Umstrittenes Urteil:Der Raser mit dem roten Nummernschild

Was ist der Tod von zwei russischen Studenten wert? Ein deutsches Gerichtsurteil gegen einen Porsche fahrenden Diplomaten löst in Moskau große Empörung aus.

Sonja Zekri, Moskau

Vom "Abschaum mit deutscher Staatsangehörigkeit" schreibt die russische Zeitung Komsomolskaja Prawda. Von "gelenkter Justiz" spricht auch die Mutter eines der Opfer. Von einer "juristisch höchst umstrittenen und unangemessenen" Entscheidung vor wenigen Tagen das russische Außenministerium. Wenn Außenminister Guido Westerwelle an diesem Freitag zum Antrittsbesuch in Moskau eintrifft, empfangen ihn die Ausläufer diplomatischen Grollens.

Umstrittenes Urteil: Der 17-jährige Alexander wurde von einem deutschen Porschefahrer in Moskau getötet.

Der 17-jährige Alexander wurde von einem deutschen Porschefahrer in Moskau getötet.

(Foto: Foto: oh)

Am Donnerstag nämlich trat der Strafbefehl eines Gerichtes in Münster gegen den Lehrer Benjamin Thomas H. in Kraft, der in Moskau zwei Menschen totgefahren hat. H. hatte an der deutschen Schule in Moskau gelehrt, jener Einrichtung, an der auch die beiden Töchter Wladimir Putins lernten. In der Nacht zum 30. November 2008 überfuhr er auf einem Fußgängerüberweg im Süden der Stadt Andrej Kamynin und Alexander Jewtejew, zwei 17-jährige Studenten der Radiotechnik, die noch auf der Straße starben. H. fuhr einen Porsche Cayenne, 50 km/h schneller als erlaubt.

Als Botschaftsangehöriger genoss er strafrechtliche Immunität, konnte deshalb in Russland nicht verurteilt werden, sondern reiste nach Deutschland aus. Das russische Außenministerium war informiert. Es legte keinen Protest ein. Der Antrag der Staatsanwaltschaft in Münster ist den Akten der russischen Behörden gefolgt und stellte einen Strafbefehl aus, dem das Gericht gefolgt ist: Ein Jahr auf Bewährung, 5000 Euro Geldstrafe, ein Monat Führerscheinentzug. H. legte keinen Widerspruch ein. Seit Donnerstag wird der Strafbefehl vollstreckt.

Die deutsche Justiz habe "die Mindeststrafe" für einen "Doppelmord" verhängt, schrieben russische Medien. Das russische Außenministerium äußerte "Erstaunen" und "Unverständnis". In Russland hätten H. 15 Jahre Haft gedroht.

Wolfgang Schweer, Pressestaatsanwalt in Münster sagt hingegen der SZ: "Ein Jahr auf Bewährung ist kein mildes Urteil. Man könnte fahrlässige Tötung auch nur mit einer Geldstrafe ahnden." - Was ist die Höchststrafe? - "Fünf Jahre. Aber Sie müssen die Geldstrafe bedenken." - Wie hart können 5000 Euro den Fahrer eines Porsche Cayenne treffen? - "Ich kann kein Verhältnis zwischen Automarke und Strafmaß herstellen."

Russische Medien zählen anders: "Ein deutsches Gericht schätzt das Leben zweier russischer Studenten auf einen Wert von 5000 Euro", rechnet die Internetzeitung Gaseta.ru polemisch vor. Olga Kamynina, die Mutter des getöteten Alexander, sagte der Zeitung Nowyje Iswestija: "Nie hätte ich gedacht, dass die deutsche Justiz so prinzipienlos und offenbar gelenkt ist."

Besonders erbitterte sie ein Brief H.s, in dem dieser von einem "Schicksalsschlag" sprach. Von Schuld keine Rede. Zudem haben ihre Familie und die Anwälte von der Entscheidung des Gerichtes erst im Nachhinein erfahren. "Das ist so bei einem Strafbefehl. Es gab ja auch keine öffentliche Verhandlung. Hätten wir die Zeugen einfliegen lassen sollen? Der Mann war geständig", sagt Oberstaatsanwalt Schweer.

Bekannt als überschnell

Zwar spricht er weiterhin von einem "ganz normalen Verfahren", aber das dürfte es nicht ganz treffen. H. nämlich war nicht nur den russischen Behörden, sondern auch der Botschaft als überschneller Autofahrer bekannt. In den Akten der russischen Ermittler finden sich nach Angaben Schweers zwei Verweise der russischen Verkehrspolizisten, was eher ungewöhnlich ist, da H.s Wagen das rote Nummernschild der Diplomaten trug, was die meisten Beamten eher demotiviert.

In einem Fall war H. zu schnell gefahren, ein zweites Mal wurde er angehalten, weil die Polizisten vermuteten, er habe getrunken. H. verweigerte den Bluttest. Die Verweise mündeten in Noten des Außenministeriums an die Botschaft, auch dies eher die Ausnahme. In der zweiten Note sei jedoch ein falsches Kennzeichen genannt gewesen. "Sie war nicht zuzuordnen. Wir haben sie zurückgeschickt. Sie kam korrigiert ein bis zwei Tage vor dem Unfall in der Botschaft an. Bis sie auf dem Tisch des Verantwortlichen landete, war der Unfall geschehen", heißt es aus Botschaftskreisen.

Hätte man H. stoppen können? Die Immunität von Botschaftsangehörigen können nur die Regierungen aufheben. Hätte diese Möglichkeit bestanden? Ein Diplomat sagt: "Im Prinzip ja."

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