Unglück in Mina:Warum beim Hadsch Panik ausgebrochen ist

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  • Mehr als 700 Menschen sind bei einer Massenpanik auf dem Pilgerweg nach Mekka gestorben. Hunderte wurden verletzt.
  • Es ist nicht das erste Mal, dass es bei der Wallfahrt zu einem Unglück kommt. Die Stelle, an der die Panik ausgebrochen ist, gilt als besonders gefährlich.

Von Ronen Steinke

Die Stadt Mekka ist seit jeher ein Ort großer Dramen, der Beglückung, Erbauung, aber auch immer wieder niederschmetternden Leids für die muslimischen Pilger, die hier aufeinandertreffen. Eine solche Katastrophe wie am Donnerstag indes hat die heilige Stadt seit 25 Jahren nicht erlebt.

Mehr als 700 Menschen sind an einem einzigen Morgen zu Tode getrampelt worden, als am Donnerstag im Gedränge an einer Straßenkreuzung eine Massenpanik ausbrach, mehr als 800 wurden verletzt. Arabische Fernsehsender zeigten, wie die im weißen Pilgergewand gekleideten Opfer auf Liegen versorgt und weggetragen wurden. Und die Nachrichtenagenturen verbreiteten Fotos, auf denen die Toten aufeinandergestapelt liegen. Die Opfer kämen aus verschiedenen Ländern, hieß es vonseiten der Behörden, besonders viele von ihnen wahrscheinlich aus Niger.

Sie waren gerade dabei, den Weg von ihrem Pilgerlager Mina, einer Zeltstadt vor den Toren Mekkas, in Richtung Zentrum zu nehmen. An der Kreuzung in Mina, wo sich die beiden breiten Fußgängerstraßen Nummer 204 und 233 begegnen, habe es dann plötzlich einen Stau gegeben, erklärte der Zivilschutz. Dann sei Panik ausgebrochen.

Saudi-Arabien
:Mehr als 700 Tote bei Massenpanik in Mekka

Beim Hadsch in der Nähe von Mekka sind mindestens 717 Menschen ums Leben gekommen. Hunderte weitere Gläubige wurden verletzt.

Stelle als besonders gefährlich bekannt

Dies ist die Route, welche die Gläubigen traditionell am dritten und letzten Tag ihrer Wallfahrt - des sogenannten Hadsch - nehmen, sie führt von ihren Schlafzelten hin zu einer Stelle, an der die Gläubigen Kieselsteine werfen, um symbolisch den Teufel zu besiegen, der dort versucht haben soll, Abraham die Unterwerfung unter den Willen Gottes auszureden. Der Teufel wird symbolisiert durch drei Säulen, und auf ebendiese Säulen seien plötzlich sehr viele Menschen gleichzeitig zugegangen, hieß es.

Dabei ist dieser Ort den saudischen Behörden bereits seit Langem als besonders gefährlich bekannt. An just dieser Stelle kamen bereits bei einer Massenpanik im Jahr 2006 mehr als 360 Menschen ums Leben. Deswegen werden die Pilger heute eigentlich so geleitet, dass sich ihre Wege nicht mehr kreuzen. Es hat Baumaßnahmen gegeben, die verhindern sollen, dass die Menschenströme aufeinanderstoßen, eine neue Verkehrsführung, die einen reibungslosen Ablauf sichern und einen Massenandrang verhindern soll; die Stadt hat Millionen in "Crowd Management" und Überwachung investiert.

Unglück beim Hadsch
:Hunderte Tote auf dem Weg nach Mekka

Jeder gläubige Muslim soll einmal in seinem Leben nach Mekka pilgern. Bei einer Massenpanik auf der Wallfahrt sind mehr als 700 Menschen gestorben.

Wieso es am Donnerstag trotzdem zu der Katastrophe kommen konnte? "Wenn die Pilger die Anweisungen befolgt hätten, dann hätte man diese Art Unglück vermeiden können", sagte der Gesundheitsminister des Landes, Chaled al-Faleh, im staatlichen Fernsehen. Zahlreiche Pilger würden sich "in Bewegung setzen, ohne die Uhrzeiten zu respektieren", die ihnen von den Verantwortlichen zur Organisation des Pilgerereignisses vorgegeben werden. Das sei der "Hauptgrund" für das Unglück.

