Unfälle - Heßheim:Gutachten zu tödlichem Sondermüllunfall erhitzt Gemüter

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Christian Baldauf (CDU), Fraktionsvorsitzender der CDU Rheinland-Pfalz. Foto: Andreas Arnold/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Mainz/Heßheim (dpa/lrs) - Rund 17 Monate nach einem Arbeitsunfall mit zwei Toten in Heßheim (Pfalz) hat ein Gutachten auf politischer Ebene und auch bei dem betroffenen Unternehmen für Unmut gesorgt. Das rund 90 Seiten umfassende, im Auftrag des Anlagenbetreibers Süd Müll erstellte Dokument wurde am Dienstag veröffentlicht. Es ist mit teilweise geschwärzten Passagen auch im Internet zu finden. Alle Fragen sind damit aber noch nicht geklärt.

In dem Gutachten heißt es beispielsweise: "Die Gefährdungsbeurteilungen, insbesondere für die Abfallanlieferung und die Umfüllbereiche, sind grundlegend zu überarbeiten." Auch der Sicherheitsbericht des Unternehmens wird bemängelt. Es müssten Szenarien und deren Auswirkungen berücksichtigt werden, wenn sich beispielsweise giftige Gase ausbreiteten oder es zu Explosionen komme, urteilte der Sachverständige.

Die überarbeitete Version des Sicherheitsberichts liegt der zuständigen Aufsichtsbehörde, der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Süd, nach eigenen Angaben seit kurzem vor. Ob der Bericht korrekt und vollständig sei, müsse noch geprüft werden, sagte SGD-Abteilungsdirektor Klaus-Peter Gerten.

Bei dem Unfall im August 2018 waren zwei Mitarbeiter gestorben. Der Staatsanwaltschaft zufolge war ein Container mit Chemikalien falsch beschriftet gewesen. Als der Inhalt mit einer anderen Substanz in einem Behälter vermischt wurde, kam es zu einer chemischen Reaktion. Dabei sei hochgiftiger Schwefelwasserstoff freigesetzt worden, teilte damals die Ermittlungsbehörde mit. Das Einatmen führe schon in sehr kleiner Konzentration zum "inneren Ersticken".

Süd Müll kritisierte das Dokument. "Aus unserer Sicht geht das Gutachten in vielen Teilen nicht auf die relevanten technischen und rechtlichen Regelwerke ein", sagte einer der Geschäftsführer. Es werde nicht ausreichend beachtet, dass das Sonderabfallzwischenlager eine Entsorgungsanlage und kein Betrieb für chemische Erzeugnisse sei. "Dadurch kommt es aus unserer Sicht zu einem falschen Schluss."

Die für eine Entsorgungsanlage geltenden Vorschriften seien eingehalten worden. Denn die Mitarbeiter seien davon ausgegangen, dass sie zwei gleichartige Abfallstoffe aus unterschiedlichen Behältern in einem Behälter zusammenführen würden. "Für den Regelfall ist genau das passiert, was vorgeschrieben ist." Dennoch fordere das Gutachten beispielsweise technische Nachrüstungen, die für einen Entsorgungsbetrieb nicht vorgeschrieben seien und auch in der Praxis nicht funktionieren würden.

Der Betrieb wurde laut SGD Süd vor dem Unfall zuletzt im März 2017 kontrolliert. "Die vorgefundenen Mängel wurden von uns als nicht gravierend eingestuft und vom Unternehmen abgearbeitet", erklärte die SGD Süd. In der Zeit nach dem Unfall habe es etliche, teils unangekündigte Inspektionen gegeben. Die SGD Süd bemängelte dabei wieder mehrere Punkte, stellte aber fest: "Bei den durchgeführten Inspektionen wurden keine Mängel vorgefunden, die kausal für den Unfall am 21. August 2018 gewesen sein könnten und die eine Stilllegung oder Teilstilllegung der Anlage rechtfertigen würde."

Auf politischer Ebene sorgte die Einschätzung des Sachverständigen aus noch anderen Gründen für hitzige Debatten im Umweltausschuss. CDU-Fraktionschef Christian Baldauf kritisierte beispielsweise, dass der Betreiber des Zwischenlagers selbst das Gutachten in Auftrag gegeben hatte. Die Aufsichtsbehörde SGD Süd hielt dagegen, der Gutachter sei zuverlässig. Außerdem: Hätte die SGD Süd selbst einen Sachverständigen beauftragt, hätte das Unternehmen nicht mit diesem zusammenarbeiten müssen.

Ein weiterer Vorwurf seitens der CDU: Das Umweltministerium habe nur auf Drängen und spät das Gutachten veröffentlicht. Für die Anwohner müsse deutlich werden, ob die Anlage für sie gefährlich sei. Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) wies die Kritik zurück. "Wir haben immer die größtmögliche Transparenz gewahrt." Eine schnellere Veröffentlichung nach Erhalt des Gutachtens Anfang Dezember sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich gewesen.

Ähnlich äußerte sich der Leiter der SGD Süd, Hannes Kopf. "Wenn man seine Arbeit richtig machen möchte, dann wartet man auch auf Gutachten, die noch kommen." Sobald das Dokument Anfang Dezember bei seiner Behörde gewesen sei, habe auch die Arbeit daran begonnen.

Trotz einiger Kritik in dem nun veröffentlichten Gutachten stellte der Sachverständige auch fest: Durch den Unfall habe keine Gefahr für die Anwohner bestanden. Dennoch forderte die Bürgerinitiative Schutzgemeinschaft gegen Mülldeponie im Vorfeld der Ausschusssitzung die Stilllegung des Sonderabfallzwischenlagers. Ein Weiterbetrieb sei "grob fahrlässig". "Auf der Grundlage des Rechtsrahmens können wir sagen, der Anlagenbetrieb ist aktuell nicht zu untersagen", sagte hingegen SGD-Chef Kopf im Umweltausschuss.

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