Unwetter über Deutschland:Blitzgefährlich

Sie sehen spektakulär aus und erreichen mitunter die Leistung von 1000 Kraftwerken: Derzeit zucken auffallend viele Blitze über Deutschlands Himmel. Wie sich verhalten sollte, wer in ein Gewitter gerät, wo es am gefährlichsten ist und wer Schuld hat an all dem Himmelsgrollen.

Lena Jakat

Die Franzosen sind schuld. Zu dieser Schlussfolgerung würden jetzt vielleicht einige Mitglieder jener Generation kommen, die angesichts aktueller Entwicklungen häufig behauptet: So was gab es früher nicht. Früher ist dabei stets die Zeit, in der ohnehin alles besser war. Die momentan aufgeladene Wetterlage - am vergangenen Samstag allein zuckten 200.000 Blitze an Deutschlands Himmel - ist zwar tatsächlich auf schwülwarme Luft aus Südfrankreich zurückzuführen und auch ein eher ungewöhnliches Phänomen. Doch die Häufung von Gewittern ist keine Folge des Klimawandels.

Blitzkarte Siemens

Seit 13 Jahren zeichnet Siemens Blitzeinschläge in Deutschland auf. Diese Karte zeigt, welche Regionen am stärksten betroffen sind. Klicken Sie in das Bild, um sie vollständig zu sehen.

(Foto: Siemens)

"Die feuchtwarmen Luftmassen sind über Deutschland ins Stocken geraten", erläutert Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD) die Voraussetzung für die schweren Unwetter. "Trifft die Sonne, die derzeit fast ihren Höchststand erreicht hat, auf diese Luftmassen, beginnt es darin zu brodeln wie in einem Kochtopf. Jede Luftblase die aufsteigt, ist ein Unwetter." Am vergangenen Freitag erschlug ein Blitz vier Frauen auf einem hessischen Golfplatz, am frühen Sonntagmorgen wurden durch einen Blitzeinschlag auf einem Heavy-Metal-Festival in Sachsen 51 Menschen verletzt. Die hohe Zahl der Blitze ist laut Friedrich im "oberen Level" angesiedelt, aber von einem Rekordwert will er nicht sprechen.

Dank der elektromagnetischen Wellen im Umfeld jedes Blitzes und moderner Messtechniken können die Meteorologen Blitze nicht nur zählen, sondern auch auf mehr als 100 Meter genau lokalisieren. Unwetterwarnungen werden so präziser. Diese Messsysteme werden von Stromnetzbetreibern benötigt, die so schneller eingreifen können, wenn ein Blitz eine Leitung beschädigt (siehe Blitzkarte). Und Fotografen nutzen derlei Blitzmonitore, um für das perfekte Bild vom Naturschauspiel zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

Gelegenheit, die gezackten Lichtschneisen - die deswegen gezackt sind, weil sie sich stets den Weg des geringsten Widerstands suchen - zu beobachten, dürfte sich in den kommenden Tagen ausreichend bieten. "Die Wetterlage wird sich wiederholen; wir rechnen damit, dass es in den nächsten Tagen erneut zu heftigen Gewittern kommt", prognostiziert Meteorologe Friedrich, der beim DWD auch für Tornados zuständig ist. Die meisten Blitze in Deutschland gehen über dem Schwarzwald, der Rhein-Main-Region und dem Rhein-Neckar-Dreieck nieder. Weltweit blitzt es nirgends so viel wie im Kongobecken in Zentralafrika.

Die aktuelle Gewitterhäufigkeit steht laut DWD wohl nicht in Zusammenhang mit der langfristigen Klimaerwärmung. Zum einen, erläutert Friedrich, würden Blitze noch nicht lange genug aufgezeichnet, um eindeutig Aufschluss zu geben. Zum anderen sagten die gängigen Klimamodelle für Deutschland in Zukunft eher trockenere Sommer voraus. Gewitter würden damit seltener - aber heftiger.

"Buchen sollst du suchen, Eichen sollst du weichen": Diese Bauernregeln ist bekanntermaßen blanker Unsinn. Wo ein Blitz einschlägt, hängt mit dem Widerstand zusammen. Masten, hohe Bäume, alles, was aus seiner Umgebung in die Höhe ragt, ist allgemein gefährdeter, weil es der Blitz dorthin nicht so weit hat. Aber auch die Leitfähigkeit des Materials spielt eine Rolle. Eine Antenne aus Metall zieht Elektrizität stärker an als ein Zeltdach aus Plastik. Deswegen kann ein Regenschirm bei Gewitter zwar gegen Nässe schützen, nicht aber gegen Blitzschlag.

In Deutschland ist die für Blitze zuständige Behörde das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Für Kinder gibt es auf den Seiten des BKK ein Abenteuerspiel, in dem sie Naturgefahren wie Blitze erforschen können. Erwachsenen rät das Amt:

[] Suchen Sie Schutz in einem Gebäude oder gehen Sie mit eng zusammenstehenden Füßen, auf den Fußballen in die Hocke, möglichst in einer Mulde. Legen Sie sich nicht hin.

[] Halten Sie zu Überlandleitungen einen Mindestabstand von 50 Metern ein.

[] Bleiben Sie beim Autofahren im Fahrzeug und berühren Sie keine blanken Metallteile.

Autos wie auch Flugzeuge funktionieren - solange sie wie die meisten Modelle aus Metall gebaut sind - als Faradayscher Käfig: Der Blitz wird über die Außenhaut abgeleitet, der Innenraum bleibt vor der elektrischen Spannung geschützt.

Die Stromstärken eines Blitzes können enorm sein, die Leistungen bis zu 1000 Gigawatt erreichen; das entspricht etwa 1000 großen Kraftwerken. Schlägt ein Blitz ein, kann es zu Überspannungen kommen. Das BBK rät daher: "Verlassen Sie sich nicht ausschließlich auf die Blitzschutzanlage Ihres Hauses. Nehmen Sie empfindliche Geräte vom Netz oder verwenden Sie Überspannungsschutz." Zur Energiegewinnung lassen sich Blitze allerdings nicht nutzen: Die Leistung hält stets nur den Bruchteil einer Sekunde an, der Energiegehalt beträgt gerade einmal ein paar Dutzend Kilowattstunden.

Im großen, allgemeinen Durchschnitt ist es ähnlich wahrscheinlich, sechs Richtige im Lotto zu tippen wie von einem Blitz getroffen zu werden. Wer in ein Gewitter gerät, befindet sich aber durchaus in Gefahr. Nach dem Unfall auf dem Golfplatz im hessischen Waldeck, bei dem vier Frauen von einem Blitz getroffen wurden, kämpfte eine Frau noch tagelang um ihr Leben. Am Dienstag starb sie. "Bei einem Blitzschlag muss man von zwei unterschiedlichen Verletzungen ausgehen. Wegen des Stromschlags kann das Nervensystem betroffen sein, und wegen der enormen Hitze erleiden die Opfer oft schwerste Verbrennungen", erläutert ein Sprecher des Verbrennungszentrums an der Medizinischen Hochschule Hannover. Bei Menschen, die Blitzunfälle überleben, steigt das Risiko eines Herzinfarkts, die Wahrscheinlichkeit von Nierenversagen nimmt ebenfalls zu.

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