Gefährlichster Tag des Hadsch

Doch nicht nur der Ort war den Behörden als besonders sensibel bekannt, auch der Zeitpunkt im Kalender. So wie es den Fastenmonat Ramadan gibt, so gibt es auch den Pilgermonat Dhul Hidscha - an diesem Donnerstag wurde dessen Höhepunkt gefeiert, mit dem muslimischen Opferfest Eid al-Adha, bei dem Tiere geschlachtet werden und das Fleisch an die Armen verteilt wird. Der Tag gilt als der gefährlichste während der Pilgerfahrt.

Das größte Unglück ereignete sich im Jahr 1990, damals starben 1426 Menschen

Nach Mekka kommen jedes Jahr zwischen zwei und drei Millionen muslimischer Pilger aus aller Welt, die gesamte Stadt ist auf diesen Tourismus ausgerichtet, der sich über alle Jahreszeiten verteilt, aber im Pilgermonat seinen Höhepunkt erreicht. In Mekkas uralten, schmutzigen Gassen stehen dafür Herbergen ebenso wie Luxushotels bereit, im Pilgermonat kommen noch Massen von Schlafzelten hinzu. Wie mit dem frommen Tourismus ein fantastisches Geschäft gemacht wird, das beschreibt die aus Mekka stammende Schriftstellerin Raja Alem in ihrem Roman "Das Halsband der Tauben" mit Ironie: "Die Bewohner von Mekka sind geborene Händler, die auch den Schatten und den Wind verkaufen. Die drehen dir noch die Plazenta deiner eigenen Mutter an."

Mekkaner eilen zur Hilfe

Am Tag der jüngsten Katastrophe aber zeigten die Mekkaner auch ihre große Fürsorge für die Gäste, eilten zu Hilfe, um Tote zu bergen, Verletzte zu versorgen und die Gäste aus aller Welt davor zu beschützen, dass im entstandenen Chaos noch weitere Unglücke geschehen. Mehr als 220 Krankenwagen und mehr als 4000 Rettungskräfte waren im Einsatz. Der Fernsehsender Al-Arabija zeigte, wie sich die weißen Wagen mit dem roten Halbmond in einem Konvoi den Weg durch das Lager in Mina zur Unglücksstelle bahnten. Zugangsstraßen wurden abgeriegelt, es werde alles unternommen, um die Pilger auf alternative Strecken umzuleiten, teilte der Zivilschutz mit.

Mekka
:Gefährlicher Hadsch

Millionen Gläubige pilgern jedes Jahr an die heiligste Stätte des Islam. Immer wieder kommt es in und um Mekka zu Katastrophen.

Mekka ist ein leidgeprüfter Ort, es kam hier schon häufiger zu schlimmen Unglücken. Das größte ereignete sich im Jahr 1990: Als in einem völlig überfüllten Tunnel, der zu den heiligen Stätten führt, eine Panik ausbrach, starben 1426 Pilger, die größtenteils aus Asien kamen. Und das letzte Unglück ist noch nicht lange her: Erst vor wenigen Tagen kam es direkt in der Nähe des größten Heiligtums des Islam zu einem Unfall. Ein Baukran stürzte am 11. September auf einen Innenhof der Großen Moschee, 107 Menschen starben und etwa 400 weitere wurden verletzt. Dort steht die Kaaba, ein schwarzer Quader, den Pilger siebenmal umrunden sollen. Jedes muslimische Gebet weltweit wird in dessen Richtung gebetet.

Das Gebäude mit dem Schwarzen Stein ist auch der Zielpunkt der Wallfahrtsreise, die jeder gläubige Muslim einmal im Leben unternehmen soll. Der Hadsch ist die Chance, Sünden zu tilgen und neu zu beginnen.

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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