitzerekorden weniger Besucher

Was passiert, wenn es richtig heiß wird? Ob Freibäder - hier eine Aufnahme aus dem vergangenen Jahr in Hannover - in diesem Jahr überhaupt noch werden öffnen können, ist bisher unklar.

(Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Indien, die Türkei, ja sogar Italien dürften die kommenden Monate als Ziele wohl wegfallen. Aber vielleicht trösten ja Reiseliteraten und Expeditionen in Deutschland.

Von Martin Zips

Ligurien! Es hätte so schön werden können. Bereits im Januar war alles für August geplant. Mittelalterliches Gebäude, oberstes Stockwerk. Fresken an den Wänden, Pool im Garten, Meerblick. Und dann: der Lockdown.

Der erste Schock kam mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Bereits am Ostersonntag riet sie, lieber nichts zu buchen. "Für Juli und August kann derzeit niemand verlässliche Vorgaben machen." Später war da und dort von Tunnels zum Strand die Rede, wo sich dann immerhin mit Maske, Desinfektionsmittel und Gummihandschuhen einzelsonnenbaden ließe. Hoffnung versprühte die Polizei der tschechischen Stadt Lázně Bohdaneč. Nacktbaden am Baggersee in der Kiesgrube, so meinten die Beamten, das gehe auch im Krisenjahr 2020 völlig okay. Die Nackten müssten halt nur Mundschutz tragen.

Aber dann trat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, CSU, auf und erklärte: Urlaub in Italien, Frankreich und Spanien, das werde heuer sicher nichts. Besser in Deutschland bleiben, wo es ebenfalls "wundervolle Ziele" gibt. Das Bud-Spencer-Freibad in Schwäbisch Gmünd zum Beispiel?

Eher nicht, folgte man Karl Lauterbach von der SPD: "Ich persönlich glaube, dass wir Badeseen und Strände in diesem Sommer nicht öffnen können", sagte er laut Bild. Selbst nicht mit Gummihandschuhen und Mundschutz in der FKK-Zone? Zuletzt zerstreute Außenminister Heiko Maas (SPD) jedwede Hoffnung auf Rückholung widerspenstiger Fernurlauber.

Spätestens von da an herrschte, man muss es leider so sagen, ein bisschen Panik im Home-Office.

Dass es neben dem großartigen Brettspiel "Weltreise" auch das sehr langweilige Spiel "Deutschlandreise" gibt, weiß jeder, der Kinder hat. Bei "Weltreise" kann man nach Petropawlowsk-Kamtschatski fahren. Beim anderen nach Düsseldorf. Bei "Weltreise" gibt es Flugkarten. Bei "Deutschlandreise" nicht. Keine Frage, welches Spiel mehr Spaß macht. Hatten es nicht schon Goethe und Humboldt in Deutschland irgendwann nicht mehr ausgehalten?

Natürlich, es gibt den Trick mit der Autosuggestion. Schon der französische Apotheker Émile Coué (1857 - 1926) wusste, wie man noch durch den dämlichsten Kalenderspruch glücklich werden kann, wenn man ihn sich nur immer wieder eisern vorsagt. Die ein oder andere Selbstüberzeugungsformel - und schon läuft es wieder mit dem Wohlbefinden. Oder, wie es der frühe Individualtourist Karl Philipp Moritz ("Reisen eines Deutschen") formulierte: "Von sterblichen Lippen lässt sich kein erhabneres Wort vom Schönen sagen als: es ist!"

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Also gut: Urlaub in Balkonien - das kann wirklich herrlich sein! Hat einem nicht schon Gerhard Polt in "Man spricht deutsh" gezeigt, wie anstrengend jene Länder sind, in die man sogar das eigene Bier und seine Würste importieren muss? Ja, die Fremde mag für ein paar Tage Après-Ski vielleicht ganz in Ordnung gehen, aber sobald man sich dort was einfängt, muss gleich wieder der Anwalt ran. Dann lieber in verkürzten Sommerferien im Garten bleiben.

