Unwetter über Deutschland:"Nicht häufiger, aber extremer"

Hochwasser in Bayern

Durch extremen Starkregen verursacht wälzen sich am 1. Juni 2016 Wassermassen durch den niederbayerischen Ort Simbach.

(Foto: dpa)

Heftige Unwetter sorgten vor allem im Westen Deutschlands für Chaos. Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst erklärt, wie sich die Gewittergefahr in den vergangenen Jahren verändert hat.

Interview von Max Sprick

Der vergangene Monat war der im deutschen Durchschnitt wärmste Mai seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der mit den meisten Niederschlägen war er nicht - auch wenn man in einigen Teilen Deutschlands diesen Eindruck bekommen konnte. An manchen Orten fiel mit bis zu 150 Litern pro Quadratmeter in einer Stunde drei Mal so viel Regen wie sonst im ganzen Monat.

Während im Süden meist die Sonne schien, zogen Gewitter und Starkregen über den Rest des Landes. Andreas Friedrich, Diplom-Meteorologe vom Deutschen Wetterdienst (DWD), erklärt, wieso - und ob wir künftig vermehrt mit solchen Unwettern im Frühsommer rechnen müssen.

SZ: Herr Friedrich, in der vergangenen Woche sind vor allem im Westen Deutschlands Schlammlawinen durch Dörfer gerollt, Straßen wurden unterspült oder überflutet, Brücken und Dächer sind eingestürzt, heftige Unwetter haben für Zerstörung und Chaos gesorgt. Ist das noch normal?

Andreas Friedrich: Der Deutsche Wetterdienst hat mehr als eine Woche lang jeden Tag Unwetterwarnungen herausgegeben, das kann man nicht als normal bezeichnen. Die Unwetter waren für uns mit Sicherheit kein Alltagsgeschäft. Sie sind aber auch kein einmaliges Phänomen. Vor fast auf den Tag genau zwei Jahren hatten wir eine sehr ähnliche Wetterlage.

In Simbach am Inn und im baden-württembergischen Braunsbach wurden damals ganze Orte zerstört, mehrere Menschen starben.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Bedauerlicherweise, ja. Damals passierte das gleiche wie jetzt: Feucht-warme Luft liegt über Deutschland und bewegt sich dort nicht weg. So wiederholt sich jeden Tag das gleiche Szenario: Die Sonne strahlt in die feucht-warme Luft und verstärkt deren Bewegung nach oben. Dabei entsteht elektrische Spannung, die sich während eines Unwetters entlädt. Je wärmer die aufsteigende Luft, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen - und desto heftiger der mögliche Starkniederschlag. Der Mai war mit einer Durchschnittstemperatur von 16 Grad Celsius der wärmste Mai seit Beginn der Wetteraufzeichnung.

Besonders problematisch ist, dass sich diese Luftmasse nicht vom Fleck bewegt. Dadurch regnen sich die Gewitter über einer Region ab und es fällt in einer Stunde vereinzelt drei Mal so viel Regen wie sonst in einem ganzen Monat. Wir nennen das "Großwetterlage Tief Mitteleuropa".

Andreas Friedrich

Diplom-Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst.

(Foto: OH)

Historisch gesehen: Ist diese Wetterlage ein Phänomen der vergangenen Jahre?

Sicherlich gab es ähnliche Wetterlagen immer wieder einmal. Was wir aber festellen: Die Starkniederschläge mit mehr als 25 Litern pro Quadratmeter pro Stunde haben gerade in der warmen Jahreszeit in den vergangenen 17 Jahren spürbar zugenommen.

Als Folge des Klimawandels?

Da muss man vorsichtig sein. "Klima" bedeutet immer, dass man das Wetter über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren beobachtet, analysiert und ausgewertet hat. Temperaturen beobachten wir flächendeckend seit fast 130 Jahren, da können wir sagen: Der Klimawandel ist eindeutig da. Ob aber die Starkniederschläge damit zusammenhängen, können wir noch nicht zweifelsfrei sagen. Wir beobachten die Niederschläge über Deutschland erst seit 17 Jahren lückenlos. Seitdem haben wir ein Radarverbundsystem, das jeden Niederschlag misst. Vorher hatten wir zwar Tausende Messstationen, aber die konnten eben auch nicht jeden Tropfen messen.

Mit Hilfe des Radarverbundsystems lassen sich Starkniederschläge präziser vorhersagen. Wie früh können Sie gefährdete Menschen warnen?

Wir können warnen, was passieren wird, können maximale Windgeschwindigkeiten und die Größe von Hagelkörnern angeben. Aber maximal mit einer Vorlaufzeit von 90 Minuten.

Für die Menschen in den oben erwähnten Orten Simbach und Braunsbach war das zu knapp. Was hindert Sie daran, Unwetter mit Katastrophen-Potenzial früher vorherzusagen?

Das kann man mit einem Topf kochendem Wasser vergleichen. Sie wissen genau: Sobald das Wasser siedet, steigen Blasen auf. Sie können aber nie sagen, wie viele und wo genau sie aufsteigen. Genau so ist es in der Atmosphäre - die Gewitter sind die Luftblasen. Wir können erst dann eine Warnung für eine bestimmte Stadt oder Region herausgeben, wenn die ersten Niederschläge gefallen sind und Daten für unsere Verlagerungsalgorithmen geliefert haben.

Müssen wir künftig jedes Jahr mit heftigen Unwettern im Frühsommer rechnen?

Auch um diese Frage zu beantworten, müssen wir erst 30 Jahre abwarten, um zu erkennen, ob wirklich ein signifikanter und stetiger Anstieg dieser Starkniederschläge erfolgt ist. Was aber sicher ist: Die Unwetter werden heftiger. Eine wärmere Atmosphäre trägt eine größere Energiemenge in sich. Dadurch kann noch intensiveres Wetter entstehen. Solche Unwetter werden also nicht unbedingt häufiger, aber sie werden extremer.

Nach Zerstörung und Chaos in der vergangenen Woche war das Wetter am Wochenende ruhiger. Haben wir das Schlimmste hinter uns?

Diese Frage haben wir uns Tag für Tag gestellt. Aber die Großwetterlage hatte sich eingespielt und war sehr stabil. Das ist eines der chaotischen Prinzipien der Atmosphäre, dass sich solche Gleichgewichte manchmal eine ganze Weile nicht verändern. Gerade sieht es so aus, als habe sich das Szenario übers Wochenende abgeschwächt. Für die kommenden Tage haben wir allerdings schon wieder eine zunehmende Tendenz für Gewittergefahr festgestellt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: