Marine unter Druck:"Meuterei" auf der "Gorch Fock"

Falscher Kurs: Der Wehrbeauftragte des Bundestags schreibt in einem Untersuchungsbericht von Einschüchterung, Meuterei und sexueller Belästigung auf der "Gorch Fock". Nun muss das Schulschiff umkehren.

Peter Blechschmidt, Berlin

Meuterei auf der Gorch Fock? Gravierenden Missständen auf dem Segelschulschiff der Deutschen Marine ist der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, auf der Spur. Ausgelöst wurden seine Untersuchungen auf dem Paradestück der Bundeswehr durch Beschwerden nach dem Tod einer Offizieranwärterin am 7. November vorigen Jahres. Die 25-Jährige war im Hafen der brasilianischen Stadt Salvador de Bahia aus der Takelage auf das Deck gestürzt und wenig später an ihren Verletzungen gestorben.

Meuterei-Vorwurf auf der 'Gorch Fock'

Meuterei-Vorwurf auf der "Gorch Fock"

(Foto: dapd)

Die Gorch Fock befindet sich derzeit auf einer Ausbildungsreise rund um die Welt. Erst Anfang der Woche berichtete die Bundeswehr in stolzen Worten auf ihrer Homepage, wie der Dreimaster in schwerem Wetter das berüchtigte Kap Hoorn an der Südspitze Südamerikas umrundet hat.

Die Törns auf dem Segelschiff gehören zur Ausbildung der angehenden Marineoffiziere. Nach dem Unfalltod der Anwärterin in Brasilien setzte die Marineführung die Ausbildung jedoch aus und brachte die Anwärter nach Deutschland zurück. Die Stammbesatzung wurde durch eingeflogene Kameraden ergänzt, damit die Reise, die auch als Werbung für die Bundeswehr gedacht ist, fortgesetzt werden konnte.

"Das Offizierspatent können sie vergessen"

Vor der Entscheidung, die Ausbildung auszusetzen, kam es nach Darstellung von Königshaus an Bord offenbar zu schweren Auseinandersetzungen. Viele der Anwärter hätten nicht mehr aufentern wollen, also in die Takelage steigen, andere hätten die Reise nicht fortsetzen wollen, schrieb Königshaus diese Woche an den Verteidigungsausschuss des Bundestages. Deshalb seien zwei dienstältere Offizieranwärter beauftragt worden, zwischen den Soldaten und der Schiffsführung zu vermitteln. Diesen beiden und zwei weiteren Offizieranwärtern hätten der Kommandant und der Erste Offizier später mangelhafte Zusammenarbeit mit der Schiffsführung unterstellt. Alle vier hätten wegen Meuterei und Aufhetzen der Offizieranwärter-Crew von der Ausbildung abgelöst und zurück nach Deutschland geflogen werden sollen.

Der Kommandant habe ihnen auch die Eignung zum Offizier aberkennen wollen, schrieb Königshaus weiter. Zu Gesprächen über die Vorwürfe sei die Schiffsführung nicht bereit gewesen. Erst nachdem die Ausbildung ausgesetzt worden war, seien die vier Betroffenen von der Schiffsführung aufgefordert worden, die ihnen eröffneten Ablösungsanträge zu vernichten.

Königshaus schrieb weiter, dass auf die Anwärter massiv Druck ausgeübt worden sei, in die Takelage zu klettern, obwohl dieses Aufentern freiwillig ist. "Wenn Sie nicht hochgehen, können Sie das Offizierspatent vergessen", sei gedroht worden. Ein Anwärter, der unter ausgeprägter Höhenangst leide, sei auf diese Weise dazu gebracht worden, auf den höchsten Mast zu steigen.

Ferner berichtete Königshaus von einem Fall sexueller Belästigung. Ein Obergefreiter habe ihm vorgetragen, dass er während eines Hafenaufenthalts zum Duschen gegangen sei. Dabei sei er von drei Soldaten der Stammbesatzung mit den Worten angesprochen worden, auf dem Schiff sei es "ähnlich wie im Knast", jeder Neue müsse "seinen Arsch hinhalten". Die drei hätten ihn aufgefordert, sich nach einer Flasche Shampoo zu bücken. Er habe Angst bekommen und die Dusche schnellstmöglich verlassen. Der Obergefreite habe den Vorfall gemeldet. Daraufhin habe der Kommandant die Besatzung an der Pier antreten lassen und eine Belehrung ausgesprochen.

Als Reaktion auf die Berichte hat sich nun der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, zu Wort gemeldet, der angesichts der Vorwürfe vor voreiligen Schlüssen gewarnt hat. Man müsse nun prüfen, ob Sicherheitsbestimmungen an Bord verletzt worden seien, sagte Kirsch dem Hamburger Abendblatt: "Diejenigen, die ihren Dienst ordentlich versehen haben, müssen wir schützen. Diejenigen, die aber ein Fehlverhalten an den Tag gelegt haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden." Er stellte sich hinter das Ausbildungskonzept auf dem Segelschulschiff der Marine. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold äußerte im Kölner Stadt-Anzeiger Kritik. Es stelle sich die Frage, "ob dieses tragische Unglück vermeidbar gewesen wäre", sagte er.

Das Schulschiff muss aufgrund der schweren Konflikte nun umkehren. Es soll am Donnerstagabend (18 Uhr deutscher Zeit) in seinen letzten Hafen in Argentinien einlaufen und dort auf ein Ermittlungsteam der Marine warten, dass den Vorwürfen weiter nachgehen wird. Das Team wird derzeit noch zusammengestellt, hieß es aus dem Verteidigungsministerium.

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