„Sondervermögen“, „Technologieoffenheit“, „Menschenmaterial“, „illegale Migration“, „Nutztier“, „kriegstüchtig“ – auch solche Vorschläge waren bei der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ am Institut für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Marburg eingegangen. Ausgewählt wurde schließlich „biodeutsch“, ein Lieblingswort für viele, die versuchen, über Social Media die Gesellschaft auseinanderzutreiben.
Der Ausdruck sei im vergangenen Jahr häufig verwendet worden, „um Menschen vor dem Hintergrund vermeintlich biologischer Abstammungskriterien einzuteilen, zu bewerten und zu diskriminieren“, begründete die Jury ihre Entscheidung. „Die mit dem Gebrauch von ‚biodeutsch‘ einhergehende Unterteilung in angeblich echte Deutsche und in Deutsche zweiter Klasse“ sei eine Form von Alltagsrassismus. Dass ihre Entscheidung allerdings so kurz vor der Bundestagswahl die politische Diskussion wieder etwas sachlicher macht, dürfte ein frommer Wunsch bleiben: Gerade hat die AfD das Zündel-Wort „Remigration“offiziell in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Für 2023 kürten dies die Sprachkritiker bereits zum Unwort des Jahres, als eine klare Anspielung auf die nationalsozialistische „Deportation“ und millionenfachen Mord.
Rechte und konservative Stimmen werfen der Jury immer wieder vor, zu weit links zu stehen
Zudem wurde der Begriff „Heizungsverbot“ von der Marburger Jury gegeißelt, er landete auf Platz zwei. Der für das Gebäudeenergiegesetz verwendete Ausdruck sei irreführend gebraucht worden, um klimaschützende Maßnahmen zu diskreditieren, so die Jury. Die Publizistin und Politologin Saba-Nur Cheema und der Historiker und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, welche diesmal die außerordentlichen Gäste bei der Auswahl waren, erklärten den Begriff „importierter Antisemitismus“ zu ihrem persönlichen Unwort. Der in rechten Kreisen verwendete Ausdruck suggeriere, dass Judenhass vor allem mit dem Zuzug von Migrantinnen und Migranten zu einem Problem geworden sei, sagten sie. Er werde benutzt, um Musliminnen und Muslime sowie Menschen mit Migrationsgeschichte auszugrenzen „und vom eigenen Antisemitismus abzulenken“.
Immer wieder war der fünfköpfigen Jury aus Sprachwissenschaftlern, einer Journalistin und jährlich wechselnden Gastmitgliedern vorgeworfen worden, eine viel zu kleine Gruppe betreibe hier eine Form von „Sprachpolizei“. So wurde etwa vor zwei Jahren in der Neuen Zürcher Zeitung kritisiert, die Unwort-Auswahl sei seit Jahren politisch zu weit links angesiedelt, das hätten Ausdrücke wie „Lügenpresse“, „Gutmensch“ oder „Anti-Abschiebe-Industrie“ gezeigt. Schon 1994 war unter den Sprachforschern ein Konflikt über die Bewertung der Formulierung „kollektiver Freizeitpark“ entbrannt, eine vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl gewählte Bezeichnung für die seiner Meinung nach verweichlichte Grundstimmung im Land. Die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“ hatte sich in der Folge von der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ unabhängig gemacht. Während Letztere seitdem die deutschen Wörter des Jahres wählt, kümmern sich die Sprachkritiker um mögliche „Unworte“. Gegeißelt werden sollen laut den Richtlinien Formulierungen, die gegen die Prinzipien der Menschenwürde, Demokratie, Toleranz oder der Wahrhaftigkeit verstoßen. Eine wichtige Aktion. Tatsächlich ist es die Sprache, die gesellschaftliches Bewusstsein bestimmt.