Unfälle:Absturz ist ein Rückschlag für russischen Syrien-Einsatz

Sotschi (dpa) - Es sollte ein Konzert für die russischen Soldaten in Syrien werden, eine Abwechselung im Dienst kurz vor Neujahr. Doch die über 60 Sänger des stimmgewaltigen Alexandrow-Armeechores kamen nie in Syrien an.

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Sotschi (dpa) - Es sollte ein Konzert für die russischen Soldaten in Syrien werden, eine Abwechselung im Dienst kurz vor Neujahr. Doch die über 60 Sänger des stimmgewaltigen Alexandrow-Armeechores kamen nie in Syrien an.

Ihr Flugzeug, eine 33 Jahre alte Tupolew Tu-154 des russischen Verteidigungsministeriums, verunglückte am Sonntag über dem Schwarzen Meer bei Sotschi.

Die Führung um Präsident Wladimir Putin mag beim militärischen Eingreifen in Syrien geringe Verluste einkalkuliert haben. Der Verlust eines weltweit bekannten und beliebten Musikensembles gehört bestimmt nicht dazu. Der Flugzeugabsturz mit insgesamt 92 Toten ist der bislang schlimmste Rückschlag in dem Einsatz seit Herbst 2015.

Die Tragödie stehe "in keinem Zusammenhang mit dem Vorgehen der russischen Luftwaffe in Syrien", beeilte sich zwar der Außenpolitiker Franz Klinzewitsch vom russischen Föderationsrat mitzuteilen. "Eine 100-prozentige Sicherheit im Luftverkehr kann niemand garantieren."

Aber der stellvertretende Kulturchef des Moskauer Stadtverwaltung, Alexander Kibowski, sagte: "Das Alexandrow-Ensemble ist unser Stolz. Dazu gehören viele Soldaten, die in Krisengebieten waren, und auf gewisse Weise sind sie jetzt im Einsatz umgekommen."

Das russische Militär hat in den 15 Monaten seiner Bombardements in Syrien das Blatt unerbittlich wieder zugunsten des fast schon geschlagenen Präsidenten Baschar al-Assad gewendet. Auf dem Stützpunkt Hamaimim bei Latakia sind die Russen so stark bewaffnet, dass auch die Supermacht USA sich in Syrien zurückhalten muss.

Die Opfer des Feldzugs werden in der russischen Gesellschaft nicht diskutiert - weder die der syrischen Bevölkerung noch die eigenen. Das russische Verteidigungsministerium dementiert alle Treffer auf Zivilisten. Die Zählung eigener Verluste steht derzeit bei etwa 30 toten Soldaten. Zuletzt gingen die Zahlen rascher nach oben. Bei der Eroberung von Aleppo wurden im Dezember zwei Sanitätssoldatinnen und ein Oberst getötet, ein Major wurde bei Palmyra tödlich getroffen.

In Syrien kämpften verbotenerweise auch russische Söldnertruppen, berichten Medien wie das Portal Fontanka.ru in St. Petersburg. Aus deren Reihen sollen Dutzende Männer getötet worden sein. An Militärgerät verlor Russland einen Kampfjet Suchoi Su-24, den die türkische Luftwaffe abschoss, und mehrere Hubschrauber. Zwei Jets gingen bei fehlgeschlagenen Landungen auf dem Flugzeugträger "Admiral Kusnezow" verloren.

Wie hoch der Preis des Engagements sein kann, zeigte vergangene Woche auch der Mord an dem russischen Botschafter Andrej Karlow in der Türkei. Der Attentäter, ein türkischer Polizist, wollte Rache für Syrien nehmen.

Den höchsten Preis haben bislang die einfachen Bürger gezahlt: Am 31. Oktober 2015 wurde ein Airbus A321 mit 224 russischen Ägypten-Urlaubern über dem Sinai in die Luft gesprengt, die Täter gehörten mutmaßlich zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Hinweise auf einen Anschlag gab es am Sonntag nicht. Die Behörden vermuteten eher einen technischen Defekt. Mit einer Tupolew waren Anfang Mai auch Stardirigent Waleri Gergijew und sein Orchester nach Palmyra geflogen worden. Die Flüge mit den heruntergekommenen Maschinen des russischen Verteidigungsministeriums verlangen ein gewisses Gottvertrauen. Aber auch für westliche Journalisten gibt es derzeit kaum eine andere Möglichkeit, nach Syrien zu kommen.

In Russland herrschte tiefe Trauer um die toten Sänger in Uniform, die auch in Deutschland bekannt waren und dort 2015 ihren letzten Auftritt hatten. Die Moskauer Zivilgesellschaft hoffte vergeblich, dass die bekannte Aktivistin Jelisaweta Glinka nicht an Bord gewesen sein möge. "Doktor Lisa" begleitete eine Medikamentenspende für die Universität Latakia. "Die Wurzel des Ganzen ist der Krieg in Syrien", schrieb der Oppositionspolitiker Dmitri Gudkow auf Facebook. "Er muss unbedingt gestoppt werden."

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