Süddeutsche Zeitung

Donau-Schiffsunglück:"Nicht fahrlässig, aber stur"

Lesezeit: 3 min

Der Privatreeder Manfred Traunmüller kennt die Widrigkeiten des Budapester Donauabschnitts, auf dem 35 Menschen kenterten. Wie konnte es zu dem Unglück kommen?

Interview von Violetta Simon

Am Mittwochabend ist im Budapester Abschnitt der Donau das kleine Ausflugsschiff Hableány mit einem Kreuzfahrtschiff zwischen den Pfeilern der Margaretenbrücke kollidiert und gekentert. An Bord befanden sich 33 Touristen aus Südkorea sowie zwei ungarische Besatzungsmitglieder. Manfred Traunmüller, Geschäftsführer von Donau-Touristik, bietet europaweit Schiffs- und Radreisen an. Der Linzer Privatreeder besitzt selbst ein großes Ausflugsschiff und einen Flusskreuzfahrt-Katamaran. Im Gespräch mit der SZ gibt der 62-Jährige eine Einschätzung der Lage.

Das Ausflugsschiff sank in sieben Sekunden. Von 35 Menschen wurden bisher sieben gerettet, weitere sieben tot geborgen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, noch Überlebende zu finden?

Manfred Traunmüller: Ich fürchte, die Überlebenschance für die 21 Vermissten ist gleich null. Bei einem kleinen Schiff befinden sich die meisten Gäste unter Deck, und wenn ein Schiff so schnell kentert, hat man kaum eine Chance, aufs Freideck zu kommen. Wasser strömt durch die eingedrückten Fensterscheiben, alle werden runtergezogen. Die Donau ist kalt, trüb und dunkel, auf fünf Meter Tiefe ist es unmöglich, sich zu orientieren. Das kann man nicht überleben. Außer man wäre abgetrieben und ans Ufer geschwommen, aber das wurde bereits abgesucht.

Die Touristen sollen den Angaben zufolge keine Schwimmwesten getragen haben.

Die zu verteilen und anzuziehen, dauert mindestens drei Minuten. Diese Zeit hatten die Passagiere nicht.

Stimmt es, dass das kleinere Schiff sehr alt gewesen ist, Baujahr 1949?

Über Ausstattung und Zustand weiß man erst mehr, wenn das Schiff geborgen ist. Die Wetterbedingungen waren zum Zeitpunkt der Kollision sehr ungünstig. Den Videoaufnahmen nach, und wie ich die Stelle kenne, war das Hauptproblem noch nicht einmal der Wasserstand, sondern die katastrophalen Sichtverhältnisse durch den strömenden Regen. Man fragt sich, warum trotz Regen und Wind so viele Boote unterwegs waren ... Die Fahrt abzusagen, wäre nicht notwendig gewesen. Ein den Umständen angepasstes Verhalten hätte ausgereicht. Die Donau ist sicher nicht schwieriger zu befahren als der Rhein, beide sind bei normalem Wetter keine besondere Herausforderung. Bei Wind, vor allem bei starkem Regen jedoch eine besonders große. Deshalb lassen wir keine Leute unter 30 ans Steuer. Unsere ersten Kapitäne sind alle über 40, die haben einiges erlebt.

Nun fahren da Kreuzfahrtschiffe, Ausflugsboote, Frachter, private Boote. Wird das irgendwie geregelt?

Im Budapester Abschnitt ist ein recht intensiver Schiffsverkehr, vor allem an kleinen Ausflugsbooten, die Touristen transportieren. Die Donau hat auf dieser Höhe zwei Fahrtrinnen. Die rechte ist für stromabwärts fahrende Schiffe, die linke für stromaufwärts fahrende. Diese Rinne ist für kleine Schiffe in beide Richtungen offen. Dort gilt ein Überholverbot.

Und daran halten sich alle?

In der Regel beharren die großen Schiffe nicht auf ihrem Vorfahrtsrecht und fahren entsprechend langsam. Im Zweifelsfall sollte das kleinere Schiff aber nicht mit deren Rücksicht rechnen und besser nachgeben, sonst bezahlen die Insassen mit ihrem Leben. Kürzlich fuhr ich mit der MS Primadonna an dieser Stelle vorbei, als so ein kleines Ausflugsschiff sehr gewagt an unserem Bug vorbeischnitt. Der Kapitän sagte, solche Kunststücke seien ihm nicht neu. Selbst bei guter Sicht fahre er deshalb ein Drittel der Kraft, also Schrittgeschwindigkeit.

Und das Kreuzfahrtschiff?

Die Viking Sigyn fuhr sehr schnell, hätte also ohnehin nicht ausweichen können. Ich interpretiere das so, dass sie von ihrem Vorfahrtsrecht Gebrauch gemacht hat. Ich könnte mir vorstellen, dass der Kapitän des kleinen Schiffs sich darauf verlassen hat, dass der des großen Rücksicht nimmt. Womöglich hat er nicht nach hinten geschaut und wegen der katastrophalen Sicht etwas mehr Backbord gesteuert, als er durfte. Ein kleiner Stoß - das genügt, um das Schiff zum Kentern zu bringen. Jeden Abend sind 50, 60 kleine Ausflugsschiffe unterwegs, von denen glaubt vielleicht einer, er sei ein Stuntman. Die großen haben da mehr Rücksicht zu nehmen. Bei einem Verstoß können sie schimpfen, es melden, sich ärgern - aber nicht auf ihrem Vorfahrtsrecht beharren.

Das heißt, der Kapitän des Kreuzfahrtschiffes wurde zu Recht verhaftet?

Das werden die Sachverständigen herausfinden, wenn sie die Schiffsbewegung mittels Radaraufzeichnungen ausgewertet haben. Allerdings funktionieren die Transponder unter der Brücke nicht, ob das also jemals schlüssig beurteilt werden kann, mag dahingestellt sein.

Und was schließen Sie aus dem Video?

Daraus würde ich eine gewisse Sturheit lesen. Nicht fahrlässig, aber stur. Der Kapitän des kleinen Schiffes war unachtsam. Dann kam noch Pech hinzu. Ja, ich würde sagen: Sturheit, Unachtsamkeit und Pech.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4469315
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.06.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.