"Bei Lichte besehen sind Ruhe und Glück überhaupt dasselbe", schreibt der große Wanderer Theodor Fontane. Seit dessen Reiseberichten weiß man: Der Mensch muss nicht unbedingt zu Loch Leven Castle reisen. Auch Schloss Rheinsberg ist wirklich schön. Es wird einem dort schon nicht so gehen wie denjenigen, denen sie in Mecklenburg-Vorpommern wegen ihres Nummernschilds kürzlich die Luft aus den Reifen gelassen haben. Oder dem Berliner Liebespärchen, welches sich mit dem Auto am Strand von Warnemünde festfuhr.

Dass man jahrelang diese literarischen Deutschlandwanderer und Fontane-, Heine- und Montaigne-Imitatoren, Bücherschreiber von A wie Andrack bis U wie Uslar, für schreckliche Spießer hielt - geschenkt. Spätestens in Corona-Zeiten merkt jeder: Deutschland, das ist der "Gipfel der Schönheit" (Mark Twain). Und auch das Land des Schallimmissionsschutzes.

Doch zu viel Ruhe - macht das nicht krank? Nicht, dass der Mensch nicht auch ohne Rock am Ring, Heavy Metal in Wacken und das Jazzfest Wien irgendwie übersommern könnte. Zumindest mit Blick aufs bislang sichere Oktoberfest. Doch richtig, auch das wird es wohl nicht geben. Ebenso wie Hochzeiten sowie die Geburtstagsfeier von Tante Gretel.

Die Frage ist: Ist diese Krise womöglich schon "The Event", von dem die fünf sehr reichen Männer sprachen, die den Technologie-Vordenker Douglas Rushkoff einst zu sich eingeladen hatten? Mit "Event" meinten sie eine nicht näher zu bestimmende Katastrophe, soziale Unruhen zum Beispiel, Kriege, einen nuklearen GAU oder - ja - ein globales Virus, durch welches ihr sehr privilegiertes Leben Schaden nehmen könnte. Die Frage, die sie laut Rushkoff am meisten beschäftigte: "Wie behalte ich nach dem Ereignis die Kontrolle über meine Sicherheitskräfte?"

Doch auch ohne eigene Bunkeranlage gilt: immer schön das stoische Gleichgewicht zwischen Ataraxis und Apatheia bewahren. Cool bleiben. Selbst, wenn manchmal wie in Franz Schuberts Winterreise der Lindenbaum aus der Ferne lockt: "Nun bin ich manche Stunde/Entfernt von jenem Ort,/Und immer hör' ich's rauschen: ,Du fändest Ruhe dort!'"

Heute freilich ist es nicht mehr der Lindenbaum, sondern zum Beispiel die spanische Hippie-Insel La Gomera, die lockt. Obwohl deren deutschsprachiges Zentralorgan Der Valle Bote jüngst völlig zu Recht feststellte: "Es ist schon eine Unverfrorenheit, wie die Touris unsere schöne Insel kaputtmachen." Etwa, weil sie Steine mit Ölfarbe bemalen. "Die kriegt man doch nie mehr ab."

Dann eben zu Hause bleiben. Noch der kleinste Garten kann eine hübsche Insel sein. Kommt immer auf die Einstellung an. Dennoch: Ein bisschen fühlt sich der kurzarbeitende Deutsche dieser Tage vor seinem (natürlich noch nicht abbezahlten) Reihenhaus wie auf einer der Toteninseln des Malers Arnold Böcklin. Der war übrigens derart reiselustig, dass er ein Leben lang davon träumte, selbst in die Lüfte zu steigen. Es gelang ihm nicht. Immerhin lernte Böcklin das wirklich wunderschöne Modell Angela kennen. Auf römischem Boden. Ausgerechnet.

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